Es gibt Mord, Baby!

Zwei Männer in Winterkleidung schauen nach oben.
ORF-Journalistin Julia Ortner über "Tatort"-Sucht und den Zwang, die Folgen auf Twitter zu kommentieren.

Das Opfer ist pelzig und es ist tot, eindeutig. Es liegt verkrümmt da, unter der Motorhaube, die Polizisten schauen professionell. Kommissar Lessing – stimmt, das ist eine elegante Anspielung in der Goethe- und Schiller-Stadt Weimar – versucht, den toten Marder zwischen den Kabeln herauszuziehen. Kommissarin Dorn, scharfer Ermittlerinnen-Blick, sagt: "Sieht mir nach einem klassischen Selbstmarder aus."

Porträt einer Frau mit langen, blonden Haaren und einem grauen Blazer vor einem weißen Hintergrund.
"Julia Ortner", ZIB_Redakteurin (FI1)Im Bild: Julia Ortner. - Veroeffentlichung fuer Pressezwecke honorarfrei ausschliesslich im Zusammenhang mit oben genannter Sendung oder Veranstaltung des ORF bei Urhebernennung. Foto: ORF/Milenko Badzic. Anderweitige Verwendung honorarpflichtig und nur nach schriftlicher Genehmigung der ORF-Fotoredaktion. Copyright: ORF, Wuerzburggasse 30, A-1136 Wien, Tel. +43-(0)1-87878-13606
Ja, solche Dada-Witze finde ich amüsant. Schreibe ich auch gleich auf Twitter (Username: @Julia_Ortner, Anm.). Es ist Sonntagabend und ich sage: Es gibt Mord, Baby! Also kollektives " Tatort"-Schauen, wer braucht Chorsingen, wenn man so ein Gruppenerlebnis haben kann. Der " Tatort" ist ein schön biedermeierliches Ritual, früher hat man zum Krimischauen noch telefoniert und das Ganze am nächsten Tag mit den anderen Auskennern in der Redaktion durchdekliniert.

Heute bin ich alleine mit meinem Twitter, wenn die Leute im Hauptabend sterben.

Ein geistreicher Tweet zum Geschehen alle drei Minuten, das ist die Maßeinheit. Scheint mir noch nicht pathologisch, höchstens ein bisschen neurotisch.

Der Sonntagabendkrimi beruhigt das Volk, das wissen wir auch aus dem Werk "Der ,Tatort‘ und die Philosophie". Die Welt gerät nicht aus den Fugen, alles vorhersehbar in gewisser Weise, das abgenutzte Wort "verstörend", man wird es beim "Tatort" eher nicht einsetzen können. Und am Ende siegt das Gute, also meistens. Eine standardisierte Grundstruktur ganz nach der Definition der Kulturindustrie von Theodor W. Adorno. Die Stars aus- tauschbar, Motive und Pointen ähnlich gestrickt.

Wenn da nicht die Neuen kommen würden, die Anderen. Die Weimarer Kommissare Lessing und Dorn zum Beispiel, Christian Ulmen und Nora Tschirner, sind die Antithese zum herkömmlichen Format, sozusagen posttatort.

Sie treiben ihrem Krimi jede gesellschaftspolitische Eingekrampftheit aus.

Das macht sie dem lang gedienten "Tatort"-Personal verdächtig: Besitzstandswahrer gegen unberechenbare Individualisten, dieser gesellschaftliche Wettbewerb spiegelt sich jetzt auch im Sonntagabendkrimi wider. Ulrich Tukur, Wotan Wilke Möhring, nun auch Fabian Hinrichs, renommierte Schauspieler, die dem "Tatort" ihr eigenes Profil aufdrücken. Und Til Schweiger versucht es als Bruce Willis für Komödienfans, immerhin.

Wie groß die Angst mancher vor den Neuen wohl ist, hat man kürzlich im SZ-Magazin gelesen. Da treffen sich fünf TV-Polizisten zum Gespräch. Die Stimmung: Früher war alles besser. Nur Dominik Raacke, nach 36-mal als Berliner Ermittler am Ende seiner ,Tatort‘-Zeit, sagt es unverblümt: "Nach einigen Jahren setzt so eine Verbeamtung ein." Und Tatortbeamter bis zur Pension, das spielt es eben auch nicht mehr.

Neuerungen in der Tatort-Saison 2014/'15

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