ATV wird Kreativ-Fabrik für Deutschland

Seit 2013 ist Martin Gastinger ATV-Geschäftsführer. Als Kreativ-Kopf steht er hinter vielen Eigenproduktionen, die international verkauft werden z. B. als "Construction Nightmare" oder "Teenage & Pregnant"
ATV-Geschäftsführer Martin Gastinger erzählt über Format-Entwicklungen, Trends, "kleine rosa Sender" und den VÖP.

ATV wird künftig Sendungen entwickeln, die nicht zwangsläufig für den österreichischen Privaten bestimmt sind, erzählt ATV-Chef Martin Gastinger. Im Interview spricht er noch über Programm-Stärken und -Lücken und er fürchtet sich nicht vor dem Trash-Vorwurf.

atmedia.at: Wie zufrieden sind Sie mit ATV und ATV2 im ersten Halbjahr? Die Quoten-Entwicklung ist ja nicht überwältigend.

Martin Gastinger: Zufrieden ist nur der, der nichts mehr erreichen will. Wir aber wollen wachsen. Deshalb müssen wir noch bessere Ideen haben, wie wir mehr Zuseher zu ATV und ATV 2 bringen können. Die Konkurrenz durch die deutsche Sender ist groß. Jeder neue Abspielsender großer TV-Konzerne knabbert an den Marktanteile. Da geht es uns wie dem ORF. Dass wir stabil liegen, ist deshalb schon ein Erfolg.

Wo sehen Sie die Stärken des ATV-Programms?

Wir punkten mit unseren Eigenproduktionen, die uns von anderen unterscheiden. Das sind Formate wie "Pfusch am Bau", "Teenager werden Mütter" oder "Der große Österreich-Test". Da liegen wir in der Zielgruppe zum Teil deutlich an der Spitze. Das kann dann dazu führen, dass man uns mit deutschen Produktionsfirmen zu kopieren versucht, wie mit dem Super-Novak bei Puls4 passiert. Uns zeigt das aber, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Darüber hinaus sind es die Eigenproduktionen, die uns Werbekunden bringen.

ATV wird Kreativ-Fabrik für Deutschland
Ab 5. Juli bei ATV: Adi Weiss durchforstet die Kleiderschränke von Prominenten wie Eric Papilaya und mistet aus.
Was ist in nächster Zeit geplant?

Wir haben eben unsere von Andi Moravec präsentierten Themenabende gestartet. Das Spektrum reicht vom Wohnen bis zum Sex der Österreicher. Im Herbst folgen die Themen Arm und Reich in Österreich, Glaube sowie Tiere in Österreich. Im Sommer, ab 5. Juli, probieren wir "Im Schrank der Stars – mit Adi Weiss". Der Modi-Fuzzi, wie er sich nennt, schaut in die Schränke von Prominenten wie Elke Winkens, Lukas Plöchl, Alfons Haider, Erik Papilaya, Ekaterina Mucha & Co und mistet aus. Da fliegen sozusagen die Fetzn. Darüber hinaus setzen wir auf unsere Reportagen wie am Montag über einen der größten Polizei-Einsätze Österreichs aus Anlass des Bilderberger-Treffens (20.15). Wir waren auf Einladung des Innenministerium ganz nah am Geschehen dran. Am 29. Juni folgt eine Reportage über österreichische Gotteskrieger, für die ein Team in Syrien war. Eine harte Geschichte.

ATV-Produktionen werden inzwischen bei internationalen TV-Messen wie in Cannes verkauft.

Im Grund ist aus einer kleinen Idee, die ich unserem Eigentümer Herbert Kloiber einmal vorgeschlagen habe, ein Business-Zweig entstanden, der floriert. Unser Verkaufskatalog wird immer dicker. Jetzt eben entsteht ein Pilot von "So denkt Deutschland" analog zu "So denkt Österreich". Von "Von Poltern & Heiraten" wurde ebenfalls eine deutsche Fassung, die "Junggesellen-Abschied" heißt, produziert. Und schon davor haben wir etwa ein Dutzend Formate allein nach Deutschland verkauft wie "Teenager werden Mütter" oder "Schwer verliebt". Jetzt haben wir unseren Tätigkeitsbereich noch erweitert: Wir entwickeln nun erstmals Formate, die speziell für den deutschen Markt gedacht sind. Die müssen gar nicht bei ATV laufen.

