Ein schnarchender Chinese belebt die Tour

Die größte Radrundfahrt der Welt musste 111 Jahre ohne chinesische Teilnehmer auskommen. Der 27-jährige Ji Cheng brach heuer mit dieser Tradition. Der Radprofi aus dem Team Giant-Shimano machte bereits in den ersten zwei Wochen auf sich aufmerksam. Er verhalf dem deutschen Sprinter Marcel Kittel bereits zu drei Etappensiegen. Dabei fungierte er als Tempomacher im Feld, um die entflohenen Ausreißergruppen wieder einzuholen. Ein harter Job, hunderte Kilometer bei höchstem Tempo im Wind zu fahren. Der Spitzname "Breakaway Killer" ("Ausreißer-Töter") beschreibt seine Arbeit sehr treffend. In der Gesamtwertung liegt Ji Cheng mit zwei Stunden, 41 Minuten und 27 Sekunden Rückstand auf Leader Vincenzo Nibali abgeschlagen an letzter Stelle – die "Lanterne rouge" (rote Laterne) ist ihm im Moment sicher. Sein persönliches Ziel ist die Ankunft in Paris am 27. Juli.
Gewöhnlich ist das Einzelzimmer bei den Teams immer dem Kapitän vorbehalten. Nicht so bei Giant-Shimano. Bei den Niederländern schläft nicht etwa Sprintstar Marcel Kittel allein, sondern Debütant Ji Cheng. Warum er sich den kleinen Luxus eines Einzelzimmers gönnen darf? Der Chinese schnarcht so laut, dass es kein Teamkollege mit ihm im Zimmer aushält. Für Ji ein Glücksfall: So kann er ungestört mit seiner Frau im fernen China kommunizieren, mit der nur in den Wintermonaten persönlicher Kontakt möglich ist.
Geschätzt

Für Ji ist es die dritte Teilnahme bei einer Grand Tour: Bei der Vuelta 2012 wurde er Letzter, beim Giro d'Italia vor einem Jahr musste er nach fünf Etappen aufgeben. Heuer will er unbedingt das Tour-Finale in Paris erreichen.
Neuer Markt
Das niederländische Team Giant-Shimano hatte schon vor mehreren Jahren geplant, einen Chinesen zur Tour zu bringen. Nach einer Sichtung in China wurden mehrere physisch talentierte Fahrer zur Ausbildung in die Niederlande geholt. Ji Cheng war der Einzige, der sich durchsetzen konnte. Das Langzeitprojekt scheint erfolgsversprechend zu sein. Für den Fahrradhersteller Giant und der Firma Shimano, die Komponenten herstellt, ist China ein riesiger Markt mit vielen potentiellen Kunden. Dennoch war es eine sportliche Entscheidung Ji Cheng an der Tour starten zu lassen, wie Sportdirektor Marc Reef klarstellte.
Botschafter des Sports
Bei der Tour gehört er eindeutig zu den Exoten im Fahrerfeld, in China ist Ji dagegen ein Nationalheld und das Gesicht des Radsports. Ganze sieben chinesische Journalisten begleiten ihn durch Frankreich. Das chinesische Fernsehen überträgt täglich zwei Stunden live von der Rundfahrt – und das zur Prime Time. Ji ist aufgrund seiner Rolle an der Spitze des Feldes oft im TV zu sehen und sorgt für Begeisterung. "Er ist sehr populär. Mehrere Millionen Chinesen schauen jeden Tag zu", sagt TV-Journalistin Xin Wang. Und jeder hofft, dass Ji Cheng bis zum Ende durchhält - zu wünschen wäre es ihm.
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