Roiss: "Amerika fährt uns davon"

Dr. Gerhard Roiss, OMV Chef, Interview
Europas Industrie sieht einen wachsenden Wettbewerbsnachteil gegenüber den USA.

OMV-Generaldirektor Gerhard Roiss hat in Berlin am „European Round Table“ mit 20 anderen Konzernchefs teilgenommen. Nach einem Gespräch mit Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande sprach Roiss mit dem KURIER.

KURIER: Herr Generaldirektor Roiss, bei dem Round Table war von einer Deindustrialisierung Europas die Rede. Warum?Gerhard Roiss: Weil das die Fakten sind. Die Länder mit bedeutender Industrie sind sehr gut durch die Krise gekommen, Länder mit stagnierender Industrie, wie zum Beispiel England, haben große Probleme. Die Zusammenhänge zwischen Industrialisierung, Krisenbewältigung, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit sind bewusst.

Damit sind wir bei den Kosten der Energie, die, verglichen mit den USA, höher sind.

Amerika hat durch die Schiefergas-Produktion nicht nur billiges Gas, sondern auch den CO2-Output gesenkt. In Europa ist man in einer Sackgasse. Bisher galt das Dogma, wenn ich hohe Energiepreise habe, dann ermögliche ich es den Erneuerbaren, in den Markt zu kommen. Das ist falsch. Amerika hat niedrige Energiepreise, hat mehr Gas, mehr Industrialisierung und hat weniger CO2-Ausstoß. Also kann man den europäischen Weg einfach nicht weitergehen.

Aber gerade in Deutschland redet die Regierung seit Jahren von der Energiewende. Das heißt mehr Geld für die Erneuerbaren, aber ein klares Bekenntnis gegen Schiefergas. Ist das thematisiert worden?

Deutschland diskutiert, wie man Schiefergas nutzen kann, auch andere Länder rollen die Diskussion um Schiefergas wieder auf. Denn neues Gas hilft, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Sie fordern also, dass auch in Europa Schiefergas gefördert wird?

Das haben wir schriftlich so festgehalten, dass Europa im Energiemix Gas favorisieren soll.

Unter strengen Umwelt- und Sicherheitsauflagen, heißt es aber in dem Papier.

Selbstverständlich.

Heißt das, Sie würden Schiefergas in Europa anders gewinnen wollen als Amerika? Geht das ohne Chemie?

Die Diskussion wird hier naiv geführt. Wie vor zehn Jahren Schiefergas produziert wurde und heute, das ist ja ganz ein anderer Weg. Natürlich ist da die Ökologie ein Thema. Es geht darum, einen ökologisch vertretbaren Weg für Europa zu definieren, das hat man längst erkannt.

Und das geht technisch?

Das ist technisch machbar, man braucht halt Zeit, das zu entwickeln. Auf diesem Weg sind wir. Aber wenn wir in Österreich uns einfach dem entziehen und wir es gar nicht einmal versuchen, dann kann es keine Entwicklung geben.

Was heißt das für Österreich?

Probebohrungen nach Schiefergas sind zum ersten gesetzlich vernünftig gar nicht möglich und zweitens haben wir zurzeit ganz andere Prioritäten. Wir haben ja die großen Funde im Schwarzen Meer. Da sind die Prioritäten, dort die nächsten Bohrungen vorzubereiten.

Europa braucht Schiefergas, aber in Österreich soll es nicht gefördert werden. Warum?

Weil ich das Thema europäisch sehe. Europa braucht mehr Gas, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und wenn man mehr Gas braucht, kommt man um Schiefergas nicht herum. Europa hat ausreichend davon.

Kommen wir zu den erneuerbaren Energien, Wind und Sonne vor allem. Da wurde schon sehr viel Geld investiert. In Ihrem Papier sprechen Sie davon, die zweite und dritten Generation erneuerbarer Energie zu fördern. Was ist das?

Das ist mir ein ganz besonderes Anliegen. 50 Milliarden US-Dollar wurden in Europa kurzfristig jährlich investiert, um eine noch immer nicht wettbewerbsfähige Energie marktfähig zu machen. Gleichzeitig aber wurden die Investitionen für wirkliche Innovationen vernachlässigt. Mit Solar und Wind kommen wir bestenfalls auf einen Anteil am Energiemix von 20 bis 25 Prozent. Und was passiert mit dem Rest?

Welche Innovationen?

