Budgetsünder Paris entkommt der EU-Schelte
Wachstum stärken, aber keine Schulden machen. Investitionen ankurbeln, ohne Sparpläne zu gefährden: Die Eurogruppe ist einmal mehr auf der Suche nach der Quadratur des Kreises. "Es geht nicht um Schwarz oder Weiß. Die Welt ist komplexer", sagte Jyrki Katainen bei der Pressekonferenz zum informellen Ecofin in Mailand. Der finnische Ex-Premier und Währungskommissar gilt als Hardliner, der auf die strikte Einhaltung der Haushaltsvorgaben pocht. Er steht damit in krassem Gegensatz zu den Regierungen in Paris oder Rom, die gerne einen lockereren Umgang mit ihren Budgets pflegen würden.
Das Zauberwort in Mailand, mit dem alle leben können, lautete somit einmal mehr "Flexibilität": Die möglichen Spielräume im Stabilitäts- und Wachstumspakt sollten ausgenützt werden, um eine wachstumsfreundliche Politik umzusetzen. Diese Möglichkeit stehe aber nur Regierungen offen, die ihre Hausaufgaben gemacht hätten, betonte Katainen. Ob Paris dazu zählt, blieb vorerst unbeantwortet: Die Euro-Verantwortlichen ließen sich zu keiner Schelte an der Grande Nation hinreißen - noch nicht.
Erst 2017 im Ziel

Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling erklärte, es sei über Frankreich gesprochen worden. „Wir haben klargestellt, dass für alle europäischen Staaten dieselben Spielregeln gelten“ müssten. Jedenfalls sei „überhaupt nicht daran zu denken, den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufzuschnüren“. Zu den von Frankreich gewünschten zusätzlichen zwei Jahren zur Reduktion des Defizits verwies Schelling darauf, dass die EU-Kommission entscheiden müsse. „Auch wir haben von der EU einmal Auflagen erhalten, die wir im Budget erfüllen müssen.“ Daher würden viele Länder die Auffassung vertreten, das müsse für alle so gelten. „Und wir erwarten jetzt auch entsprechende Reaktionen der Kommission“. Zu Beginn der Sitzung hatte der Minister erklärt, mehr Wachstum sei immer gut, „aber nicht mit neuen Schulden“.
Abfuhr für Draghi
Auf Granit biss unterdessen EZB-Chef Mario Draghi mit dem Plan, riskante Kreditverbriefungen (ABS, asset backed securities) durch staatliche Garantien absichern zu lassen, um das Risiko für die Zentralbank zu verringern. Laut einem internen Papier, das Reuters vorlag, befürworten zwar die Finanzminister von Deutschland und Frankreich, Wolfgang Schäuble und Michel Sapin, das Vorhaben, den Markt für ABS anzuschieben. So soll die Kreditvergabe durch die Banken angekurbelt werden. Allerdings sprachen sich beide Länder gegen Garantien aus. Eindeutig war auch die Antwort von Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem, der gefragt wurde, ob er solche Garantien als niederländischer Finanzminister befürworten würde: "Nein."
Das Ankaufprogramm von Kreditverbriefungen der Europäischen Zentralbank (EZB) wird nach den Worten von Präsident
Mario Draghi dennoch "signifikant" ausfallen. Die genaue Größe sei derzeit aber noch schwer zu bemessen, räumte Draghi nach Beratungen mit den Finanzministern der
Eurogruppe am Freitag in Mailand ein. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters plant die EZB bis zu 500 Milliarden Euro für das Kaufprogramm für Verbriefungen (ABS) und Pfandbriefen ein. Draghi sagte weiter, dass in einem ersten Schritt keine Mezzanine-Tranchen zu dem Programm gehören sollen. Deshalb seien zunächst auch keine Staatsgarantien nötig, bei
einer möglichen, späteren Einbeziehung der mit höheren Risiken behafteten Mezzanine-Instrumente aber schon.
