EU begrenzt "Wetten auf Essen" – Deal mit Schlupflöchern

EU-Behörde legt Obergrenzen für Spekulationsexzesse mit Lebensmitteln und Öl fest.

Weltweit leiden 842 Millionen Menschen Hunger. Wenn Rohstoffe wie Weizen, Reis oder Mais teurer werden, kann das für sie über Leben oder Tod entscheiden.

Nicht immer sind nur Missernten für Preissprünge verantwortlich. 2008 und 2011 schoss der Preis für eine Tonne Weizen binnen kurzer Zeit auf knapp 300 Euro hoch. Auch der Ölpreis stieg auf Rekordniveau – Experten vermuten, dass Finanzwetten daran beträchtlichen Anteil hatten. Der Handel von Wertpapieren (Derivaten), die von Rohstoffpreisen abhängen, hat in den vergangenen Jahren explosionsartig zugenommen.

London war dagegen

Die EU will den ärgsten Spekulationsexzessen einen Riegel vorschieben. Nach fast acht Stunden Verhandlungen waren sich die Chefverhandler des EU-Parlaments, der Mitgliedsstaaten und der Kommission in der Nacht auf Mittwoch einig. Ein einzelner Händler darf künftig nicht mehr unbeschränkt mit Rohstoffpapieren zocken.

Der Teufel liegt dabei im Detail. Großbritannien wollte die Beschränkungen unbedingt verhindern, weil es Schaden für den Finanzplatz London befürchtet. Weil die Briten aber nur acht weitere Länder auf ihre Seite ziehen konnten, gab es einen Kompromiss: Die europäische Wertpapieraufsicht (ESMA) in Paris wird die Berechnungsmethode festlegen. Die Obergrenzen können dann aber die nationalen Behörden selbst definieren.

USA ebenfalls aktiv

Die Sorge ist, dass die Limits dadurch verwässert werden. Schlimmstenfalls wäre die Neuregelung wirkungslos, sagt Benoît Lallemand, Experte der Nichtregierungsorganisation Finance Watch. „Uns wäre eine klar definierte Formel viel lieber gewesen.“ Man werde die Ausarbeitung der Regel genau verfolgen.

„Kein Mitgliedsland, auch nicht Großbritannien, kann die Regeln umgehen.“

„Keine Sorge“, zerstreut der deutsche EU-Abgeordnete Markus Ferber (CSU) im Gespräch mit dem KURIER diese Befürchtungen: „Kein Mitgliedsland, auch nicht Großbritannien, kann die Regeln umgehen.“ Ferber hat die Einigung für das EU-Parlament ausverhandelt. Er betont, dass die Wertpapierbehörde ESMA strikt darauf achten werde, dass Geschäfte nicht von einem Land ins andere verlagert werden oder die Mitgliedstaaten die Vorschriften aufweichen. EU-Parlament und der EU-Rat müssen jetzt noch abstimmen. Ferber rechnet damit, dass alles glatt läuft und der Gesetzestext sogar noch vor der EU-Wahl im Mai unter Dach und Fach ist.

Auch die USA nehmen den Rohstoffhandel bei Finanzinstituten stärker unter die Lupe. Einige Großbanken wie JP Morgan haben schon vorsorglich Teile ihres Rohstoff-Geschäfts verkauft.

Konsumentenschutz

Neue Regeln gelten in der EU künftig auch für den vollautomatischen Wertpapierhandel (siehe Stichwort) durch Computer. Händler müssen ihre Programme von ESMA überprüfen lassen. Käufe und Verkäufe, die innerhalb von Sekundenbruchteilen getätigt werden, müssen künftig eine Mindestgröße haben.

Konsumenten werden künftig besser geschützt. Ein unabhängiger Finanzberater darf keine versteckten Provisionen für Vertragsabschlüsse entgegennehmen. Die EU stellt es den Staaten frei, nur noch Beratung gegen Honorar zuzulassen – wie die Briten. Das klingt zwar vernünftig. Damit würde kleinen Sparern der Zugang zu vielen Anlageprodukten aber ganz versperrt, wendet Ferber ein.

Wer eine lange Leitung hat, verliert. Das ist für Profi-Wertpapierhändler wörtlich zu nehmen. 53 Prozent des Aktienhandels in den USA und 37 Prozent in der EU werden schon im Hochgeschwindigkeitstempo ausgeführt: Ein Wimpernschlag dauert 350 Millisekunden – in dieser Zeit kaufen und verkaufen Computer Wertpapiere bis zu 7000 (!) Mal. Schnelle Rechner und kurze Datenkabel bringen einen Vorsprung. Der Handel per Autopilot hat mehrfach spektakuläre Kursstürze verursacht.

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