Europas großer Richtungsstreit

Kurz vor Mitternacht sickerte die Information aus dem Sitzungssaal der EU-Granden durch: In den Finanzministerien der 17 Euro-Länder wird bereits an Szenarien für den Euro-Ausstieg Griechenlands gearbeitet. Das bestätigte der belgische Finanzminister.
Stundenlang wurde am Mittwoch hinter verschlossenen Türen über die Schuldenkrise verhandelt: Bis zum Tode gespart – oder weiter Schulden machen?
Erstmals in der Geschichte hat Deutschland eine Anleihe mit zweijähriger Laufzeit und null Prozent
Zinsen versteigert. Dass die Anleger zugreifen, liegt an der Euro-Krise: Der Euro sank am Mittwoch auf ein 22-Monats-Tief unter 1,26 Dollar.
Eine Steilvorlage im Richtungsstreit zwischen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande. Die Bruchlinie ist klar: Europa braucht weitere Sparpakete, sagt Merkel. Europa braucht mehr Wachstum und Beschäftigung, beharrt Hollande.
Frankreichs Präsident hat bei seinem ersten Auftritt vor EU-Kollegen seine Wahlversprechen im Visier und ein "anderes Europa" – Merkel dagegen die boomende Wirtschaft Deutschlands.
Der Streit lässt auch die anderen EU-Staats- und Regierungschefs nicht kalt. Viele Länder befinden sich in einer Rezession. Griechenland steht vor der Entscheidung, ob es die Euro-Zone verlässt, die Arbeitslosigkeit steigt, die Kauflaune sinkt. In Brüssel wurde nach Rezepten gesucht, wie die Krise bewältigt werden könnte:
Frankreich, Italien, Österreich, Luxemburg und andere schwören auf Eurobonds. Mit gemeinsamen Anleihen kämen auch schwächere Euro-Staaten günstig zu Geld. Merkel ist strikt dagegen, weil "Eurobonds nicht zum Wachstum beitragen". Unterstützt wird sie von Spanien, Finnland und Holland.
Zauberformel "Projektbonds"
Die Differenzen zwischen Berlin und Paris überschatteten den Gipfel. "Projekt-Bonds" könnte es geben. So sollen Stromnetze, Bahntrassen oder Internetverbindungen finanziert werden. In Österreich kämen der Brennerbasistunnel oder der Ausbau der Südbahnstrecke in Frage.
Bei den Projekt-Bonds geben private Unternehmen Anleihen zur Finanzierung von Großprojekten aus. Die EU-Kommission und die Europäische Investitionsbank übernehmen einen Teil des Risikos durch Garantien und Kredite. Frankreich sieht in den Projekt-Bonds einen ersten Schritt zu Eurobonds. Die Kommission und das Parlament haben eine Pilotphase der Projektbonds vorgeschlagen. 230 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt sollten als Garantie dienen.
Auch Faymann unterstützt Eurobonds als "langfristiges Projekt". Voraussetzung dafür seien aber "ausgeglichene Budgets", nur dann könne es "gemeinsame Haftungen geben und in der Zukunft eine Fiskalunion". Er sprach sich für einen Wachstumspakt aus, der beim Gipfel Ende Juni beschlossen werden dürfte. "Sparen alleine bringt keinen Aufschwung und keine Jobs", betonte Faymann.
Hitzig wurde auch über die Einführung der Finanztransaktionssteuer diskutiert. Mit allen 27 Ländern wird es diese nicht geben. Deutschland, Frankreich und Österreich sind dafür, Irland und Großbritannien dagegen. "Wir brauchen ein Koalition der Willigen", bekräftigte der Kanzler. "Die Zinslast der Euro-Mitglieder mit derzeit 300 Milliarden Euro pro Jahr muss gesenkt werden. Wenn die Steuer nur in den 17 Euro-Staaten eingeführt würde, brächte sie 30 Milliarden pro Jahr.
Neues Machtgefüge
Bevor der Gipfel begann, trafen die Vertreter der großen Parteienfamilien, die Europäische Volkspartei und die Europäischen Sozialdemokraten zusammen. Hannes Swoboda, Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, ortet einen "Richtungswechsel in Europa. Hollande ist nicht der Einzige, der sich für einen Kurswechsel einsetzt".
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