Life Ball: Wirbel um Transgender-Plakate

Seitdem Conchita Wurst am Samstag den Song Contest gewonnen hat, ist Toleranz das große Thema - nicht nur in der Welt, auch in Österreich. In den Jubel über den Erfolg der bärtigen Drag Queen mischten sich aber auch anonyme Hass-Postings und Drohungen im Internet.
Auch der am 31. Mai stattfindende Life Ball 2014 bedient sich des Transgender-Themas und wirbt seit dieser Woche in Wien mit einem provokanten Plakat, dass die zentrale Botschaft der Toleranz und Akzeptanz unterstreichen soll. Der Starfotograf David LaChapelle inszenierte das Transgender-Model Carmen Carrera unter dem Motto "Ich bin Adam - Ich bin Eva - Ich bin ich" nackt in einem "Garten der Lüste" - und zwar sowohl mit männlichen als auch weiblichen Geschlechtsteilen. Echt ist aber nur die erste Variante, denn Carrera lebt zwar als Frau, ihr männliches Geschlecht ließ sie aber nicht entfernen.
Life-Ball-Organisator Gery Keszler erklärte bei der Präsentation der Sujets, dass es nicht selbstverständlich ist, dass in einer Stadt wie Wien derartige Darstellungen plakatiert werden können. "Meine Freunde in New York können das nicht fassen", meinte der Organisator.
Proteste

"Hier wird die Grenze der Freiheit der Kunst zum Porno klar überschritten."
"Die freizügig abgebildeten Personen sind im öffentlichen Raum eine Zumutung"
"Wie kommen ganz normale Bürger dazu uns so was anschaun zu müssen, noch dazu vom Steuergeld????"
Das Aufsichtsorgan erklärte sich allerdings als unzuständig für die Bewertung der Plakatserie, da sie als Bewerbung einer Ausstellung in den Bereich Kunst und Kultur falle. Dabei geht es um die LaChapelle-Ausstellung "Once in the Garden" in der Wiener Galerie OstLicht (2. Juni bis 14 September).
Einige Penisse auf den in Wien affichierten Plakaten wurden von Passanten übermalt. Eine eigene Facebookgruppe setzt sich für einen Stopp der Life Ball Plakate ein und ruft zum Boykott von Life-Ball-Sponsoren auf - bisher mit überschaubarem Erfolg. Wie auf Twitter über die Plakataktion diskutiert wird, sehen Sie im Storify unten.
Provokation in Kauf genommen
Dass das Plakat, das von der Gewista in der gesamten Bundeshauptstadt plakatiert wird, provozieren würde, nahm Keszler gerne in Kauf. "Wir hoffen es sogar", meinte der Organisator bei der Präsentation am Montag. "In dem Bild geht es nicht um Sexualität, wie man auf den ersten Blick vermuten würde. Es geht um Identität und darum, dass es für die menschliche Würde und gegenseitigen Respekt keine Grenzen gibt", sagte Keszler.
Ja, dürfen sie denn das? Da meint man eine Frau mit perfekten Rundungen zu bestaunen, die dasteht, wie Gott sie schuf, mit vielleicht etwas zu straffem Busen, aber doch eindeutig weiblichen Geschlechts.