Investitionen im Fokus
Das größte Wachstumshemmnis sind fehlende Investitionen: Darüber herrschte in Mailand breiter Konsens. Zuletzt lagen die Investitionen in der EU um 15 Prozent unter dem Niveau vor der Schuldenkrise. Die EU-Finanzminister wollen nun vermehrt private Investitionen anstoßen. Die Steuerlast auf Arbeit soll sinken, mit Reformen sollen die Staaten die Wirtschaft in ihren Ländern wachküssen. Deutschland hat dafür den meisten budgetären Spielraum - und steht als Land mit dem größten Leistungsbilanz-Überschuss besonders in der Pflicht. Die EZB alleine könne die Misere jedenfalls nicht lösen. Die Geldpolitik müsse immer von einem Mix aus Strukturreformen, Haushaltspolitik und Investitionen begleitet werden, betonte Dijsselbloem.
Auf dem Spiel steht viel: Die Sorgen der Eurozone betreffen jetzt nicht mehr die Länder der Peripherie, sondern den Kern. In Frankreich und Italien, der zweit- und drittgrößten Volkswirtschaft, stagniert die Wirtschaft oder fällt sogar in die Rezession. Ohne Wachstum lassen sich die angespannten Haushalte aber nicht sanieren. Im Moment ist noch alles ruhig. Die Befürchtung ist aber, dass die Investoren abermals das Vertrauen in die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen verlieren könnten, wenn es Rom und Paris nicht schaffen, die versprochenen Reformen endlich umzusetzen.
Der erste große internationale Auftritt für Finanzminister Hans Jörg Schelling fand nicht etwa in Brüssel statt, sondern in Mailand: beim Treffen der Eurogruppe am Freitag. Schelling wurde freundlich empfangen, positionierte sich aber klar gegen die Ambitionen seiner Kollegen aus Rom und Paris, den Stabilitätspakt flexibler zu handhaben, um das Wachstum mit staatlichen Ausgaben anzukurbeln. Er warnte vor einer Aufweichung des Paktes und neuen Schulden. Mehr Wachstum sei zwar immer gut, „aber nicht mit neuen Schulden“, sagte er zum jüngsten Vorschlag Frankreichs.
Die Lage der Eurozone insgesamt sei durch ein „etwas abgeschwächtes Wachstum“ gekennzeichnet. Allerdings gebe es zwischen den Mitgliedsländern „sehr unterschiedliche Entwicklungen“. So stünden guten Fortschritten in manchen Staaten in anderen Ländern Defizitprobleme gegenüber.
Finanzsteuer-Modell bis Jahresende
Für die zuletzt aus dem Blickwinkel gerückte Finanztransaktionssteuer will der neue Finanzminister bis Jahresende eine „Modell-Lösung“ haben. Es seien noch viele Gespräche offen, sagte Schelling. Er plädierte für einen großen Wurf: „Wir stehen für eine Feigenblattsteuer nicht zur Verfügung.“ Bei einem großen Volumen „können wir den Satz sehr niedrig halten, und die Abwanderungsgefahr wäre sehr gering“. Zu bedenken gab der Minister, dass einige Staaten bereits eigene Steuern in dem Bereich eingeführt hätten, wie Frankreich oder Italien. Außerdem sei zu klären, wie Derivate einbezogen werden können. Die Gespräche seien konstruktiv gewesen, deswegen sei er zuversichtlich.

Sanktionen "nicht so dramatisch"
Die Auswirkungen der Russland-Sanktionen auf Österreich sieht Schelling unterdessen „noch nicht so dramatisch“. Das gesamte Wachstum schmälere sich dadurch ungefähr um 0,1 Prozent. "Aber das könnte sich natürlich schon dramatisch ausweiten“. Alle weiteren Sanktionen könnten zu Gegenreaktionen führen, die heute noch unbekannt seien. Erheblich stärker ist Litauen als ehemalige Sowjetrepublik betroffen. Litauens Finanzminister Rimantas Sadzius sagte, vor allem die russischen Gegensanktionen träfen sein Land. Das Wachstum der Wirtschaft werde 2015 um 0,9 Punkte niedriger ausfallen und auf 3,4 Prozent sinken.
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