Kaufmann mit Programmherzen

Ein Screenshot einer App mit der Option, „Titanium“ von David Guetta als Klingelton festzulegen.
atHundert Tage Richard Grasl. Der kaufmännische Direktor des ORF sitzt im sechsten Stock des Unternehmens, 25 Meter Alexander Wrabetz Büro entfernt. Grasl über Entzugserscheinungen, Niederösterreich LandeshauptmannErwin Pröll, über seinen Kampf um den Online-Markt und was er Standard-Herausgeber Oscar Bronner und Kronen Zeitung-Herausgeber Hans Dichand anbieten möchte. atmedia.at: War es ihre bislang beste berufliche Entscheidung als Landgraf in Niederösterreich an den Fürstenhof am Küniglberg zu gehen? Grasl:Es war eine sehr gute Entscheidung. Ich hab die Möglichkeit, mein Wissen, das ich in den letzten 15 Jahren im ORF in den Redaktionen und direkt am Produkt gesammelt hab, mit dem zu verbinden was ich in der Wirtschaft gelernt habe. Es ist eine tolle Aufgabe das Unternehmen weiterzuentwickeln und fit für die anstehenden Herausforderungen zu machen.
Was hat ihnen Landeshauptmann Erich Pröll zum Abschied gewünscht?
Grasl:Nichts, ich hatte unmittelbar danach keinen Kontakt mit ihm. Was mich durchaus freute waren die Glückwünsche und die Anerkennung von allen Seiten für meine acht Jahre als Chefredakteur im Landesstudio Niederösterreich.Farben sind keine Kategorie

Die Begleitmusik Ihres Wechsels, politisch bestellt et cetera, haben sie diese Zwischentöne bereits weggesteckt?
Grasl: Ja, ich glaube das muss man aushalten, wenn man sich um einen Job bewirbt. Für mich geht es darum, ab dem ersten Tag die Finanzen des Unternehmens gut zu führen. Da hat man überhaupt keine Zeit sich mit dem zu beschäftigen. In dieser Funktion sind rot, schwarz, blau, grün, orange oder was auch immer keine Kategorie. Für mich steht der ORF und eine gute Zukunft für dieses tolle Unternehmen im Mittelpunkt meiner Arbeit.

Keine Entzugserscheinung nach Nachrichten und Programm?
Grasl: Prinzipiell nicht. Früher habe ich Nachrichten produziert, jetzt bin ich Konsument. In meinem alten Job habe ich den ganzen Tag das aktuelle Geschehen beobachtet und alle Zeitungen gelesen. Jetzt konzentriert sich mein Medienkonsum auf die Früh oder den späten Abend. Nachrichten selber zu gestalten und zu bearbeiten geht mir nicht ab. Ich hab das zehm Jahre lang gemacht. Die Arbeitsweise hat aber eine ganz ähnliche Systematik. Man sammelt alle validen Informationen, bewertet sie und entscheidet.

Was befähigt Sie eigentlich so ein großes Unternehmen als kaufmännischer Direktor zu führen?
Grasl: Ich hab' Wirtschaft- und Handelswissenschaften studiert, Unternehmensführung und Controlling, ich war dann der Schweiz in einer Unternehmensberatung und in Österreich in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei. Während des Studiums arbeitete ich als Journalist und entschloss mich dann, das auch zu bleiben. Was aus heutiger Sicht gut war. Dass jemand, der für die Finanzen zuständig ist, auch weiß, wie das Produkt funktioniert, ist ja grundsätzlich kein Fehler. Das Mediengeschäft ist sehr komplex. Wir entscheiden hier eben nicht nur nach Tabellen und Kennzahlen sondern durchaus auch mit einem Programmherzen.

Online-Beschränkung ist falsch

Wo drückt dem neuen Finanzchef am meisten der Schuh?
Grasl: Die Beschränkung der Online-Werbung für den ORF, weil das ein absoluter Wachstumsmarkt ist. Dem österreichischen Online-Markt ist es insgesamt bislang nicht gelungen europäisches Durchschnittsniveau zu erreichen. Wir haben in Österreich fünf bis sieben Prozent Online-Werbemarktanteil, in Deutschland sind es über 20 Prozent, in Tschechien 13 bis 14 Prozent. Ein starker Player am Markt wie der ORF kann dem Markt helfen, den notwendigen Aufholprozess zu starten. Wenn der ORF da beschränkt wird, ist keinem gedient.

Angenommen ich wäre Oscar Bronner oder Hans Dichand und arbeite mit eigenem Geld. Was würden Sie mir anbieten damit ich das auch so sehe?
Grasl: Sagte ich schon: Mit uns den Online-Werbemarkt besser zu entwickeln. Aber unser Ansprechpartner in dieser Richtung ist der Gesetzgeber und ich habe solche Angebote nicht zu formulieren. Der Verleger Eugen Russ hat übrigens sehr klar gesagt, dass das eigentliche Problem in dieser Sache eher Google ist und nicht der ORF.

Klingt so als sei online lebenswichtig für Sie?
Grasl: Ich glaube, dass Fernsehen und Online mittelfristig stärker zusammenwachsen werden. Wenn wir 2015 einschalten, werden wir gar nicht mehr so genau unterscheiden, ob das nun Fernsehen oder ein digitales Angebot ist. Sie kriegen heute schon auf jeder Website Bewegtbild und Fernsehinhalte als On-Demand-Angebote. Für den ORF ist das ein ganz entscheidender Markt und wenn man da einen Deckel draufsetzt, beschränkt man uns ganz entscheidend. Wir nähern uns diesem Markt von der Bewegtbild-Seite her, die Printmedien von der Printseite. Wenn wir uns gegenseitig kannibalisieren hilft das nur der übermächtigen internationalen Konkurrenz.

