Eurokrise: Spanien erhält 100 Milliarden

Ein Ferienhaus am Meer – in Benidorm vielleicht oder in Marbella. Aus dem Traum vieler Briten wurde der Albtraum der Spanier: Auf den Bauboom an Spaniens Küsten folgte das Platzen der Immobilienblase, faule Kredite, notverstaatlichte Banken und die höchste Arbeitslosenrate der EU.
Bis zu 100 Milliarden aus den EU-Töpfen sollen den Teufelskreis nun durchbrechen. Lange weigerten sich die stolzen Spanier, als viertes Euroland unter den EU-Rettungsschirm zu flüchten. Doch Samstag, 16 Uhr, liefen die Telefone in den Finanzministerien der Euroländer heiß. Thema: Ein Hilfsantrag Spaniens. Wenige Stunden zuvor hatte der Internationale Währungsfonds seine Untersuchung des spanischen Bankensektors abgeschlossen. Ergebnis: Bricht Spaniens Wirtschaft weiter ein, fehlen den Banken mindestens 40 Milliarden Euro. Um die gesamte Branche zu restrukturieren, seien gar 90 notwendig.
Zu viel für jedes Budget: Die konservative Regierung unter Premier Mariano Rajoy beschloss Sparpaket um Sparpaket, um das Haushaltsdefizit von 8,3 auf 5,3 Prozent zu senken. 27 Milliarden Euro sollen heuer eingespart werden – was zahlreiche Proteste nach sich zog.
Wochenlang weigerte sich Rajoy, um EU-Hilfe anzusuchen. Samstagvormittag schließlich besprach Rajoy mit Oppositionsführer Alfredo Perez Rubalcaba den Ernst der Lage. Wenig später meldete Spaniens Nachrichtenagentur:
Ein Hilfsantrag an die EU sei nun "jederzeit möglich". Nach drei Stunden Telefonkonferenz einigten sich auch die Euro-Finanzminister. Finanzministerin Maria Fekter erklärte im Anschluss: "Bis zu 100 Milliarden Euro stehen für Spanien bereit." Sobald der tatsächliche Kapitalbedarf feststehe, rechne sie mit einem Hilfsansuchen (siehe Interview Artikelende).
Bankenhilfe

Zugespitzt hatte sich die Krise Anfang Mai mit der Not-Verstaatlichung der Großsparkasse Bankia. Der Plan der Regierung, aus mehreren angeschlagenen kleinen Sparkassen ein widerstandsfähiges Großinstitut namens Bankia zu formen, ging nicht auf: 23 Milliarden Euro an frischem Geld braucht allein diese Großbank, die wie viele andere auf einem Berg notleidender Immobilienkrediten sitzt.
Im Gegensatz zu Griechenland, Irland und Portugal soll daher nicht Spanien selbst unter den Rettungsschirm müssen, sondern nur der Bankenrettungsfonds. Das Land erspart sich damit die strengen Auflagen wie in Griechenland oder Portugal, muss "nur" Regeln für die Banken erdulden.
"2011 war die spanische Staatsschuld in Prozent des Bruttoinlandsprodukts kleiner als jene in Österreich", erklärt Wirtschaftsforscher Marcus Scheiblecker vom WIFO den Grund für diesen Schritt. "Spanien braucht nur deshalb Hilfe, weil der Staat den Banken helfen muss." Allerdings hätte der Staat vor der Krise wenig getan, um Bau- und Kreditboom einzudämmen.
Auf den Rausch folgt der Kater, doch die Pille der Bankenhilfe durch die EU-Rettungstöpfe scheint zu wirken. Scheiblecker ortet Entspannung: An den Finanzmärkten hätten allein die Gerüchte über EU-Geld für Spanien Unsicherheit herausgenommen. Die Zinsen für Spaniens Staatsanleihen sanken am Freitag.
Kein Geld für Italien

