Demonstration in Berlin für Pressefreiheit

Eine Menschenmenge mit Kameras und einem Schild mit der Aufschrift „Merkel und die Detektive!“.
Mehr als 1.000 Menschen protestierten gegen die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Netzpolitik.org.

Mehr als 1.000 Menschen haben am Samstag in Berlin für Pressefreiheit demonstriert. Die Unterstützer des Internetportals Netzpolitik.org wandten sich damit gegen die staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen Landesverrats. Nach Schätzungen der Polizei beteiligten sich etwa 1.300 Menschen an der Abschlusskundgebung am Justizministerium. Angemeldet waren 400.

Zwei Männer stehen zusammen, einer mit einem roten Hut und einem T-Shirt mit Stern, der andere mit Brille und CC-T-Shirt.
epa04868887 Markus Beckedahl (R), founder and editor in chief of blog Netzpolitik.org, and author for the blog Andre Meister (L) at a protest by internet activists in Berlin, Germany, 01 August 2015. Supporters of the Netzpolitik.org internet portal are protesting the treason charges against the blog. It became public on 30 July 2015 that German Public Prosecutor had launched treason proceedings against bloggers at the popular German-language website netzpolitik.org. The charges were filed after netzpolitik.org uploaded to its website excerpts of confidential documents from Germany's domestic intelligence agency outlining plans to extend internet surveillance in the country. netzpolitik.org has won awards for its journalism and campaigns for civil liberties in the digital world. EPA/BRITTA PEDERSEN
Die Journalisten von Netzpolitik.org hatten über Pläne des Bundesamts für Verfassungsschutz berichtet, Internet-Netzwerke stärker zu überwachen. Dazu veröffentlichten sie geheime Unterlagen. Der Verfassungsschutz erstattete daraufhin Anzeige. Der Generalbundesanwalt leitete Ermittlungen ein, lässt sie aber nun vorerst ruhen. Die Ermittlungen hatten scharfe, parteiübergreifende Kritik in Politik und Medien ausgelöst. Netzpolitik.org hatte die Ermittlungen als "Angriff auf die Pressefreiheit an sich" bezeichnet.


Verfassungsschützer verteidigt Vorgehen

Der deutsche Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen hat unterdessen sein Vorgehen verteidigt. Seine Strafanzeigen gegen Unbekannt hatten die Ermittlungen ausgelöst. "Um die weitere Arbeitsfähigkeit meines Hauses im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus sicherzustellen war es notwendig, gegen die Herausgabe von als vertraulich oder geheim eingestuften Dokumenten des BfV juristisch vorzugehen", begründete der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) die Anzeigen in der Bild am Sonntag. "Alles Weitere ist nun eine Angelegenheit der Justiz."

Dass Generalbundesanwalt Harald Range angekündigt hatte, die Ermittlungen vorerst nicht vorantreiben zu wollen, wollte Maaßen nicht kommentieren. Die Betreiber des Blogs hatten mehrfach geheime Dokumente des Verfassungsschutzes ins Internet gestellt.

Die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen den Blog Netzpolitik.org haben in Deutschland Proteststürme ausgelöst. Politiker verschiedener Parteien reagierten am Freitag mit Unverständnis und Empörung auf das Vorgehen der deutschen Bundesanwaltschaft.

Auch Journalistenverbände verlangten eindringlich ein Ende der Aktion. Generalbundesanwalt Harald Range will die Ermittlungen nun vorerst ruhen lassen und ein Gutachten dazu abwarten, wie er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte.

Link zu netzpolitik.org: Wegen diesem Artikel wurde ermittelt

Hintergrund: Journalisten wegen Landesverrats verfolgt

Netzpolitik.org ist einer der bekanntesten deutschsprachigen Blogs und wurde 2014 mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. Der Generalbundesanwalt wirft dem Gründer des Blogs, Markus Beckedahl, und dem Autoren Andre Meister, Landesverrat vor und hat ein Ermittlungsverfahren gegen die beiden eingeleitet.

Darüber informierte die oberste deutsche Ermittlungsbehörde die Blogger in einem Brief, den Netzpolitik.org am Donnerstagabend ins Netz stellte.

Vertrauliche Dokumente

Es geht um die Veröffentlichung von Informationen und Dokumenten des Bundesamts für Verfassungsschutz (Inlandsgeheimdienst). Netzpolitik.org hatte in zwei Artikeln Pläne der Behörde zum Ausbau der Internet-Überwachung beschrieben. Dazu veröffentlichte der Blog Auszüge von vertraulichen Dokumenten der Behörde.

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hatte wegen der Indiskretionen Anfang Juli beim Landeskriminalamt Berlin Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Diese ging dann weiter an die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe.

Auf dpa-Anfrage wollte sich das Bundesamt nicht zu den Vorgängen äußern. Aus dem Umfeld der Behörde hieß es aber, Maaßen habe die Anzeigen nicht gegen Journalisten oder Blogger gerichtet. Ihm sei es vielmehr darum gegangen, gegen jene vorzugehen, die die Informationen an Journalisten gegeben hätten.

Einschüchterung

Der Gründer von Netzpolitik.org warf Regierung und Bundesanwaltschaft vor, mit den Ermittlungen Journalisten einschüchtern zu wollen. Die Aktion richte sich gegen investigative Journalisten und ihre Quellen, sagte Beckedahl der dpa. Seine Kollegen und er ließen sich dadurch aber nicht abschrecken. Die Blogger erhielten von vielen Seiten Solidaritätsbekundungen.

So erfuhr eine Internet-Petition gegen die Landesverrats-Ermittlungen am Freitag großen Zulauf: Nach Angaben der Initiatoren von der Kampagnenplattform "Change.org" unterzeichneten mehr als 17.000 Menschen binnen weniger Stunden den Aufruf. Die Ermittlungen werden in dem Aufruf als "massiver Eingriff in die Pressefreiheit" kritisiert. Zudem fordert die Petition eine konsequentere Aufklärung der Lauschaffäre um den US-Geheimdienst NSA und den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND).

Fragwürdig

Kritiker werfen der Bundesanwaltschaft seit längerem vor, Spähvorwürfen gegen die NSA nur höchst zögerlich nachzugehen. Die Grünen hielten Range vor, in einem Fall gar nicht zu handeln und im anderen übereilig. Das sei mehr als fragwürdig.

Range will die Ermittlungen zwar nicht einstellen, aber zumindest ruhen lassen. Seine Behörde verzichte mit Blick auf das hohe Gut der Pressefreiheit vorerst auf nach der Strafprozessordnung mögliche Exekutivmaßnahmen, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

In dem Ermittlungsverfahren sei zunächst zu klären gewesen, ob es sich bei den Veröffentlichungen um die Bekanntgabe eines Staatsgeheimnisses handelt. Dazu werde ein externes Sachverständigengutachten eingeholt. "Bis zum Eingang des Gutachtens wird mit den Ermittlungen innegehalten", erklärte er.

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