Österreich feiert 70 Jahre Pressefreiheit

Ein Soldat steht an einer Grenzmarkierung mit der Aufschrift „Austria“.
Am 1. Oktober 1945 proklamierte der Alliierte Rat die Pressefreiheit in Österreich. VÖZ fordert mehr Zugang zu Informationen.

Österreich feiert am Donnerstag ohne große Festakte 70 Jahre Pressefreiheit. Am 1. Oktober 1945 ermöglichte der Alliierte Rat per Proklamation wieder die durch "Ständestaat" und "Drittes Reich" zerstörte Pressefreiheit.

"Fit für das 21. Jahrhundert"

Der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) fordert anlässlich des Jubiläums eine Ende des Amtsgeheimnisses. Die Pressefreiheit müsse "fit für das 21. Jahrhundert" gemacht werden, erklärte VÖZ-Präsident Thomas Kralinger in einer Aussendung.

Ein Mann mit Brille und Anzug spricht vor einem roten Hintergrund.
APA10357908-2 - 23112012 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Enquete Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) "Demokratische Gesellschaften brauchen Medienvielfalt und Pressefreiheit" am Freitag, 23. November 2012, im Palais Epstein in Wien. Im Bild: Der Präsident des Verbands Österreichischer Zeitungen (VÖZ) Thomas Kralinger während seiner Rede. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
Zugleich wiesen die Zeitungsverleger auf die aktuelle und historische Bedeutung freier und unabhängiger Medien für die demokratische Gesellschaft hin. Am 1. Oktober 1945 ermöglichte der Alliierte Rat per Proklamation wieder die durch "Ständestaat" und "Drittes Reich" zerstörte Pressefreiheit. Die heimische Medienlandschaft war zu dieser Zeit aber noch weit von der Möglichkeit einer freien und unabhängigen Berichterstattung entfernt, betonte Kralinger. "Zeitungen haben in den Nachkriegsjahren zu einer Neuausformung einer österreichischen Identität und eines demokratischen Bewusstseins der Bevölkerung beigetragen. Das ist ihr historischer Verdienst. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass sie von den jeweiligen Besatzungsmächten für Propagandamaßnahmen vor den Karren gespannt wurden. Zeitungen und Magazine hatten zu dieser Zeit noch einen weiten Weg vor sich, um ihre Funktion als Kontrollinstanzen wahrzunehmen."

Erfolgsgeschichte

Die weitere Geschichte der Pressefreiheit sei aber auch eine Erfolgsgeschichte einer vitalen Presselandschaft. "Zahlreiche Skandale und Missstände wurden von freien und unabhängigen Zeitungen und Magazinen im Laufe der Zweiten Republik aufgedeckt, die man ohne sie unter den Teppich gekehrt hätte", so der Verleger-Präsident. Um die heimische Pressefreiheit "fit für das 21. Jahrhundert zu machen", forderte Kralinger die Abschaffung des umstrittenen Amtsgeheimnisses: "Österreich muss mit einem Grundsatz brechen, den es hierzulande bereits viel länger gibt als die Pressefreiheit, nämlich die Amtsverschwiegenheit. Wir brauchen ein Informationsfreiheitsgesetz, um die Möglichkeiten des investigativen Journalismus entscheidend zu stärken. Denn durch das Amtsgeheimnis wird die Recherchearbeit der Zeitungen und Magazine vielfach erschwert und in manchen Fällen sogar kriminalisiert."

Der VÖZ fordert für die heimischen Medien mehr Zugang zu Informationen und weniger Auskunftsverweigerung und Intransparenz. "In Deutschland und der Schweiz ist die Informationsfreiheit schon seit vielen Jahren gesetzlich geregelt, Informationsbeschränkungen sind die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme", erklärte Kralinger. Ausnahmen von der Offenlegungspflicht sollten exakt geregelt und nur in einem eng umgrenzten Rahmen gewährt werden, beispielsweise bei zwingend öffentlichem Interesse oder zum Schutz privater Interessen.

