Deutschland befindet sich "mitten im Abschwung"
Der Optimismus ist verflogen, führende Konjunkturforscher betrachten die deutsche Wirtschaft mit Sorgenfalten. Die Ökonomen erwarten für 2014 nur noch 1,3 Prozent Wachstum, wie aus dem am Donnerstag veröffentlichten Herbstgutachten für die Bundesregierung hervorgeht. Auch im nächsten Jahr werde es nur ein mageres Plus von 1,2 Prozent geben.
"Der Konjunkturmotor kommt nur schwerlich wieder auf Touren."
Bisher hatten die Fachleute einen kräftigen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 1,9 Prozent und im nächsten Jahr von 2,0 Prozent veranschlagt. "Die deutsche Wirtschaft befindet sich mithin in einem - wenn auch nicht allzu ausgeprägten - Abschwung." Nach dem Schrumpfen der Wirtschaftskraft im Frühjahr habe es wohl auch im Sommer nur eine Stagnation gegeben. "Der Konjunkturmotor kommt nur schwerlich wieder auf Touren."
Als Grund für den schwindenden Optimismus nannten die Ökonomen, dass die Nachfrage nur mäßig anziehe und sich vor allem die Eurozone langsamer erhole als erhofft. Zudem habe sich die Stimmung der heimischen Verbraucher eingetrübt und die Unternehmen zögerten mit Investitionen. "Internationale Krisen wie der weiter schwelende russisch-ukrainische Konflikt und die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien und im Irak trübten die wirtschaftlichen Aussichten zusätzlich ein."
Auch vom Jobmarkt wenig Erfreuliches
Kaum etwas spreche dafür, dass die Firmen ihre Investitionszurückhaltung bald ablegten. Die Unternehmen würden ihre Ausgaben in Maschinen und Anlagen in diesem und im nächsten Jahr jeweils um rund vier Prozent steigern. Im Frühjahr hatten die Forscher hier noch Anstiege von knapp sechs und gut acht Prozent vorausgesagt.
Die schwächere Konjunktur trifft den Instituten zufolge auch den Jobmarkt. Die Zahl der Arbeitslosen werde 2014 leicht auf 2,91 Millionen sinken, allerdings 2015 wieder auf 2,96 Millionen steigen. Dennoch werde es in beiden Jahren einen Beschäftigungsrekord geben. Die Zahl der Erwerbstätigen klettere im nächsten Jahr auf 42,65 Millionen, aber langsamer als zuletzt. Grund für die Entwicklung ist, dass Arbeitslosen wegen mangelnder Qualifikation die Jobsuche immer schwerer fällt, während viele Zuwanderer eine Stelle finden.
Regierung unter Beschuss
Die Ökonomen machen die Politik der deutschen Regierung für den Abschwung mitverantwortlich. "Die Aussichten für die Konjunktur sind auch deshalb gedämpft, weil Gegenwind von der Wirtschaftspolitik kommt."... "Das Rentenpaket und die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns wirken wachstumshemmend." So verhinderten die "Rentengeschenke der Bundesregierung" eine Senkung des Pensionsbeitrags. Zudem nutze die große Koalition ihren Spielraum nicht, um mehr zu investieren. "All dies wirkt sich wohl negativ auf die private Investitionsneigung aus."
Um die Binnenkonjunktur in Schwung zu bringen, empfehlen die Institute Steuersenkungen für Unternehmen. Deren Belastung sei zwar mit der Reform 2008/09 dank geringerer Sätze merklich zurückgegangen. "Allerdings liegt Deutschland hinsichtlich der nominellen und der effektiven Steuerbelastung nach wie vor im oberen Drittel der Industrieländer und deutlich über der in den meisten Schwellenländern", so die Fachleute. Unternehmen könnten zudem durch eine Deregulierung und Bürokratieabbau entlastet werden.
Einem breit angelegten Investitionsprogramm des Staates erteilen die Institute allerdings eine Abfuhr. Sie sprechen sich stattdessen für eine bessere Bildung aus. "Hohe Renditen wirft beispielsweise die frühkindliche Erziehung ab, zumal eine gute Infrastruktur für die Betreuung von Kindern auch dadurch positiv auf das Arbeitsangebot wirkt, dass sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert."
"Jetzt kommt ein Stresstest für die Beschlüsse der großen Koalition."