Und siehe da: Einen halben Meter weiter rechts ist dieselbe Nackte abgebildet, wieder mit gefälligem Dekolleté, aber da hängt noch ein Penis dran, der da sogar hingehört.
Bei dem Modell für den Wiener Life Ball handelt es sich nämlich um Transgender-Woman Carmen Carrera, die heute zwar als Frau lebt, ihr männliches Geschlecht aber nicht entfernen ließ. Es ist die programmierte Erregung: Das Life-Ball-Plakat 2014, gestaltet von Starfotograf David LaChapelle, ist als "Ode an Toleranz und Akzeptanz" konzipiert – und als Provokation.
Die ist auch, zumindest zum Teil, gelungen. Obwohl sich der Organisator der Benefiz-Veranstaltung, Gery Keszler, einen lauteren Aufschrei erwartet hätte. Am lautesten wird freilich in den sozialen Netzwerken getobt und gegeifert. Eine oft geäußerte Befürchtung auf Facebook und Twitter: Wie soll ich das bitte meinem Kind erklären?
Überforderung
Sandra Vélasquez ist Kinderpsychologin in Wien. Die Aufregung um das Life-Ball-Plakat ist bereits bis in ihre Praxis vorgedrungen. "Zwei verunsicherte Eltern haben nachgefragt, wie sie damit umgehen sollen. Dieses Thema geht ganz tief in die Glaubens- und Wertesysteme der Menschen", sagt Vélasquez. "Als Teenies haben wir nackte Menschen heimlich unter der Decke angeschaut, jetzt hängen Bilder von Nackten überall in der Stadt. Viele sind damit total überfordert."
Die Psychologin rät ihren Klienten zu einem ehrlichen, altersgerechten Umgang mit dem Thema "Anderssein". "Die Meinung der Kinder bitte zulassen." Es könne nämlich gut sein, dass Erwachsene schockiert reagieren, während Kinder die Plakate lustig finden, sagt Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung.
Einem kleinen Kind, das vor einem der Life-Ball-Plakate stehen bleibt, könnte man etwa sagen, dass es Männer gibt, die Frauen sein wollen, und umgekehrt, sagt Vélasquez. "Kinder verstehen, dass Transgender eine gesellschaftliche Realität ist."
Bei älteren Kindern und Jugendlichen könne man etwas konkreter werden und zum Beispiel antworten, dass der menschliche Körper eben vielfältig sei. Ikrath: "Das gibt es halt auch, selbst wenn es nicht allzu häufig vorkommt."
Wobei der Jugendforscher die Sorge um das Seelenheil der Kinder nur als vorgeschobenes Argument betrachtet. "Bei Dingen, die Erwachsenen Unbehagen bereiten, sind Kinder eine beliebte Projektionsfläche." Das schrille Image des Life Balls sei zwar mittlerweile allgemein akzeptiert, als ein Refugium für Menschen, die anders sind. Im Alltag wolle man mit diesem Treiben aber nicht konfrontiert werden.
Dabei ist die Botschaft des Plakates mehr eine Aufforderung zu mehr Toleranz als eine Kampfansage ans Establishment, erläutert Ikrath. Ganz im Sinne des diesjährigen Life-Ball-Stargastes Conchita Wurst: "Es gibt mehr als Schwarz und Weiß. Es klingt kitschig, aber am Ende sind wir alle gleich."
Ein homosexueller Mann, der als Frau auftritt und dabei Bart trägt. Conchita Wurst sorgt bei manchen für kollektive Verwirrung – ist sie nun transsexuell, Transgender oder Travestie-Künstler(in)?
Letzteres, sagt Julia "Kitty" Willenbruch. Sie veranstaltet Burlesque-Shows (Salon Kitty Revue) und ist mit Tom Neuwirth alias Conchita Wurst befreundet. "Er sang und moderierte bei uns – aber nur als Conchita. Was Tom macht, ist für mich Travestie-Kunst." Eine der berühmtesten Travestiekünstlerinnen im deutschsprachigen Raum ist Lilo Wanders. Wenn sie ihre blonde Perücke abnimmt, wird aus Lilo Wanders wieder Ernst-Johann Reinhardt, der mit Frau und Kindern zusammenlebt – trotz seiner Homosexualität.
"Travestie ist eine Kunstform", sagt Sexualpsychologin Daniela Renn. "Es bedeutet, dass man sich künstlerisch im anderen Geschlecht betätigt. Das Besondere an Conchita Wurst ist, dass sie mit den langen Haaren und dem Bart selbst als Travestiekünstlerin noch beide Geschlechter verkörpert."
Während Wanders und Wurst zwischen den Geschlechtern switchen, hat sich Erik Schinegger in den 1960er-Jahren bewusst dafür entschieden, als Mann zu leben. Der Ex-Skirennläufer ist intersexuell. Er wuchs als Mädchen auf, später wurde festgestellt, dass seine männlichen Geschlechtsteile nach innen gewachsen waren. Renn: "Intersexuelle Personen tragen weibliche und männliche Merkmale in sich, können keinem Geschlecht zugeordnet werden. Meist merkt man das erst in der Pubertät. Intersexualität wird als das dritte Geschlecht bezeichnet."
Transsexuelle werden hingegen in einem eindeutigen biologischen Geschlecht geboren, wollen aber im anderen weiterleben. 2008 gab Chaz Bono, Tochter der Popsängerin Cher, bekannt, transsexuell zu sein. Sie ließ geschlechtsangleichende Operationen durchführen. "Ein solcher Eingriff ist kein Muss mehr. Man kann auch ohne Operation im nicht biologischen Geschlecht leben", sagt Renn.
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