Rolle der Kasperl-Figur im Ersten Weltkrieg erforscht

Ein Kasperletheater mit Kasper und einem Wolf an einem Brunnen vor einem Mondhintergrund.
Zwischen 1914 und 1918 wetterte der Spaßvogel u.a. in Front-Theatern sowohl gegen Kolonialtruppen als auch Kriegsgewinner.

Ein liebenswerter Kerl mit pausbäckigem Gesicht, Zipfelmütze und buntem Kostüm, der mit seinen Freunden lustige Abenteuer besteht - so kennen Kinder den Kasperl von heute. Im Ersten Weltkrieg hatte die Figur durchaus eine andere Rolle als die des harmlosen Spaßvogels und ein anderes Publikum: Soldaten an der Front und im Lazarett im Hinterland, wie an der Uni Graz erforscht wurde.

Hinterlistig, versoffen, brutal: Dass der gutmütige Kasperl bis vor 200 Jahren ein fauler Nichtsnutz und Trunkenbold war, weiß die Grazer Germanistin Beatrix Müller-Kampel. Sie erforscht seit Jahren den Werdegang vom Taugenichts zur didaktischen Paradefigur. Ihre Studentin Evelyn Zechner-Mateschko hat die Auslegung der Kasperl-Figur vor der Kulisse des Ersten Weltkrieges untersucht und zeichnet nun ein facettenreiches Bild.

"Von Sieg zu Sieg"

Erst im Laufe der Zeit wurde aus der männlichen Gestalt die fröhliche Kinderfigur: "Die Kasperlfigur wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu der niedlichen Figur, die wir heute kennen. Zuvor war die Rolle an Erwachsene adressiert", betonte Zechner-Mateschko im Gespräch mit der APA. So hetzte der "feldgraue" Kasper zur Zeit des Ersten Weltkrieges gegen afrikanische Kolonialsoldaten, wies Kriegszweiflern die Schranken und griff sogar selbst ins Kampfgeschehen ein. "Kasper saust von Sieg zu Sieg", wie es die Grazer Germanistin auch im Titel ihrer Masterarbeit festhielt.

Die Auslegungen der Figur sei vielfältig: "Sie konnte im Schützengraben kämpfen und mitleidlos Feinde gefangen nehmen, Phrasen dreschen. Oder aber auch kriegsbedingte Missstände im Hinterland kritisieren und opportunistische Kriegsgewinnler anprangern", schilderte Zechner-Mateschko. Das Publikum bestand mitunter aus Soldaten, die sich mit den Aufführungen der Front-Puppenbühnen über den freudlosen Alltag hinweghalfen, oder auch verwundete Soldaten im Lazarett, wie die Germanistin erhob.

Im Zuge ihrer Recherchen ist sie auf sechs Kasperl-Texte aus der Zeit des Ersten Weltkrieges gestoßen und hat diese untersucht. "Alle Autoren stammten aus dem bürgerlichen Milieu und waren keine berufsmäßigen Puppenspieler. Der Grazer Autor Fritz Oberndorfer war etwa Leiter des Referats für Kartoffelversorgung und kannte das Leid im Hinterland nur allzu gut, was sich auch in seinen Texten widerspiegelt", so Zechner-Mateschko.

Info: Download von "Kasper saust von Sieg zu Sieg'. Sozialhistorische und soziologische Studien zu ausgewählten Puppenspielen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs."

Krawuzi Kapuzi! Das Bild des Kasperls, den wir an dieser Stelle jüngst für seine Beständigkeit gelobt haben („Seid ihr alle da ...?“), muss leider umgehend revidiert werden. Das ergeben – was sonst? – jüngste Forschungen.

„Hinterlistig, versoffen, brutal“ soll der lustige Nichtsnutz bis vor 200 Jahren gewesen sein, fand eine Grazer Germanistin heraus. Als wäre das nicht schlimm genug, hatte Kasperl auch im Ersten Weltkrieg seine Finger im Spiel. In Feldgrau gewandet, hetzte er an der Front und in den Lazaretten gegen den Feind. Dass er nebenbei auch

Kriegsgewinnler anprangerte, macht seine Umtriebe nur mäßig sympathischer.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg besann sich die fehlgeleitete Puppe eines Besseren und sattelte von Kriegführen auf Kinderunterhaltung um. Und verfügt damit zweifellos über die Antwort auf eine der Urfragen der Menschheit: Wie bekommt man Holzköpfe dazu, ihre Gewehre gegen Kinderlachen einzutauschen? philipp.wilhelmer

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