Gebührenfinanzierter Rundfunk kann Meinungsvielfalt gefährden

Ein lächelnder Mann mit Brille und Schnurrbart vor einer grauen Wand.
de, at, chDer deutsche Medien-Wissenschafter Stephan Russ-Mohl kann sich "angesichts der derzeitigen Umwälzungen im Mediensystem" vorstellen, dass es "keineswegs gesagt ist, dass ein starker gebührenfinanzierter Rundfunk auch in Zukunft weiterhin notwendig ist". Im einem, in der NZZ.ch veröffentlichten Beitrag, erörtert Russ-Mohl Gründe, weshalb ein starker öffentlich-rechtlicher Rundfunk "statt Marktversagen zu korrigieren, die Entwicklung eines funktionsfähigen 'Marktplatzes der Ideen' blockiert und die Meinungsvielfalt gefährdet".

Der Medienwissenschafter geht davon aus, dass das bislang "halbwegs friedliche Nebeneinander von Presse und Rundfunk" und das duale Rundfunksystem in einen "Kampf alle gegen alle" übergeht. Dabei entsteht folgende Dominanz: "Derjenige, der über mehr Ressourcen verfügt, frisst die anderen".

Russ-Mohl argumentiert, dass öffentlichen Rundfunk-Anstalten, die "ursprüngliche Rechtfertigung ihres Daseins bereits lange vor dem Siegeszug des Internets entfallen" ist. Angesichts der drastischen Verbilligung des Zugangs und der Möglichkeit zur Medien-Produktion und Veröffentlichung gibt es inzwischen Plattformen im Überfluss, um ein vielstimmiges und pluralistisches Meinungsangebot zu sichern.

Daraus einen höheren Demokratisierungsgrad abzuleiten, hält der Wissenschafter für trügerisch und die "Vorstellung vom Netz als 'demokratischem' Medium, in dem jeder gleiche Artikulationschancen hat, wie sie Internet-Gurus wie Clay Shirky und Jeff Jarvis propagieren", beurteilt er als "naiv".

Russ-Mohl ordnet der Netzwirtschaft spezifische Gefahren zu. Und zwar würde sie "oligopolische Strukturen fördern" und Netzwerk-Effekte aufweisen, die "jeweils die grössten Anbieter begünstigen", während "alle anderen kaum eine Chance haben, Geld zu verdienen". Er nennt Google als Beispiel für den Suchmaschinen-Markt und Facebook für den Social Media-Markt.

Große Medien-Anbieter werden auf globaler Ebene noch grösser. Darunter schart sich eine Handvoll Unternehmen in regionalen Märkten. Und der Rest kämpft um das Überleben. "Für alle anderen könnte es im Netz ziemlich eng werden", argumentiert Russ-Mohl.

In dieser Umgebung kristallisiern sich Gebühren-Einnahmen öffentlich-rechtlicher Rundfunk-Betriebe als "drastische Wettbewerbsverzerrung" heraus. "Sie wird dadurch verschärft, dass den privaten Medienanbietern auch die Abonnements- und Einzelverkaufserlöse abhandenkommen", erklärt der Medien-Wissenschafter und ergänzt, dass das Medienbudget der Konsumenten von diesen nur einmal ausgegeben werden kann, der Kosten-Anteil für den öffentlich Rundfunk "zwangsweise reserviert" ist, unter Umständen, wie etwa in der Schweiz, "besonders hoch" sein kann und daher für einen "selbstbestimmten Medienkonsumen nicht mehr zur Verfügung steht".

Daraus resultiert wiederum Medienkonzentration. Unter diesen Vorzeichen hält Russ-Mohl die sogenannte Coopetition, ein lebendiges Mit- und Gegeneinanderwirken von Medien-Unternehmen in einem Markt, für das wünschenswerteste Zukunftsszenario. Oder wie es es ausdrückt: "Man arbeitet zusammen, wenn man sich wechselseitig ergänzt. Und man konkurriert trotzdem gegeneinander, um Meinungsvielfalt zu gewährleisten und den Marktplatz der Ideen funktionsfähig zu erhalten."

Die weitere Szenarien sind für Russ-Mohl "beängstigend". Es kommt beispielsweise in Medienmärkten zu keiner Kooperation. Stattdessen fressen öffentlich-rechtliche Gebühren Medienbudgets von Konsumenten auf. Private Anbieter schaffen es nicht, ihre journalistischen (Online-)Angebote zu refinanzieren. Und die Medien-Konvergenz setzt Verdrängungseffekte in Gang. Öffentlich-rechtliche Rundfunk-Unternehmen können mit ihren Gebührenerlösen private Anbieter aus dem Inhalte-Wettbewerb drängen. Letztere sehen sich mit Content-Investitionen konfrontiert, deren Refinanzierung nicht absehbar ist und einen längeren Zeitraum, bei gleichzeitig schneller wechselnden Nachfrage-Vorlieben, benötigt.

Russ-Mohl ist der Ansicht, dass "im deutschen Sprachraum zu fragen wäre, ob all die öffentlich-rechtlichen Programme, die es gibt, wirklich im öffentlichen Interesse sind - und ob nicht ein Teil der Gebührengelder zweckentfremdet versickern". Er beanstandet, dass "es eine grosse Diskrepanz zwischen dem, wass öffentlicht-rechtlicher Rundfunk vorgibt zu sein, wenn er seine Existenzberechtigungen nachweisen soll, und dem , was er tatsächlich ist, gibt".

Er attestiert dem öffentlichen Rundfunk eine, Privatsendern ähnliche "Quoten-Geilheit". Weiters wird mit "Gebührengeldern weitgehend dupliziert, was der Markt ohnehin bereitstellt". Russ-Mohl: "Der Löwenanteil der Gebühren kommt jedenfalls nicht der Grundversorgungen einer Demokratie mit Informationen zugute, sondern eher einer Überversorgung mit Unterhaltung und Zirkusspielen, die von der Politik und vom 'herrschaftsfreien Diskurs' öffentlicher Angelegenheiten ablenken dürften".

Stephan Russ-Mohl: Was gebührte dem gebührenfinanzierten Rundfunk? - NZZ.ch

Kommentare