Da gibt es zum Beispiel die Geothermie und das Thema Wasserstoff. Das Spektrum ist sehr weit. Aber da brauche ich die entsprechenden finanziellen Mittel. Ein Land allein ist überfordert, es braucht ein europäisches Konzept und gemeinsame Investitionen.

Haben die Politiker bei dem Round Table verstanden, dass es europäische Lösungen braucht?

Ja. Europa hat keine gemeinsame Energiepolitik, sie agiert in Fragmenten. Europa hat eine gemeinsame Klimapolitik, aber keine europäische Industriepolitik, keine europäische Energiepolitik. Das Manko ist erfasst, das geht aber nicht von heute auf morgen. Das ist kein Versagen der Kommission, sondern ein Bekenntnis zum Integrationsprozess in Europa. Wir sehen jetzt, Europa ist in der Sackgasse, Amerika fährt uns davon. In Amerika werden drei Millionen Arbeitsplätze alleine durch Schiefergas geschaffen.

Wird die OMV in die 2. und 3. Generation der erneuerbaren Energie investieren?

Wir planen langfristig. Wir schauen uns Wasserstoff an oder auch biogene Treibstoffe. Aber das sind Projekte, die noch Jahre bis zur Marktreife brauchen. Mit der ersten Generation schafft man die Energiewende nicht. Und das muss Europa begreifen.

Im Moment reden alle über Gasvorkommen zwischen Zypern und dem Nahen Osten. Realistisch oder ist das nur eine Hoffnung Zyperns?

Europa verfügt über viel Erdgaspotenzial. Das ist wichtig, wenn man von der Energiewende spricht. Die Frage ist wo. Bekannt ist natürlich die Nordsee. Vor Kurzem wurden wir erstmals im Schwarzen Meer fündig, da ist noch sehr viel Potenzial vorhanden. Und es gibt drittens das östliche Mittelmeer, Richtung Ägypten, Libanon bis hinauf nach Zypern. Der Bereich in Zypern ist noch in einem sehr frühen Stadium, da kann man noch nicht wirklich viel sagen, da ist vieles im Bereich der Spekulation. Wir selbst haben dort keine Interessen, wir sind ausreichend mit den Plänen im Schwarzen Meer und der Nordsee beschäftigt.

Zur Person

Karriere Der gebürtige Oberösterreicher Gerhard Roiss, der am 2. April seinen 61. Geburtstag feiert, hat in Wien, Linz und den USA Wirtschaft studiert. 1990 kam er zur OMV, seit 1997 ist er im Vorstand. Am 1. April 2011 folgte er Wolfgang Ruttenstorfer als OMV-Chef nach. Roiss ist verheiratet und hat drei Kinder, ist begeisterter Marathonläufer und Kunstliebhaber.

OMV Der Öl- und Gaskonzern mit knapp 30.000 Mitarbeitern, davon ein Großteil in der rumänischen Tochter Petrom, ist in drei Bereichen aktiv: der Öl- und Gasförderung, derzeit das lukrativste OMV-Geschäft; in Raffinerien und Tankstellen und im Gas-Verkauf. Die OMV gehört zu 31,5 Prozent der ÖIAG, zu 24,Prozent der IPIC aus Abu Dhabi. Der Rest ist im Streubesitz.

Seit den 1980er-Jahren treffen einander die Chefs von 20 europäischen Konzernen zwei Mal im Jahr, um über Entwicklungen der Industriepolitik zu sprechen.

Bei einem Treffen im Berliner Kanzleramt vor einigen Monaten schlug OMV-Generaldirektor Gerhard Roiss der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, mit den europäischen CEOs über gemeinsame Industriepolitik zu diskutieren. Merkel griff die Idee auf und lud auch noch den französischen Präsidenten Hollande und EU-Kommissionschef Barroso zu einer großen Tagung nach Berlin.

Die Vertreter der europäischen Großindustrie verfassten anschließend einen Forderungskatalog:

MixEuropa braucht einen Energiemix. Gas sollte dabei bevorzugt behandelt werden.

GeothermieErneuerbare Energie, die subventioniert wird, muss sich einmal selbst rechnen. Förderungen müssen in Richtung erneuerbare Energie der 2. und 3. Generation verschoben werden, etwa Geothermie.

Schiefergas Soll abgebaut (gefrackt) werden, wobei auf Sicherheit und Umweltverträglichkeit Rücksicht genommen werden muss.

Effizienz Energieeffizienz ist wesentlich, es muss dafür permanent Geld investiert werden.

Wettbewerb Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie ist genauso wichtig wie sichere Energie und der Klimawandel.

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