Ist ATV so etwas wie die Kreativ-Fabrik für die Tele München?

Wir haben viele Ideen - mehr, als wir in Österreich auf Sendung bringen könnten. Ich habe erst jüngst fünf neue Pilotsendungen für 2016 beauftragt. Wir können aber höchstens zehn neue Format im Jahr starten. Deutschland wiederum ist ein sehr großer TV-Markt. Dort werden permanent neue Ideen für Sendungen gesucht, die wir liefern können. Ein Nebeneffekt davon: ATV ist nach dem ORF der zweitgrößte Auftraggeber von Produktionen im Land. Natürlich sind wir anders ausgerichtet als der ORF, aber es sind sicher ein Dutzend österreichischer Produktionsfirmen, die permanent für uns arbeiten.

So gesehen bräuchte ATV weitere Sender. Angekündigt wurden sie ja bereits.

Ich denke, es ist keine Frage, des Ob sondern nur eine Frage des Wann. Ob Anfang 2016, Mitte oder Ende 2016 gestartet wird. Inhalte, Kalkulationen und Zeitpläne liegen dem Eigentümer vor. Das alles zeigt, dass Herbert Kloiber großes Interesse und die Leidenschaft hat, in Österreich Fernsehen zu machen.

Wonach richten Sie sich bei Eigenentwicklungen, wohin geht der Trend?

Wir gehen in zwei Richtungen: Zu einem geringeren Teil wird es weiter um Service gehen - da sind wir aber schon jetzt sehr gut aufgestellt. Unser Hauptaugenmerk liegt aber auf Unterhaltung. Denn Fernsehen muss wieder lustiger werden, denn die Zeiten sind schlecht genug. Wir werden dazu die österreichische Seele noch stärker herausarbeiten. Das kann dann auch skurril werden.

Angst davor, dass wieder der Trash-Vorwurf kommt, haben Sie nicht?

Wozu, er stimmt ja nicht. Was ist an "Pfusch am Bau", am "Hausarzt" oder "So denkt Österreich" Trash? Weil wir die Menschen sagen lassen, was denken? Über Geschmack streite ich immer wieder gern. Ich gehöre nicht zu jenen, die auf andere hinunter blicken, weil ich deren Vorlieben nicht teile.

Sie betonen die Eigenproduktionen. Welchen Stellenwert hat den Fiction noch für ATV?

Wir haben es eben erlebt mit "Skyfall" – herausragendes Fiction-Programm wie dieser James Bond funktioniert. Damit kann man sich als Sender immer noch positionieren. Deshalb brauchen wir die Free-TV- und Österreich-Premieren. Wir haben das Glück, dass unser Eigentümer den Zugang zu Blockbustern hat und sie ATV auch überlässt. Das gilt auch für Top-Serien.

Wie geht es ATV2?

Erfreulich. ATV2 wird ja grundsätzlich ganz anders bespielt als ATV. Es laufen dort kaum Wiederholungen von ATV-Sendungen. Ja, es gibt sogar welche, die wir dort nie spielen werden, weil sie einfach nicht hinpassen. ATV2 bietet besondere, preisgekrönte Filme, klassische Blockbuster sowie einen Mix an Serien sowie Kultur. Das wird sehr gut angenommen. ATV ist im Gegensatz dazu der Entertainment-Channel.

Ein Problem für ATV2 ist die technische Reichweite.

Derzeit kann ein Kabelnetz-Betreiber sagen: Nettes österreichisches Programm, aber ich brauch den Platz für irgendein deutsches Fenster-Programm, das möglicherweise auch noch dafür bezahlt. Das ist, mit Ausnahme des ORF, ein Problem für alle österreichischen Sender bis hin zu den Regionalsendern. Deshalb haben wir so für die Must-Carry-Regelung gekämpft, also dafür, dass Kabelnetz-Betreiber verpflichtet werden, österreichische Sender einzuspeichern. ATV2 mit seinem anspruchsvollen Programm kommt derzeit nur auf eine technische Reichweite von 72 Prozent.

