Experten kritisieren das Zaudern der US-Notenbank

Die Fed sei vom Markt getrieben und riskiere ihre Glaubwürdigkeit, werfen Volkswirte Janet Yellen vor.

Dass die US-Notenbank Fed ihre Zinswende verschoben hat (der KURIER berichtete), ist für Raiffeisen-Analyst Jörg Angele "konfus". Die Stellungnahme im Anschluss an die Zinsentscheidung sei nahezu wortgleich zu der von Ende Juli ausgefallen, sagte der Finanzexperte am Freitag. Man gehe nun zwar von einer Anhebung im Dezember aus, doch diese Prognose sei sehr unsicher.

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Vom Markt getrieben

Anders als in früheren Zinsanhebungsphasen werde den starken amerikanischen Wirtschaftsdaten anscheinend weniger Bedeutung beigemessen als den Risiken in der Konjunkturentwicklung in Schwellenländern wie China sowie Turbulenzen auf den Finanzmärkten. "Außerdem scheint die Notenbank von einer vorausschauenden Geldpolitik in eine mit der Wirtschaftsentwicklung gleichlaufende Geldpolitik umgeschwenkt zu haben", meinte der Analyst.

Auch deutsche Ökonomen stellen die Glaubwürdigkeit der Federal Reserve in Frage:

- Liane Buchholz, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB): "Die amerikanische Notenbank verzögert die Zinserhöhung und spielt mit ihrer Glaubwürdigkeit. Obwohl die Fed eines ihrer erklärten Ziele, die Vollbeschäftigung, nahezu erreicht hat, traut sie es der US-Konjunktur noch nicht zu, eine erste Zinserhöhung zu verkraften. An den Märkten verlängert die Fed durch ihr Zögern die Unsicherheit über die lang erwartete Zinswende in den USA."

- David Folkerts-Landau, Chefvolkswirt Deutsche Bank: "Es ist bedauerlich, dass die Fed aufgrund der Volatilität auf den globalen Finanzmärkten und der Sorge um das Wachstum im Ausland - vor allem in den Schwellenländern und China - keine Zinsanpassung vorgenommen hat. Jetzt einen Normalisierungsprozess einzuleiten, wäre absolut angemessen und ehrlich gesagt, schon lange überfällig gewesen. Die Beibehaltung dieser Geldpolitik geht zulasten der Finanzmarkstabilität und wird am Ende einen kräftigen Anstieg der Inflation mit sich bringen."

- Michael Heise, Allianz: "Einen Zeitpunkt, zu dem eine Zinserhöhung in einer völlig stabilen weltwirtschaftlichen Situation erfolgt und keine Risiken birgt, wird es kaum geben. Mit dem Zuwarten und dem weiter bestehenden Signal einer Zinserhöhung bleibt die Fed vielmehr selbst Quelle der Marktvolatilität. Das Abwarten der Fed dürfte zu keiner stabileren Entwicklung an den Märkten beitragen."

- Andreas Bley, Chefvolkswirt Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR): "Leider hat die Fed die lange überfällige Leitzinserhöhung noch einmal herausgeschoben. Die Konjunktur hat sich in den USA weitgehend normalisiert. Dazu passt kein Leitzins nahe Null."

- Ulrich Kater, Chefvolkswirt DekaBank: "Die Entscheidung verdeutlicht, dass ein Ausstieg aus der Nullzinswelt sehr mühsam ist und sehr lange dauern wird."

- Tobias Rehbock, KfW: "Je länger die Fed wartet, umso höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass der Fed in konjunkturell schwierigen Zeiten ausreichend Munition fehlt. Das kann die Fed am allerwenigsten wollen - auch deshalb hätte sie die Zinsen erhöhen müssen."

- Asoka Wöhrmann, Deutsche Asset & Wealth Management: "Mit diesem Schritt hat sich die Fed den Erwartungen des Marktes gebeugt."

- Otmar Lang, Chefvolkswirt Targobank: "Die USA sind gefangen in der Zinsstarre - denn eine tatsächliche Wende in der Politik des billigen Geldes könnte die Erholung am US-Immobilienmarkt ins Wanken bringen."

- Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank: "Die Federal Reserve hat es wieder nicht gewagt. Wohl hauptsächlich wegen der Risiken in den Schwellenländern hat die US-Notenbank die Zinswende weiter aufgeschoben."

- Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank Gruppe: "Im Dezember sollte es aber so weit sein. Reagieren (Fed-Chefin) Janet Yellen und ihre Kollegen auch nicht zum Jahresende, verspielen die Notenbanker ihre Glaubwürdigkeit."

- Harm Bandholz, Chef-US-Ökonom UniCredit: "Die Fed muss endlich handeln."

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat offiziell nur einen Auftrag: auf Preisstabilität zu achten. Die US-Notenbank Federal Reserve, kurz Fed, hat ein duales Mandat: Sie muss auf Preisstabilität achten UND auf maximale Beschäftigung. Seit Donnerstagabend müsste man ergänzen: und auf alles, was irgendwo in der Welt passiert.