INFO: Das Forum Alpbach, Wiener Zeitung und der Presseclub Concordia veranstalten am Donnerstag, 1. Oktober, 19.00 Uhr, im Wiener Belvedere eine Diskussionsveranstaltung zum Thema " Pressefreiheit in Österreich - eine schwierige Lerngeschichte sowie Herausforderung für die Zukunft". Details zum Programm unter www.alpbach.org

Es ist ein stilles, aber wichtiges Jubiläum: Heute vor 70 Jahren wurde in Österreich die Pressefreiheit wieder eingeführt.

Ein gewaltiger Schritt: Damals, 1945, ging es um den Wiederaufbau einer demokratischen Gesellschaft; freie Medien, in denen die entscheidenden Fragen einer neuen Republik verhandelt werden konnten, waren dabei ein wichtiger Baustein.

Die Rahmenbedingungen für die Presse haben sich zuletzt radikal verändert: Heute kann jeder Österreicher sein eigenes kleines Medium sein, auf Facebook, Twitter oder als Kommentator auf den Webseiten der Medien. Hier wird in einem ununterbrochenen Fluss gestritten, diskutiert, werden Meinungen und Vorurteile ausgetauscht.

In diesem Rauschen müssen die Medien eine neue Stimme finden; sie sind im Idealfall ein Ruhepol im Meinungsstreit, ein Ort, an dem man sich über die Nachrichten besinnen kann, über die eigene Meinung hinaus informiert wird. Darin sind sie für die Gesellschaft so wichtig wie vielleicht nie zuvor.

Der Übergang von der völligen Kontrolle der Medien ab Kriegsende hin zur Lockerung erfolgte 1945 sehr rasch. "Zeitungen und Zeitschriften unterliegen nicht der Zensur", versprachen die Alliierten am 1. Oktober. "Überflüssig zu sagen, dass dieser hochherzige Entschluss nicht nur bei den mittelbaren und unmittelbaren Angehörigen des Berufes, sondern auch in der Öffentlichkeit freudigste Aufnahme gefunden hat", schrieb die Wiener Zeitung damals.

Das hieß zwar nicht, dass plötzlich jeder ein Medium betreiben durfte, ermöglichte aber den geregelten Übergang zur Lizenzerteilung an österreichische Herausgeber bei gleichzeitiger Abschaffung der Vorzensur. Lizenzierte Blätter wurden in der Folge für fast ein Jahrzehnt einer Nachzensur unterworfen. Der Alliierte Rat hatte seinen Entschluss, "der demokratischen Presse hiemit die größtmögliche Freiheit" zu geben, an gewisse Bedingungen geknüpft. Hauptforderung an die Presse: "Sie soll demokratische Grundsätze aufrechterhalten sowie den entschlossenen Kampf gegen die nationalsozialistischen, großdeutschen und militärischen Ideologien und Lehren in allen ihren Formen und Gesichtspunkten im politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Leben führen."

Deutschtümelei

Revisionistische Aussagen im Sinne des "Dritten Reiches", Antisemitismus und Deutschtümelei veranlassten den Alliierten Rat zwischen 1946 und 1953 zu 16 Verwarnungen gegen Zeitungen und Zeitschriften. 14 mal wurden Blätter mit ein- bis dreimonatigem Erscheinungsverbot belegt, drei Publikationen wurden auf Dauer verboten. Material, das die militärische Sicherheit der Besatzungstruppen gefährden konnte, durfte ebenfalls nicht publiziert werden. Medien sollten kein "böswilliges Material" veröffentlichen, das gegen die Besatzungsmächte gerichtet war oder den Zweck verfolgte, den Zwiespalt zwischen den Alliierten zu säen oder Misstrauen und Feindschaft der österreichischen Bevölkerung gegen die Besatzungsmächte zu erzeugen.