Bei ATV steht die Information gut da. Warum? Manch österreichische Konkurrenz hat da ja zu kämpfen?

Informationskompetenz muss man sich hart erarbeiten. Man muss dazu stehen, dass Information kostet und vergleichsweise personalintensiv ist. Unsere Information ist sehr österreichisch, flott und modern. Die Konsumenten haben sich daran gewöhnt, dass man bei ATV noch vor der "ZiB" Appetithappen bekommt. Aber auch die Sendung kurz vor 20.15 funktioniert immer besser. Die Zuseher mussten sie erst entdecken. Dazu kommen unsere Wahlsendungen. Wir waren, anders als etwa Puls4, auch bei den Landtagswahlen jüngst live dabei. Das merken sich nicht nur Politik-Journalisten sondern auch Zuseher. Wir hatten ein extrem positives Feedback auf unsere Berichterstattung. In Oberösterreich werden wir wieder ausführlich berichten und in Wien dann sowieso. Das heißt, Information ist uns wichtig. Auch im Magazin-Bereich machen wir weiter: Martin Thür hat den Auftrag bekommen, zehn neue Sendungen seines mit der ROMY ausgezeichneten Formats Klartext zu machen.

Was bei Puls4 gut funktioniert, bei ATV aber fehlt, ist Comedy wie „Bist du deppert“

Das ist vor allem eine höchst umstrittene Sendung.

Wieso?

Da werden Sachen in die Welt gesetzt, die hinterfragenswert sind und auch verärgern. Aber wie auch immer: Es ist ein Experiment, das wir auch angeboten bekommen, aber abgelehnt haben. Comedy ist ein schwieriges Pflaster. Puls4 hat das Glück gehabt, das es funktioniert hat. Das muss man neidlos anerkennen. Unser Beitrag dazu ist der Titel, den Bist Du deppert hatte ich schützen lassen und wir haben ihn dann verkauft.

Und nun zum Sport bei ATV

Wir sind weiterhin im ÖFB-Cup engagiert. Damit starten wir im August/September wieder. Es ist das auch das einzig verfügbare Recht. Wir bewerben uns natürlich bei allem, was einen gewissen Sinn macht wie WM, EM, Olympische Spiele oder, wie wir es gemeinsam mit dem ORF gemacht haben, für die Europa League.

Puls4 konnte mit der Champions League auch heuer ganz gute Quoten holen.

Im Jahresschnitt in der Zielgruppe liegt der kleine rosa Sender immer noch hinter ATV und das letzte Spiel der Fußball-Champions-League gesendet. Würde man die herausrechnen, würde es düster ausschauen. Und die Europa-League in der kommenden Saison ist bei weitem nicht so attraktiv. Das musste schon der ORF heuer zur Kenntnis nehmen, wiewohl das Fußball-Fieber insgesamt in Österreich anhält.

Trotzdem hat ATV mit dem ORF um die Europa-League geboten?

Bei uns müssen aber solche Angebote in einem sinnvollen wirtschaftlichen Rahmen bleiben.

Obwohl ATV ein Entertainment-Sender ist, wie Sie sagten, spielt Society kaum eine Rolle mehr.

Eine wöchentliche Sendung ist gut. Society-Sendungen sind schon inflationär und das Interesse ist gering, wie man beim kleinen rosa Sender sieht. Vielleicht gibt es irgendwann in Österreich wieder einen neuen Dominic Heinzl, der es versteht, Society anders, frech, lustig zu verkaufen. Aber dazu muss erst ein neuer Heinzl geboren werden, der alte wurde mit dem Song Contest in die Pension geschickt – und zwar endgültig.

Als letzte Frage: Wie steht es aktuell um das Verhältnis zwischen ATV und Privatsender-Verband VÖP aus, aus dem Sie ausgetreten sind?

Ich habe schon lange nichts mehr vom VÖP gehört. Ich weiß gar nicht, ob der als Interessensvertretung noch existiert, oder ob er nur mehr als Diskussionsveranstalter fungiert. Ich bin aber trotzdem der Meinung, dass österreichische Sender zusammenhalten und sich für ihre Sache gemeinsam engagieren sollten. Im VÖP ging es leider nicht darum.

Danke für das Gespräch

Interview: Christoph Silber

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