Pressestimmen zu Josef S.: "Schuldspruch aus Mangel an Beweisen"
Zwölf Monate Haft, acht davon bedingt lautet das gestrige Urteil gegen Josef S. Der Schuldspruch stößt nicht nur hierzulande auf massive Kritik. Auch ausländische Medien zeigen wenig Verständnis für das Urteil des Wiener Landesgerichts. Deutsche Medien, die den Prozess mit erhöhter Aufmerksamkeit verfolgten - der 23-jährige Josef S. studiert in Jena - sind sich einig: Der Prozess um die Demonstration gegen den Akademikerball hatte "kafkaeske" Züge.
Anklage mit "Schaum vor dem Mund" verfasst
Vernichtend fällt etwa der Prozessbericht von Spiegel Online aus, wo von einem " Schuldspruch aus Mangel an Beweisen" gesprochen wird. Schon die Anklage habe sich gelesen, "als wäre sie mit Schaum vor dem Mund verfasst worden", wird dort mit Blick auf den verwendeten Begriff "Demonstrationssöldner" kritisiert. Das Beweisverfahren wird mit folgenden Worten zerpflückt: "Der Beamte verwickelt sich in Widersprüche? Erklärbare Irrtümer, sagt der Richter. Die Aussagen des Beamten decken sich nicht mit denen seiner Kollegen? Besser, als wenn sie sich abgesprochen hätten, sagt der Richter. Der Angeklagte ist auf keinem der zahlreichen Fotos und Videos bei Straftaten zu sehen? Gut, dass wir nicht in einem Überwachungsstaat leben, in dem alles aufgezeichnet wird, sagt der Richter. Eine Gutachterin findet Schmauchspuren von einem Bengalo oder Böller auf dem rechten Handschuh von Josef S., er selbst ist aber Linkshänder? Hat nichts zu bedeuten, sagt der Richter, die Spuren auf dem anderen Handschuh könnten abgewaschen worden sein."
"Im Zweifel gegen den Angeklagten"
Die Berliner tageszeitung titelt sarkastisch: "Ein Zeuge reicht." Die Sächsische Zeitung beklagte bereits vor dem Urteilsspruch: "Im Zweifel gegen den Angeklagten."
Welt Online geht in ihrem ausführlichen Bericht auch auf die Kritik am Prozess ein. "Man wollte Josef zum Sündenbock machen", titelt die Zeitung unter Verwendung eines Zitats des Aktivisten Michael Genner. Am Vortag hatte die Zeitung vom "kafkaesken Schicksal des Deutschen Josef S." geschrieben. Zu einer ähnlichen Einschätzung war auch die "Sächsische Zeitung" (Dienstagsausgabe) gelangt, die hervorhob, dass die Justizbeamten den Angeklagten im Gerichtssaal "wie einen Schwerverbrecher" flankierten. Süffisant wird geschrieben, dass der Student der Materialwissenschaften im Hauptverfahren - im Zusammenhang mit den Nitritspuren auf seinem Handschuh - auch eine "kostenlose Vorlesung über Nitrit-Pökelsalz" erhalten habe. "Ob er an dem Abend vielleicht eine Bratwurst gehalten hat, fragte niemand."
Die Frankfurter Rundschau (Mittwochsausgabe) schreibt in ihrem Bericht, von "starkem Beweismangel" in dem Prozess, die tageszeitung (Mittwochsausgabe) von einem "umstrittenen Indizienprozess". "Die Verurteilung basiert auf einer einzigen Zeugenaussage eines Polizisten in Zivil, der sich unter die Demonstranten gemischt hatte. Mehreren Dutzend weiterer Zeugen, darunter Polizisten, Müllmänner und Journalisten, war der Angeklagte nicht aufgefallen", heißt es in dem Artikel. Auch die "Süddeutsche Zeitung" (Mittwochsausgabe) konstatierte "erhebliche Zweifel" an der Darstellung von Polizei und Staatsanwaltschaft.
"Kafkaesk"
"Ohne Handschellen durfte Josef S. gestern den Gerichtssaal verlassen. Als schuldig gilt er trotzdem", fasste der Zürcher Tages-Anzeiger (Onlineausgabe) den Prozessausgang zusammen. Die Zeitung spricht von einem "höchst umstrittenen Prozess", der von Linksparteien und zahlreichen Zeitungen als "kafkaesk" verurteilt worden sei. "Die Kommentatoren reagierten empört. Einer schrieb, in Wien müsse eben jeder seine Unschuld beweisen."
Die Thüringer Allgemeine (Mittwochsausgabe) berichtete über die "gute Nachricht", dass der aus Jena stammende Student wieder frei sei. Die schlechte laute, dass er des Landfriedensbruchs, der schweren Sachbeschädigung und der versuchten schweren Körperverletzung schuldig gesprochen worden sei, heißt es in dem Artikel, in dem thüringische Landespolitiker zu Wort kommen und sich "bestürzt" über den Schuldspruch zeigen.
Als "gelinde verwundert" über den Ausgang des Prozesses von Josef S. zeigte sich SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim. "Bezeichnend am gegenständlichen Verfahren ist, dass sogar das gegenständliche Urteil eine unbedingte Haftstrafe im Ausmaß von vier Monaten als gerechtfertigt erkannt hat, währenddessen sich Josef S. bereits seit fast sechs Monaten trotz heftiger Hinweise aus der einschlägigen Fachwelt in Haft befindet. Abgesehen davon wird selbstverständlich abzuwarten sein, was die Berufungsinstanz zu diesem nicht rechtskräftigen Urteil ausführen wird", so Jarolim in einer Aussendung.
