"Die Industrie entdämonisieren"

Ein Mann im Anzug gestikuliert während eines Gesprächs.
Warum Wolfgang Hesoun Mitleid mit der Politik hat und wie er die Technikfeindlichkeit bekämpft.

KURIER: Wie zufrieden sind Sie als Vertreter der Wiener Industrie mit der Steuerreform?

Wolfgang Hesoun:Ich finde es schade, dass im allgemeinen Schimpfen untergeht, dass da jetzt fünf Milliarden Euro verteilt werden. Da tut mir die Politik fast leid, weil ich schon denke, dass sie die Stimmung im Land heben und die Kaufkraft verbessern wollte.

Ist die Regierung bei der Betrugsbekämpfung nicht übers Ziel geschossen?

Nein. Wir zahlen alle unsere Abgaben. Ich habe überhaupt kein Verständnis für Protestaktionen nach dem Motto: "Lass mich weiter Steuern hinterziehen."

Es scheint zwei Stimmungskiller zu geben: Steuern und Flüchtlinge.

Die Flüchtlingsproblematik hat sicher dazu beigetragen, dass die Leute um ihre Arbeitsplätze besorgt sind. Aber da wurde auch viel Blödsinn behauptet.

Besser qualifizierte Zuwanderer verdrängen wohl tatsächlich schlechter ausgebildete.

Das war immer schon so: Die mit dem niedrigsten Ausbildungsniveau haben zu Recht Sorge, dass sie am leichtesten ersetzbar sind.

Müsste der Leistungsgedanke in Österreich wieder mehr in den Vordergrund rücken? Man kann es sich – von Mindestsicherung bis Frühpension – recht bequem einrichten.

Dass unser Sozialstaat Geld kostet, ist klar. Das fehlt mir in der Steuerreformdebatte: Wie schaffe ich es, dass die Politik wieder Handlungsspielraum kriegt? Woher nehme ich Mittel für neue Investitionsprogramme? Da muss es auch möglich sein, über wohlerworbene Rechte zu diskutieren.

Österreich rutscht derzeit in allen Rankings ab.

Ich will nichts gesund reden, aber wir sind weiterhin ein gut funktionierender Industriestaat, nutzen die Chancen aber nicht ausreichend.

Wo denn?

Wir sollten nicht über Osteuropa raunzen, sondern wieder verstärkt hingehen, auch wenn die Finanzierung durch österreichische Banken seit 2008 schwieriger geworden ist. Wir müssen insgesamt unsere Chancen mehr nutzen, etwa bei Industrie 4.0 (Digitalisierung der industriellen Produktion, Anm.). Da sind wir teilweise weltweit vorne.

Sind wir das denn noch immer?

Ja, die gut funktionierende Zulieferindustrie hat gar keine andere Wahl. Europa muss insgesamt den Innovationsvorsprung halten. Weil über die Stückkosten werden wir im internationalen Wettbewerb nicht gewinnen.

Da ist Asien vorn.

Aber mittlerweile wird zum Beispiel in Rumänien billiger und besser produziert als in China, weil dort die Lohnkosten gestiegen sind. Bei Siemens haben wir deshalb einiges wieder nach Osteuropa verlagert.

Womit gewinnt ein Hochlohnland wie Österreich?

Über Produktivität und Know-how-Vorsprung. Das müssen wir halten.

Ist das haltbar, wenn alle über die abnehmende Lehrlingsqualität, speziell in Wien, klagen?

Da gibt es auch eine Verantwortung der Unternehmen. Aus der Sicht von Siemens ist es aber natürlich einfacher, weil wir eine große Auswahl haben und die kriegen, die besser qualifiziert sind.

Siemens baut laufend Leute ab, derzeit vor allem in Deutschland. Wird Österreich da auch wieder betroffen sein?