Die österreichischen Journalisten wehrten sich sehr bald gegen diese Bedingungen. So lange der Kalte Krieg noch nicht ausgebrochen war, gab es für einzelne Blätter wegen besatzungskritischer Schreibweise Verwarnungen. Nach Beginn des Kalten Krieges kamen solche Verwarnungen wegen der im Alliierten Rat für Maßnahmen gegen Medien erforderlichen Einstimmigkeit nicht mehr zustande.

Die Nachzensurmaßnahmen der Alliierten in dieser Zeit sind vor dem geistigen Hintergrund des weitverbreiteten nationalsozialistischen Gedankenguts zu sehen. Dazu kam, dass der Großteil der damaligen Journalisten schon unter den Nationalsozialisten schreiberisch tätig war. Heimgekehrte Emigranten stellten in den Redaktionen der Tagespresse eine Minderheit im Umfang von bloß 5,5 Prozent dar. Das NS-Regime dezimierte das demokratische Potenzial im Journalistenberuf nachhaltig durch Vertreibung ins Exil oder durch Ermordung in Gestapo-Haft und KZ.

Am Montag, den 1. Oktober 1945, wurde unter dem Vorsitz General Mark W. Clarks eine Sitzung des Alliierten Rates abgehalten. General Clark und die übrigen Alliierten Oberbefehlshaber, Marschall der Sowjetunion Ivan Konjev, Generalleutnant Sir Richard McCrecry und Generalleutnant Emile Marie Bethouart beschlossen damals die Wiedererrichtung einer freien Presse im Gesamtgebiet von Österreich.

Nachfolgend der Wortlaut der Proklamation:

"In Anbetracht der großen Wichtigkeit der österreichischen Presse für den Wiederaufbau des Landes, der Stärkung der demokratischen Einheit des österreichischen Volkes und der Wiederherstellung eines freien, unabhängigen und demokratischen Österreichs erklärt der Alliierte Rat wie folgt, dass

I. der demokratischen Presse hiemit die größtmögliche Freiheit gegeben werde, jedoch unter den weiter unten angegebenen Bedingungen:

a) Sie soll demokratische Grundsätze aufrechterhalten sowie den entschlossenen Kampf gegen die nationalsozialistischen, großdeutschen und militärischen Ideologien und Lehren in allen ihren Formen und Gesichtspunkten im politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Leben führen;

b) sie soll von der Veröffentlichung von Material absehen, welches geeignet wäre, die militärische Sicherheit der Besatzungstruppen oder aller oder einer der Besatzungsmächte zu gefährden;

c) sie soll von der Veröffentlichung böswilligen Materials absehen, welches gegen die Besatzungsmächte oder einer derselben gerichtet ist und den Zweck verfolgt, Zwiespalt zwischen den Alliierten zu säen oder das Misstrauen und die Feindschaft des österreichischen Volkes gegen die Besatzungsmächte oder eine derselben oder gegen ihre Truppen in Österreich zu erzeugen;

d) sie soll von der Veröffentlichung von Material absehen, welches geeignet wäre, die bestehende Ordnung zu stören.

II. Die Verbreitung der demokratischen österreichischen Presse, die in Übereinstimmung mit den unter Absatz I festgelegten Bedingungen erfolgt, ist in ganz Österreich, ohne Rücksicht auf die Zone, in welcher sie erscheinen mag, gestattet.

III. Zeitungen und Zeitschriften unterliegen nicht der Zensur.

IV. Übertretungen der unter Absatz I angeführten Bedingungen werden bestraft und können zur zeitweiligen oder dauernden Stilllegung der Zeitung oder Zeitschrift führen, welche den Verstoß begangen hat.

V. Die Aufsicht über die Durchführung der obengenannten Richtlinien sowie die Auferlegung der im Absatz 4 vorgesehenen Strafen ist Sache des Alliierten Rates."

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