Einmal mehr verweist der SPÖ-Justizsprecher darauf, dass das Heranziehen des Tatbestandes des Landefriedensbruchs für den gegenständlichen Vorfall aus seiner Sicht nicht der Intention der Norm entspricht. "Unabhängig vom Ausgang des Berufungsverfahrens ist offenkundig, dass die politische Diskussion über die Anwendung dieser Norm als Auffangtatbestand zu führen ist", so Jarolim.
"Das getroffene erstinstanzliche Urteil gegen Josef S. ist ein positives Zeichen dafür, dass Gewalt nicht toleriert wird und die Verursacher schlussendlich zur Verantwortung gezogen werden. Denn wir wollen in keiner Stadt leben, in der die Straßen als Schlachtfeld missbraucht werden. Weder von rechts noch von links", so Manfred Juraczka, Landesparteiobmann der Wiener ÖVP, in einer ersten Reaktion.
"Erschreckend, ist aber dass Vertreter der ÖH oder der roten Jugendorganisationen in ihren ersten Reaktionen mit teils abtenteuerlichen Behauptungen von Auswüchsen eines (Un-)rechtsstaates sprechen oder ein Ende aller Schauprozesse verlangen. Diesen Personen sei ins Stammbuch geschrieben, dass der Rechtsstaat für alle gelte. Höchste Zeit, dass diese Damen und Herren langsam aber doch die nötige Reife erlangen, um auch dieses Faktum anzuerkennen. Der Kampf gegen Faschismus und Diktatur ist jedenfalls keineswegs ein Verbrechen, sondern absolute Bürgerpflicht. Allerdings ist Links-Extremismus, der sich mitunter hinter manchen Antifa-Gruppierungen verbirgt keineswegs zu tolerieren, sondern ebenso engagiert zu bekämpfen", so Juraczka abschließend.
"Mit diesem Verfahren ist der Eindruck entstanden, dass sich Beschuldigte in Österreich frei beweisen müssen, was nie gelingen kann", reagierte der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser auf das Urteil im Fall Josef S. in einer Aussendung. Die Aussage eines einzigen Polizisten hatte den Ausschlag für eine Verurteilung gegeben, obwohl sie weder durch Bildmaterial, Stimmgutachten oder andere ZeugInnen bestätigt wurde und der betroffen Zivilpolizist seine Aussage auch mehrmals korrigieren musste. Dazu kommt, dass der betroffene Zivilpolizist und Belastungszeuge selbst vorübergehend auf der Demonstration verhaftet wurde.
Steinhauser sieht auch in der Anwendung des Landfriedensbruchs massive Gefahr. "Wenn in der Urteilsbegründung gemeint wird, Josef S. habe sich wohl nicht grundlos ganz vorne in der Demonstration befunden, ist das kein Beweis, sondern eine Mutmaßung. Ein Strafparagraph, der einen derartigen Interpretationsspielraum für die Strafbarkeit zulässt, ist gefährlich", sieht Steinhauser dringenden Handlungsbedarf für das Parlament.
Fernab der Politik hat der Prozess für Amnesty International gezeigt, "wie schlecht ein Polizeieinsatz in kritischen Situationen geschieht", wie Österreich-Generalsekretär Heinz Patzelt im Anschluss kommentierte. Er ortete bei der Exekutive "hohes Lernpotenzial" und zollte einer Bemerkung des Richters Respekt, der in der Urteilsbegründung fallbezogen polizeitaktische Mängel beanstandet hatte.
Die Aufforderung des Richters, diese zu beheben, nannte Patzelt "einzigartig und beeindruckend". Der Richter werde "hoffentlich von den politischen und organisatorischen Verantwortlichen gehört".
Patzelt, der als Zuhörer an der Verhandlung teilgenommen hatte, fand vor allem den Umstand "höchst irritierend", dass am Stephansplatz 50 ortsunkundige, aus Oberösterreich in die Bundeshauptstadt beorderte Polizeikräfte die Demonstration absichern sollten. Dabei habe den Verantwortlichen klar sein müssen, dass ein diffiziler Einsatz bevorstand. Gute Polizeiarbeit bedinge "bei vorhersehbaren, ganz schwierigen Ereignissen" andere Entscheidungen, so Patzelt sinngemäß.
Im Prozess um gewalttätige Ausschreitungen rund um den Akademikerball am 24. Jänner wurde der Angeklagte Josef S. schuldig gesprochen. Auf Twitter wurde bereits im Vorfeld scharfe Kritik an der österreichischen Justiz geübt. Nach dem Urteilsspruch überschlagen sich nun die empörten Kommentare regelrecht. Innerhalb von wenigen Minuten waren hunderte Tweets zu dem Thema zu finden.
Österreich würde durch den Schuldspruch nicht gut wegkommen, so manche Stimmen im Netz. Ein Auszug:
Auch Politiker wie der EU-Abgeordnete Michel Reimon und der namhafte Journalist Florian Klenk äußern sich kritisch.
Unter dem Hashtag #freejosef finden sich unzählige weitere Meldungen und Reaktionen:
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