Wir haben vor zwei Jahren in Österreich 300 Leute aufgenommen, da hat uns keiner ein Dankschreiben geschickt. Nicht-Wachstum heißt Produktivität halten, und das bedeutet: auf die Kosten schauen. Wir sind in Österreich aber gut unterwegs. Ich sehe keine gröberen Bewegungen. Natürlich hat uns das Energiethema in Europa erwischt. E.ON ist gespalten, die RWE am Weg dorthin.

Schuld ist die Energiewende?

Aus meiner Sicht ist das Fördern von Einspeisetarifen – zugesagt auf unendliche Zeiten – der falsche Ansatz.

Was wäre der richtige?

Investitionen in ein neues Produkt sollten nur so lange gefördert werden, bis es marktfähig ist. Danach muss es der Markt hergeben – oder eben nicht.

Konzern und Kraftwerk: Begriffe, mit denen Österreicher wohl wenig Positives assoziieren.

Stimmt. Das kommt gleich nach Politiker und Journalist. (lacht)

Herrscht im deutschsprachigen Raum Technikfeindlichkeit?

Ja. Wir haben in den Achtzigerjahren – beim Aufkommen der Grünen – eine vernünftige Debatte verabsäumt. Die Lehrer von heute geben diese Grundeinstellung weiter, was auch dazu führt, dass zu wenig Leute Technik und Naturwissenschaften studieren. Man muss die Industrie wieder entdämonisieren. Dazu haben wir Schulprojekte gestartet – mit positivem Feedback.

Gibt es eine Funkstörung zwischen Politik und Wirtschaft?

Also bei mir nicht. Wobei Politiker, speziell die Interessenvertretungen, noch immer zu sehr glauben, Dinge installieren zu können. Dabei kann Politik nur Rahmenbedingungen schaffen.

Was bräuchte Siemens denn von der Politik?

Da geht es um Wertschöpfung: Wir haben hohe Kosten am Standort Österreich. Ich werde daher nur vernünftig produzieren können, wenn ich auch die Möglichkeit habe, mein Produkt im Inland zu verkaufen. Wenn dann aber auf einmal Weltmarkt gespielt wird …

… und die Stadt Wien Bombardier-Straßenbahnen statt den ULF von Siemens kauft....

Das haben jetzt Sie gesagt, aber da gibt es ja auch zahlreiche andere Beispiele.

Made in Austria sollte ein Vorteil bei Ausschreibungen sein?

Mir ist schon klar, dass man mit Protektionismus in Brüssel ein Problem kriegt. Aber es gibt auch einen Weg dazwischen: siehe Frankreich oder die USA. Bei der Vergabe sollten auch Qualität und Auswirkungen auf den Standort Beachtung finden. Siemens beschäftigt österreichweit 10.000 Nach-Unternehmer. Andere haben ihre Wertschöpfung in Hamburg, Berlin oder London. Die Treue unserer lokalen Kunden ist schon ein Faktor, den man nicht unterschätzen sollte.

Siemens hat es ja ohnehin immer relativ geschickt gemacht, indem Leute aus der Politik ins Unternehmen geholt wurden.

Natürlich kennt man einander, aber dafür muss man nicht in der Politik gewesen sein. Die Leistung muss ja trotzdem passen. Wir waren nie die billigsten, sondern die qualitativ hochwertigsten.

Schrumpft die Industrie in Wien?

Das ist nur bedingt richtig – manche siedeln sich im Umland an. Der Beschäftigungseffekt der Industrie ist groß – auch wenn alle immer nur die Klein- und Mittelbetriebe schützen wollen. Die findet man sympathischer, eine Art Welpen-Effekt. Die böse Industrie hingegen soll sich ihren Schmarrn selbst machen. Die Stadt Wien ist sich dessen aber bewusst, wir arbeiten gut zusammen.

Ist es wegen Ihrer SPÖ-Nähe ausgeschlossen, dass Sie IV-Österreich-Präsident werden?

Ich sehe keine Nachfolgediskussion. Georg Kapsch ist engagiert, ich würde mich freuen, wenn er weitermachen würde. Ich selbst bin aus vielerlei Gründen kein Thema. Da bin ich Realist.

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