Auch aus der Wirtschaft kommen Vorwürfe. "Der außenwirtschaftliche Rückenwind ist nicht mehr da", sagte der Vize-Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. "Jetzt kommt ein Stresstest für die Beschlüsse der großen Koalition." Die Frage sei, wie die Reformen - vom Mindestlohn bis zur Mütterrente - die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Produkte belasteten. Treier forderte mehr Investitionen. "Besonders die öffentliche Infrastruktur ist immer weniger ein Standortvorteil." Auch müssten Abschreibungsmöglichkeiten für private Investitionen verbessert werden. "Und wir brauchen auch ein Freihandelsabkommen mit den USA. Das belastet den Staatshaushalt nicht, fördert aber mehr Investitionen, Produktion und Konsum", sagte Treier.
Auch für Deutschlands Exporteure setzt es nach dem Rekordmonat Juli einen Rückschlag: Im August brachen die Ausfuhren zum Vormonat um 5,8 Prozent ein, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Das ist der stärkste Rückgang seit gut fünfeinhalb Jahren: Im Januar 2009 war der Außenhandel wegen der weltweiten Wirtschaftskrise weggebrochen mit damals 7,1 Prozent Exportminus.

Die Unternehmen verkauften Waren im Wert von 84,1 Mrd. Euro ins Ausland und damit 1,0 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Dagegen war im Juli zum ersten Mal in einem Monat die 100-Milliarden-Euro-Marke übertroffen worden. Während die Geschäfte mit den EU-Ländern um 2,0 Prozent anzogen, schrumpften die mit dem Rest der Welt um 4,7 Prozent im Vergleich zum August 2013. Der Überschuss in der Handelsbilanz - die Differenz zwischen Aus- und Einfuhren - fiel auf 17,5 Mrd. Euro.
Der Aufschwung in Deutschland ist erst einmal vorbei. Volkswirte machen dafür vor allem externe Faktoren verantwortlich:
UKRAINE-KRISE:
Sie kostet die deutsche Wirtschaft viel Geld. Im ersten Halbjahr brachen die Exporte nach Russland um 15,5 Prozent ein. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag rechnet im Gesamtjahr mit einem Minus von etwa 20 Prozent, was die Exporteure etwa sechs Milliarden Euro kosten würde. Schwerer noch wiegt die mit der Ukraine-Krise und dem drohenden Handelskrieg mit Russland verbundene Verunsicherung, wegen der Investitionen ausbleiben. Die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Unternehmen trübte sich im September bereits den fünften Monat in Folge ein und ist nun so schlecht wie seit knapp anderthalb Jahren nicht mehr, wie das Ifo-Institut bei seiner Umfrage unter 7000 Managern herausfand.
SCHWACHE EURO-ZONE:
Die Währungsgemeinschaft sollte nach Jahren der Krise wieder in Schwung kommen und damit auch der deutschen Wirtschaft neue Impulse geben. Doch Deutschlands wichtigster Exportkunde – knapp 40 Prozent der Ausfuhren gehen in die Euro-Länder - steckt in der Flaute. Der Internationale Währungsfonds (IWF) senkte die Wachstumsprognose für 2014 von 1,1 auf 0,8 Prozent, für 2015 von 1,5 auf 1,3 Prozent. In Frankreich stagniert die Wirtschaft seit Monaten, Italien rutschte gar in eine Rezession zurück. Zudem ist die Gefahr einer Deflation nicht gebannt. Kommt es zu einem Preisverfall auf breiter Front, hätte das verheerende Folgen: Die Unternehmen würden nicht mehr investieren und einstellen, Verbraucher große Anschaffungen hinauszögern, die Konjunktur in die Knie gehen - wohl auch in Deutschland.
CHINA-ABSCHWUNG:
Die Regierung in Peking erwartet 2014 das schwächste Wachstum seit 24 Jahren. Einige Volkswirte befürchten sogar einen Einbruch der nach den USA zweitgrößten Volkswirtschaft. Eine Immobilienpreisblase, Überkapazitäten in einigen Industriebranchen, die enorme Verschuldung von Unternehmen und privaten Haushalten sowie der große Markt der Schattenbanken zählen zu den Risiken in China. Als viertgrößter deutscher Exportkunde und wichtiger Taktgeber der Weltwirtschaft hätte eine Krise dort auch gravierende Folgen hierzulande.
KRISE DER SCHWELLENLÄNDER:
Auch in anderen großen Schwellenländern läuft es nach Jahren des Booms nicht mehr rund. In Brasilien senkte die Zentralbank ihre Wachstumsprognose für 2014 von 1,6 auf 0,7 Prozent. „In den rohstoffexportierenden Schwellenländern bleiben die Aussichten eingetrübt, denn die Rohstoffpreise dürften aufgrund der mäßigen Dynamik der Weltindustrieproduktion kaum steigen“, sagen die führenden deutschen Institute in ihrem Herbstgutachten voraus.
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