Hochwertige Inhalte

Was haben wir vom ORF im Web noch zu erwarten?
Grasl: Ich bin der Meinung, dass wir diesen Teil unseres hochwertigen Programms, für das wir Gebühren kriegen, künftig auch im Web anbieten sollen. Unser Geschäftsmodell, die Finanzierung des ORF durch Werbung und Gebühren, ist ja von der EU jetzt außer Streit gestellt.

Unlängst haben wir vom Blogger Max Kossatz berichtet, der einen 24-Stunden-ORF Tag untersucht hat. Eines der Ergebnisse: In dieser Zeit gab es 44 Minuten Werbung und nur 39 Minuten Nachrichten. Dafür über 12 Stunden US-Serien. Berauschend?
Grasl: Na ja, von einem einzelnen Tag auf das gesamte Programm zu schließen ist etwas unfair: In ORF 1 gibt es erfolgreiche österreichische Comedy- und Unterhaltungsformate, erfolgreiche Serie aus heimischer Produktion, ein umfangreiches Sportangebot, eine eigene Info-Leiste für junges Publikum, unser eigenproduziertes Kinderprogramm und vieles mehr. Und wir arbeiten ja daran, dass ORF 1 noch österreichischer und öffentlich-rechtlicher wird. Zum Beispiel mit Chili, das eine amerikanische Serie ersetzt hat. Dieser Weg, nämlich auf ORF 1 für ein junges Zielpublikum noch mehr österreichische und öffentlich-rechtliche Inhalte zu bieten, ist eine ganz große Herausforderung. Wir nehmen sie an.

Wo drückt Sie noch der Schuh?
Grasl: Wir müssen die Produktionskosten soweit senken, damit wir auch in drei, vier Jahren, da die Rechte- und Personalkosten immer weiter steigen, mit dem Erlöspotenzial, das uns zur Verfügung steht, agieren können. Bei den Gebühren ist real nichts drinnen, die bindet das Gesetz künftig an die Inflationssteigerung. Bei Radio- und TV-Werbung sind auch keine großen Steigerungen drinnen, also müssen wir unsere Kostenseite voll in den Griff kriegen.

Kostenseitig sparen, Doppelgleisigkeiten beseitigen

Geht es etwas genauer?
Grasl: Wir müssen etwa existierende Doppelgleisigkeiten abbauen. Hier ist schon viel geschehen, aber Potenzial gibt es nach wie vor. Wir analysieren unsere Strukturen sehr genau und werden sie gemeinsam mit der Belegschaft weiterentwickeln.

Wird das neue ORF-Gesetz ihre Arbeit erleichtern?
Grasl: Erstens ist es noch nicht beschlossen und damit zu früh für eine Detailanalyse. Zweitens bringt es durch Klarstellung in gewissen Fragen Erleichterung. Drittens bringt uns die in Aussicht gestellte Gebührenrefundierung in den nächsten vier Jahren eine finanzielle Hilfestellung um Strukturprozesse besser bewältigen zu können. Anderseits bringt die neue Medienbehörde bei gewissen Entscheidungen bürokratischen Aufwand mit sich. Beispiel Budgeterstellung: Für den ORF ist es wichtig, am Ende des Jahres zu wissen, wie das Budget des nächsten aussehen wird und ob die Vorgaben für den Abruf der Gebührenrefundierung erfüllt sind. Es ist nicht praktikabel, erst am Ende des ersten Quartals zu erfahren, ob dieses Geld zur Verfügung steht oder nicht. Sonst müssten wir mit zwei Budgets arbeiten.

Aus dem Entwurf: Fünf Juristen sollen ihre Budget-Ansätze auf fünf Jahre im Voraus prüfen. Nennt man das praxisnah?
Grasl: Ich verstehe die Intention des Gesetzgebers das öffentliche Gelder, die hier eingesetzt werden um die Strukturreformen zu unterstützen, in transparenter Form verwendet werden. Über den geplanten Modus, wie man das sicherstellen möchte, kann ich mich auch noch nicht anfreunden.

Ein Mann im Anzug steht mit verschränkten Armen vor einem grauen Hintergrund.
Richard Grasl, kaufmännischer Direktor ORF (c: orf)

Stichwort zweites Buchungsquartal. Wie läuft das Geschäft mit der Werbung?
Grasl: Schon die Zahlen des 1. Quartals zeigen, dass sich die Werbekonjunktur stabilisiert und die Kunden den ORF mögen. Franz Prenner von der ORF-Enterprise hat viel vor auf dem Werbemarkt. Er verfügt über ein sehr, sehr gutes Einvernehmen mit den Agenturen und wird einiges weiterbringen. Ich glaube, wir werden im zweiten Quartal dort liegen werden, wo es der Finanzplan vorsieht. Das heißt etwas unter dem Vorjahr, aber der extreme Abwärtstrend der letzten beiden Jahren ist gestoppt.

Träumen Sie von manchmal, wie es wäre, nur einen Besitzer zu haben?
Grasl: Das gibt es in Unternehmen dieser Grössenordnung überhaupt nur selten. Vielleicht ist das bei Dietrich Mateschitz und seinem Servus TV so. Wir gehören ganz Österreich. Bei uns ist eines wichtig: Je besser wir als Geschäftsführung zusammen arbeiten und je stärker diese ist umso klarer sind unsere Vorstellung umsetzbar.

atmedia.at

Kommentare