Beim britischen Onlinehändler Ocado erledigen hunderte Roboter den Einkauf. Dessen Technologie kommt nun vermehrt nach Europa. Der KURIER hat das neueste Logistikzentrum in Luton, im Norden von London, besucht.
Der quaderförmige Bot – seines Aussehens wegen vom Team „Waschmaschine“ getauft – saust auf die Besuchergruppe zu. Er bleibt abrupt aber millimetergenau über einem Rasterloch stehen, um einen roten Einkaufskorb, den er im Inneren mit sich trug, abzustellen. Kaum ist der Bot weitergedüst, fährt ein Greifarm in eine nahe Kiste, kommt mit einer Packung Toast am Sauggreifer nach oben und lässt diese in den Einkaufskorb gleiten.
Roboter bei der Arbeit
Man muss kurz innehalten, wenn man den Hive, den Bienenstock, im Ocado-Logistikzentrum im Londoner Speckgürtel Luton betritt. Zu surreal wirkt die Szene: Auf einem riesigen Raster, Bienenwaben gleich, sausen hunderte Bots in alle Richtungen – stets in rasantem Tempo aber ohne einander zu berühren. Ein mechanischer Tanz, der dabei in Windeseile den Einkauf erledigt.
Der Greifarm legt die Produkte in die Einkaufskörbe.
Der Online-Wandel
Während die Österreicher Gebäck, Gemüse und Getränke weiterhin am liebsten vor Ort besorgen und die Supermarktkette Billa das Zustellgebiet für den Onlineshop zuletzt sogar wieder einschränkte, shoppen sechs von zehn Briten zumindest einige ihrer Lebensmittel online; 16 Prozent kaufen dabei hauptsächlich über App oder Website. Ocado ist nicht nur der am schnellsten wachsende Lebensmittelhändler des Landes, er hat diese Sparte auch wie kein anderer geprägt.
Gregor Ulitzka, Europa-Präsident von Ocado Solutions, der nun in die nächste Halle führt, sagt: „Den Lebensmittelhandel in der ein oder anderen Form, gibt es seit sich Menschen niedergelassen haben.“ Dabei sei alles Menschenmögliche ausprobiert worden: „Es gibt also keine Möglichkeit, dass Menschen schneller laufen oder mehr tragen– außer man fügt Technologie dazu. Und das ist, was wir tun.“
Gregor Ulitzka arbeitete elf Jahre bei Amazon, seit zwei Jahren ist er Europa-Chef von Ocado Solutions.
Der erste war Ocado mit der Idee zwar nicht: Bereits 1984 bestellte die 72-jährige Britin Jane Snowball Margarine, Cornflakes und Eier laut BBC von ihrem Ohrensessel aus per Fernbedienung bei ihrer Tesco-Filiale. Doch die richtige Revolution kam zum Millennium, als die drei früheren Goldman-Sachs Banker Tim Steiner, Jason Gissing und Jonathan Faiman begannen, Menschen nicht länger von der Supermarkt-Filiale , sondern dem Logistikzentrum aus zu versorgen.
Das Maschinen-Gehirn
Heute plant diesen Einkauf – im Verteilzentrum in Luton, ebenso wie in den anderen sechs des Landes – derAlgorithmus. Derzeit wird die Ware von den Lkws zwar noch von Menschenhand in weiße Lagerkisten gehoben – welches Produkt und welche Anzahl in die nächste Kiste kommt, bestimmt bereits die Maschine. Dazu laufen rote Einkaufskörbe auf einem Fließband, werden von einer ersten Maschine mit drei Einkaufssackerl und dann von den 657 Bots und den 65 Greifarmen in den zwei Hives (eines gekühlt, eines mit Raumtemperatur) befüllt. Die Roboter arbeiten 22 Stunden am Tag und sind fünf Mal so schnell wie ein Facharbeiter.
Gibt es keine Bedenken, dass die menschliche Arbeitskraft damit obsolet wird? Ganz so möchte das Gregor Ultizka nicht stehen lassen. „Der Lebensmittelhandel ist ja eigentlich sehr spät dran. In jedem anderen Industriezweig, von der Mode über das Auto bis hin zu großen Konsumgütern, haben wir einen Wandel hin zur Automatisierung beobachtet.“
Und welche Jobs würden die Roboter ersetzen? Die roten Einkaufskörbe, erklärt Ulitzka, werden mit bis zu 24 kg befüllt. Wer diese ständig aufhebt und stapelt, kommt mitunter auf drei Tonnen Gewicht in der Stunde. „Das war ein Bereich, in dem wir ständigen Personalwechsel hatten. Dazu kommt der Tiefkühlbereich, in dem man bei Minusgraden arbeiten muss. Das ist keine angenehme Arbeit.“ Dafür ergeben sich neue Jobs, etwa in der IT.
Wachsender Mitbewerb
Nun war Ocados Technologieansatz vor 25 Jahren federführend, doch längst sind die Lieferautos anderer Supermarktketten Alltag geworden. Die Durchbrüche in der KI vereinfachen dem Mitbewerb die Arbeit. Beobachtet Ocado das mit Sorge?
Ein paar Schritte werden noch mit Menschenhand erledigt - daran probierte sich vor zwei Jahren auch der damalige Premierminister Rishi Sunak.
Ulitzka schüttelt den Kopf. Einerseits helfe es, den Online-Markt weiter zu erschließen. Und: „Supermärkte haben, je nach Größe, vielleicht ein paar hundert Ingenieure. Wir haben 4.000 Mitarbeiter einzig für den Technologiebereich.“
Denn Ocado ist heute nicht nur Online-Supermarkt, sondern auch Technologie-Plattform. 2024 wurden umgerechnet 488 Millionen Euro Umsatz mit Lizenzen erwirtschaftet. „Wer in Frankreich bei Monoprix, in Spanien bei Alcampo oder in Amerika bei Kroger online einkauft, shoppt powered by Ocado.“ Mit Österreich gibt es noch keine Kooperation. Gespräche würden aber laufen.
Denn die Zukunft des Lebensmitteleinkaufs dürfte auch in Resteuropa verstärkt online passieren. Laut PwC-Umfrage in Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden soll der Marktanteil des Online-Lebensmittelhandelsbis 2030 auf 35 bis 50 Prozent steigen.
Die letzte Meile
In der Auslieferungshalle ruckeln die Einkaufskörbe in Richtung der Verladeregale. Eine Maschine ordnet die Körbe so ein, dass sie sich für die Lieferroute in der richtigen Reihenfolge befinden.
Könnten auch die Lieferanten bald ersetzt werden – von Drohnen oder selbstfahrenden Autos? „Der Fahrer“, erwidert Ulitzka, „ist ja nicht nur Fahrer.“ Er sehe das in Südkorea, dem Land mit der stärksten Online-Durchdringung im Lebensmittelhandel. „Dort ist die Messlatte sehr hoch. Kunden fragen nicht mehr: Stimmt die Qualität? Kommt die Lieferung rechtzeitig? Sondern: Bringt der Fahrer die Ware bis in die Küche? Und: Nimmt er am Weg nach draußen vielleicht das Altpapier mit?“
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