Internationale Pressestimmen zur Flüchtlingskrise

Internationale Pressekommentare befassen sich auch am Montag mit der Flüchtlingskrise in Europa.
Lidove noviny,
Prag:
"Die Politik ist ein sehr hartes und zuweilen auch schmutziges Spiel. Und
Deutschland beherrscht diese Disziplin sehr gut. Die Schließung der Grenzen führt zu unhaltbaren Bedingungen in jenen Staaten des Schengenraums, in welche die Migranten zuerst strömen. Das erhöht den Druck auf diese Staaten, einer gemeinsamen europäischen Aktion zuzustimmen, vor allem der Umverteilung mittels Quoten. Insbesondere Ungarn dürfte unter extremen Druck geraten und könnte aus der Ablehnungsfront der Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) ausscheren. (...) Die Politik ist ein schmutziges Geschäft. Es bleibt zu hoffen, dass das deutsche 'Vorübergehend' nicht 23 Jahre andauert."
Pravo,
Prag:
"Tschechiens Ministerpräsident Bohuslav Sobotka hat wiederholt betont, dass er Flüchtlingsquoten nicht zustimmen kann. (...) Sobotkas Kritik richtet sich nicht gegen die Europäische Union als solche. Tschechien gehört für ihn in die EU. Aber er ist nicht bereit, angesichts der Absichten der Kommission die Rolle des nützlichen Idioten oder eines Vasallenstaats zu spielen. Sobotka will das Prinzip der Freiwilligkeit bei der Entscheidung durchsetzen, wie viele Flüchtlinge jedes Land aufnimmt. Die heimische Politikszene steht mehrheitlich hinter dem Ministerpräsidenten."
La Stampa,
Rom:
"Von der Euphorie zur Erschütterung. Nicht nur wegen der deutschen Entscheidung, wieder Grenzkontrollen einzuführen, was praktisch bedeutet, die Flüchtlinge auf der Straße zu lassen. Beunruhigend sind vor allem die Gründe der Entscheidung. Die deutschen Behörden haben erklärt, die Situation nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Die legendäre deutsche Organisation, die uns vor einigen Tagen mit der Sicherheit überrascht hat, mit der sie Hunderte asylsuchende Flüchtlinge aufgenommen hat, hisst nun die weiße Fahne. (...)
Und jetzt? Vor allem, wo sollen die Flüchtlinge hin, die an den Grenzen gestoppt werden? Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere spricht von Wartezonen, auch in Italien. Auf Basis unserer Erfahrungen ergibt sich daraus eine trostlose Perspektive."
Dernieres Nouvelles d'Alsace,
Straßburg:
"Mit der vorübergehenden Aufhebung des Schengener Abkommens (über die Aufhebung der Grenzkontrollen) stellt Deutschland nicht die Idee eines offenen
Europas infrage, es gewährt sich lediglich eine Atempause. So können sich die Deutschen angemessen um die bereits eingereisten Flüchtlinge kümmern und etwas ruhiger nach langfristigen Lösungen suchen. Es wäre nicht nur eine Niederlage, 30 Jahre nach Abschaffung der Grenzkontrollen diese wieder einzuführen, es wäre auch ein schwerer politischer und wirtschaftlicher Fehler, der uns noch lange Zeit verfolgen würde."
Neue Zürcher Zeitung:
"Mit der Entscheidung zieht die deutsche Regierung gewissermaßen die Notbremse. Die vor einer Woche aus der Dringlichkeit der humanitären Lage an der ungarisch-österreichischen Grenze geborene großzügige Aufnahme wird damit zum Ausnahmefall, zu dem ihn die Kanzlerin von Anfang erklärt hatte. Berlin setzt mit seinem Vorgehen die Europäische Union unter Zugzwang. Doch genauso wenig, wie der ungarische Grenzzaun Flüchtlinge davon abhält, nach Ungarn zu gelangen, werden die Asylsuchenden einfach von ihrem Wunschziel Deutschland absehen. (Der deutsche Innenminister Thomas) de Maiziere mag das Dublin-System beschwören und erklären, Asylsuchende könnten sich den EU-Staat, in dem sie Zuflucht suchten, nicht auswählen. An der Dysfunktionalität dieser Regelungen ändern die Eindämmungsversuche nichts. Die Probleme verlagern sich einfach."
Tages-Anzeiger,
Berlin:
"(...) Erst hat Deutschland das Dublin-Verfahren faktisch aufgehoben, jetzt setzt es das Schengen-Abkommen temporär aus. Beide beherzten Entscheide gegen geltende europäische Regeln waren im Moment wohl unumgänglich. Und gleichzeitig eine Folge allgemeiner Ratlosigkeit, wie mit den Hunderttausenden von Menschen, die nach Europa drängen, überhaupt umzugehen sei. So wie Deutschland zuvor die Transitländer Österreich und Ungarn entlastet hat, erhöht es nun mit den Grenzkontrollen den Druck auf sie wieder. Ein Signal ist der Entscheid indes vor allem an die EU, deren Innenminister sich heute treffen, um über eine fairere Verteilung von Flüchtlingen und die damit verbundenen Lasten zu beraten: Deutschland wird und kann die
Flüchtlingskrise nicht allein lösen. Willkommenskultur hin oder her."
El Pais,
Madrid:
"Deutschland hat starke Anreize und mächtige Instrumente, um die rund 800.000 Flüchtlinge aufzunehmen, die für dieses Jahr vorgesehen sind, und um das auch in den kommenden Jahren weiter zu tun. Das Land verfügt über robuste und wirksame Institutionen, über eine Wirtschaft, die die neu Ankommenden eingliedern kann, sowie über eine Bevölkerung, die darauf vorbereitet ist, jene aufzunehmen, die ja schließlich die Zukunft eines Landes garantieren werden, das einen Bevölkerungsrückgang und die Dekadenz seines Wohlfahrtsstaates erlebt. (...)
Die Flüchtlingsbewegungen werden auch die (anderen) Länder der EU verändern. Was sich aber schon jetzt verändert, ist das Bild von Deutschland, das sich endgültig von den Stereotypen und Klischees entfernt, die mit der tragischen Geschichte Europas verbunden sind."
Diena,
Riga:
"Lettland positioniert sich gegen die Unterbringung von zusätzlichen Asylbewerbern. Doch kein Land hat in dieser Frage ein Vetorecht. (...) Lettland wird die von der Mehrheit der Länder unterstützten neuen Vorschläge von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker respektieren müssen, mit denen die Verteilung von Asylbewerbern auf die Länder geändert wird. Für Lettland bedeutet das die Aufnahme von weiteren 526 Personen - zusätzlich zu den bisher geplanten 250 Flüchtlingen. Doch als einziges Land, das sich dem Vorschlag widersetzt, könnte Lettland seinem Ansehen schaden."
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