Mit der Hilfe für Spaniens Banken sind aber die EU-Rettungsschirme an der Belastbarkeitsgrenze. 217 Milliarden Euro sind derzeit in den EU-Rettungstöpfen, schreiben die Analysten von Raiffeisen Research. Im Juli komme die 107 Milliarden Euro schwere erste Tranche des ständigen Rettungsfonds ESM zur Einzahlung. Doch erst ab 2014 werde der ESM über die vollen 500 Milliarden Euro verfügen können.
Gleichzeitig erwarten die Analysten ein zweites Hilfspaket für Portugal und ein kleines für Zypern. "Die EU-Mittel reichen aus, um den zukünftigen Finanzierungsbedarf Spaniens und Portugals abzudecken", heißt es. Dann ist aber Schluss.
"Italien zu retten wie Griechenland ist unmöglich", meint auch Scheiblecker. Christian Keuschnigg, neuer Chef des Institutes für Höhere Studien (IHS), pochte daher schon auf eine "massive Aufstockung" des ESM-Rettungsfonds. Größenordnung: Eine Billion Euro – das sind 1000 Milliarden. Könnte es sein, dass Österreich damit erneut zum Handkuss kommt? "Es kann sein, dass man aufstocken muss", meint Scheiblecker. "Denn der ESM ist eine Kriegskasse, die davon lebt, wie groß ihre Abschreckung ist."
Die Debatten um die Euro-Rettung gehen also weiter. Schon am 17. Juni könnten sie kräftig beschleunigt werden: Wenn bei den Wahlen in Griechenland die linke SYRIZA-Partei als Wahlsieger hervorgeht, scheint Athens Ausstieg aus dem Euro fixiert.

"Spanien wird demnächst um Hilfe ansuchen"
Drei Stunden diskutierten die Euro-Finanzminister am Samstag über die Rettungsaktion für Spanien. Um 19.30 Uhr stand fest: Spanien kann für seine Banken bis zu 100 Milliarden Euro von der EU abrufen. Finanzministerin Maria Fekter erklärt im KURIER-Gespräch die Eckpunkte.
Warum Spanien so viel Geld braucht: Die 100 Milliarden Euro umfassen den Rekapitalisierungsbedarf für das Banksystem, Geld für die Restrukturierung der Branche sowie einen Puffer, wenn es im Zuge des Prozesses zu weiteren Abwertungen kommt.
Bis wann das Geld fließt: Das hängt davon ab, wann Spanien den Hilfsantrag an die EU stellt. Derzeit prüfen unabhängige Kontrollore den Finanzbedarf. Wenn die Berichte am Tisch sind, weiß man auch über den exakten Kapitalbedarf Bescheid. Ich rechne aber damit, dass Spanien demnächst um Hilfe ansuchen wird. Damit könnte wohl Anfang Juli die erste Tranche über den EFSF-Rettungsschirm ausbezahlt werden.
Welche Auflagen Spanien erfüllen muss: Wenn Spanien den Antrag gestellt hat, muss das Land mit der Eurogruppe ein Memorandum of Understanding ausverhandeln. Darin werden die Kriterien für die Kredite festgelegt, etwa die Kapitaldecke für die Banken oder Effizienzsteigerungsprogramme.
Wer die Hilfskredite der EU erhalten wird: Das Geld wird an den Staat gegeben, der es an die Banken weiterreicht. Die Europäischen Institutionen haben klargemacht, sie verhandeln nur mit Regierungen, nicht mit den einzelnen Bankdirektoren.
Die Rolle des Internationalen Währungsfonds: Der IWF hat in seiner Prüfung festgestellt, dass nicht Spaniens Wirtschaft oder der Staatshaushalt die großen Probleme sind, sondern dass es im Bankenbereich Rekapitalisierungsbedarf und Restrukturisierungsbedarf gibt. Dafür gibt es kein Geld vom IWF, denn der IWF kann nur Länder unter sein Programm nehmen, nicht aber Banken. Der Währungsfonds wird die EU aber mit Monitoring und Kontrollen unterstützen.
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