Die Begründung, warum US-Notenbankchefin Janet Yellen das Zinstief weiterhin beibehält ist nämlich alles andere als überzeugend. Indirekt räumt die Fed sogar ein, dass die Börsenturbulenzen in China und die Sorgen, dass darunter die globale Wirtschaft leiden könnte, sie davon abgebracht haben, die Zinsen anzuheben.

Die US-Arbeitslosigkeit ist nämlich tief wie lange nicht, der Inflationspfad ist zwar noch weit unter der Zielmarke von 2 Prozent - vor allem wegen des Ölpreises. Aber auf mittlere Sicht (der entscheidende Zeitraum) würden diese 2 Prozent erreicht. Die Fed erwähnt mit keinem Wort Deflationssorgen. Der Anlass für das Nichthandeln waren also "finanzielle und internationale Entwicklungen". Die Fed werde "Entwicklungen im Ausland beachten".

Das ist vor allem aus einem Grund bedenklich: Das wertvollste Instrument einer Notenbank ist die Glaubwürdigkeit. Sie kann mit Ankündigungen, nur mit Worten also, die Erwartungen des Marktes steuern und beeinflussen - aber nur, wenn ihr geglaubt wird. Janet Yellen wird es künftig schwer haben, dass ihr noch geglaubt wird.

Forward misguidance

Die Fed hat selbst das Instrument der "forward guidance" eingeführt. Das heißt, sie wollte den Märkten möglichst klare Hinweise darauf geben, wie sich ihre Geldpolitik entwickelt und woran sie sich orientiert - und zwar basierend auf harten Fakten. Allerdings wurden diese Ziele so oft geändert, umdefiniert oder neu gesteckt, dass diese Orientierungshilfe praktisch zum Krenreiben geworden ist. Ein Wegweiser, der im Zweimonatstakt umgesteckt wird, ist sinnlos.

Es stimmt schon: Die Finanzkrise hat die Notenbank rund um den Globus gezwungen, Experimente zu wagen, die zuvor undenkbar gewesen wären. Zu groß war die Furcht, aus Untätigkeit die Fehler der Großen Depression zu wiederholen, wo die restriktive Geldpolitik aus einer Krise eine Katastrophe gemacht hat. Deshalb wurden alle Schleusen geöffnet: die Zinsen auf Null gesenkt, Währungsaustausch-Programme der Banken untereinander gestartet, unbegrenzte Kreditlinien für die Banken und gewaltige Wertpapierankaufprogramme beschlossen.

Nur: Irgendwann muss damit wieder Schluss sein - idealerweise bevor man sich damit die nächste Krise einhandelt. Denn zur Erinnerung: Die Basis für die Subprime-Immobilien-, Finanz- und Verschuldungskrise hat Yellen-Vorvorgänger Alan Greenspan mit seinen ultratiefen Zinsen gelegt. Jetzt droht sich das zu wiederholen, wenn die Fed weiterhin Angst vor der Courage hat.

Börsenreaktion

Die unmittelbare Reaktion der US-Börsen nach der Bekanntgabe war ein deutliches Absacken. Das ist ungewöhnlich, denn der Nullzinssatz sollte die Börsenkurse eigentlich anschieben. Offenbar ist die Wahrnehmung: Wenn die Fed nicht handelt, dann muss sie sich ernsthafte Sorgen um die Entwicklung der globalen Wirtschaft machen.

Das eigentlich Besorgnis erregende: Die US-Wirtschaft präsentierte sich in den abgelaufenen Monaten konträr zu jener der Eurozone, nämlich äußerst stabil und solide. Wenn die US-Notenbank es jetzt nicht wagt, die Zinswende zumindest mit einem ersten, ohnehin nur symbolischen Minischritt zu starten, wie soll dann jemals eine Normalisierung der Zinsen zustandekommen?

Oder will man warten, bis die nächste Blase - Börsen, Anleihen, Immobilien, wo immer - platzt? Was dann, wenn der Zinssatz immer noch bei Null grundelt? Alles keine sehr ermutigenden Aussichten. Ein höherer Zinssatz würde zwar theoretisch die Konjunktur dämpfen und den Dollar stärken, es wäre aber auch als Zeichen der Stärke und Kalkulierbarkeit der US-Geldpolitik verstanden worden.

Jetzt geht die Unsicherheit weiter: Wann wird Yellen die Zinsen anheben - im Oktober? Möglich, sagt Yellen. Nein, sagen Fed-Kenner: Da gibt es keine Pressekonferenz und Yellen würde einen Zinsschritt doch wohl erklären wollen. Im Dezember, vor dem Weihnachtsgeschäft? Oder doch erst irgendwann 2016? Und wenn ja, wie rasch wird es dann gehen (müssen)? Fragen über Fragen, die die Märkte verunsichern und damit auch destabilisieren werden. Denn nichts ist so schädlich wie Ungewissheit.

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