Organisiert und vertuscht: Doping in Russland

Betrug? Marija Sawinowa holte 2012 in London Gold über 800 Meter – sie soll gedopt gewesen sein.
Ein Fernsehbericht erschüttert den russischen Sport. Ärzte und Trainer weisen Doping an, Sportler geben es zu, der Staat verhindert die Kontrollen.

Die ARD-Dokumentation "Geheimsache Doping: Wie Russland seine Sieger macht", die am Mittwochabend ausgestrahlt wurde, erschüttert den Ruf des Olympia-Gastgeberlandes. Sie erzählt von systematischem und von entscheidenden Institutionen gedeckten Doping. Belegt durch Interviews mit Sportlern und Trainern. Der Skandal könnte bis in den Leichtathletik-Weltverband reichen.

Über ein Jahr hat Journalist Hajo Seppelt recherchiert und Einblicke in das Sportsystem Russland erhalten. Er stößt auf Vertuschung und massive Korruption.

"Sie haben hier einen umfassenden und extrem alarmierenden Fall, man muss sich darauf Antworten überlegen. Wenn etwas dieser Kategorie in einem Land organisiert wird, ist das ein Riesenproblem für die Glaubwürdigkeit des internationalen Sports und die Glaubwürdigkeit der Dopingbekämpfung. Es ist grässlich zu sehen, dass es bis in einen Weltverband hineinreicht. Das ist ebenso gravierend", sagte Richard Pound, Gründungsmitglied der Welt-Anti-Doping Agentur (WADA) nach Einsicht in Dokumente und Interviews in dem Film.

"Die Kombination dieser Dinge ist fürchterlich schockierend", meinte WADA-Generalsekretär David Howman. Man müsse die Dinge nun furchtlos angehen und sicherstellen, dass die, die Angst haben, beschützt sind.

Insiderinformationen

Die Dokumentation beginnt mit Witali Stepanow, der bei der Anti-Doping-Agentur Russlands (RUSADA) gearbeitet und sich in die hoffnungsvolle Läuferin Julia Rusanowa, seiner späteren Frau, verliebt hat. Sie berichtet ihm, dass sie von ihren Trainern mit Dopingmitteln versorgt wird. "Es wird den Trainern eingehämmert und die Trainer hämmern es den Athleten ein", erzählte die derzeit gesperrte 800-m-Läuferin. Wenn man mit einem positiven Test erwischt werde, werde man fallengelassen.

Julia Stepanowa liefert der ARD mehrere heimlich aufgenommen Audio- und Videodateien. Der Sportmediziner Sergej Portugalow und Leichtathletik-Cheftrainer Alexej Melnikow könnten demnach mutmaßlich in Dopingvergabe und die Vertuschung positiver Tests verstrickt sein, beide beantworteten Fragen der ARD dazu nicht. In einem der WDR-Dopingredaktion zugespieltem Video spricht Marija Sawinowa, die 800-m-Olympiasiegerin von London, über Dopingpraktiken. Sie bezog dazu nicht Stellung.

Vertuschung

Laut RUSADA-Statistik von 2013 habe es 23.110 Kontrollen gegeben, hieß es in der ARD-Doku. 2,2 Prozent davon seine positiv gewesen, das sind über 500 Fälle. Aber nicht genug, wenn tatsächlich systematisches Doping betrieben wird. Also geht Seppelt auch der Frage nach, ob positive Tests vertuscht werden. Witali Stepanow berichtet von Anrufen bei der RUSADA, die aus dem Ministerium kamen, wonach positive Tests von berühmten Sportler oder Medaillenhoffnungen als "Fehler" abgetan und nicht weiter verfolgt werden sollten.

Sportler berichten auch, dass vor großen internationalen Meisterschaften alle infrage kommenden Athleten getestet werden. Wer nicht sauber ist, werde nicht entsendet.

Nikita Kamajew, der Generaldirektor der RUSADA, betonte in der Dokumentation, dass die Anti-Doping-Agentur sauber arbeite. Ebenso weist Grigori Rodschenkow, der Direktor des Doping-Kontrolllabors in Moskau, jede Manipulation zurück. Valentin Balachnitschew, der Präsident des russischen Leichtathletik-Verbandes und zudem auch Schatzmeister des Weltverbandes (IAAF), wollte zu den Dopinganschuldigungen gegenüber ARD nicht Stellung nehmen.

"Ich fand Trainer und Ärzte, die Doping anweisen, Sportler, die es zugeben, einen Erlass des Staates, der Kontrollen behindert, ein Labor, das bei der Vertuschung zu helfen scheint, eine Anti-Doping-Agentur, die offenbar Termine für Kontrollen vergibt. Und eine Führung, die nicht reden will", zog Seppelt in der Dokumentation ein Zwischenfazit.

Organisiert und vertuscht: Doping in Russland
epa02959029 Liliya Shobukhova of Russia approaches the finish line to win the 2011 Bank of America Chicago Marathon for the third time in a row with a time of 2:18:20 hours in Chicago, Illinois, USA, 09 October 2011. EPA/TANNEN MAURY
Heuer im April wurde bekannt, dass die Weltklasse-Marathonläuferin Lilija Schobuchowa wegen Dopings für zwei Jahre gesperrt worden ist. Die Sperre basiere auf auffälligen Daten aus dem Biologischen Pass, teilte der russische Verband mit. Auffälligkeiten, wie dieARD berichtet, die schon lange bekannt gewesen sein sollen.

Der russische Verband kontaktierte Schobuchowa, diese gibt laut ARD an, zuerst 150.000 und später nochmals 300.000 Euro bezahlt zu haben, um weiter an Wettkämpfen teilnehmen zu können. Und stand 2012 bei Olympia in London am Start.

Doch dann soll Schobuchowa doch noch gesperrt werden, sie wird zu Balachnitschew und Melnikow zitiert, soll dort Papiere von der IAAF unterschreiben, wie sie der ARD erzählt. Sie und ihr Mann wollen das nicht, fragen, wofür sie 450.000 Euro bezahlt haben sollen. Woraufhin Balachnitschew angeordnet haben soll, das Geld an sie zurückzuzahlen.

300.000 Dollar werden tatsächlich von einer Firma an Schobuchowa überwiesen. Wie Belege zeigen, soll mutmaßlich Balachnitschew in den Vorgang involviert gewesen sein.

Videobeleg

Laut ARD-Doku sind in Russland im Sommer sechs Trainer wegen Weitergabe von Dopingmitteln gesperrt worden. Die Regierung wolle mit eiserner Faust gegen Doping vorgehen, stand in Zeitungsberichten. Der Film endet damit, dass Julia Stepanowa in einem Trainingslager in Kirgisien von einem Trainer in einem Hotelzimmer Dopingmittel bekommt, gefilmt mit versteckter Kamera. Unter anderem erhielt sie Oxandrolon, das später im Kölner Labor auch als solches analysiert wird.

"Ich werde für Russland vermutlich zum Staatsfeind Nummer eins. Denn ich erzähle von dem System, das wir haben. Ich verrate unser Land an die ganze Welt. Wenn das ausgestrahlt wird und unsere Regierung das mitbekommt, wird Leben in Russland sehr schwierig werden. Ich denke, dass Russland so etwas nicht verzeihen wird", sagte Stepanowa. Die WADA lobte sie laut ARD für "Mut und Einsatz". Witali und Julia Stepanowa haben mit ihrem Sohn Russland mittlerweile verlassen.

"Geheimsache Doping: Wie Russland seine Sieger macht" (Das Erste, Mittwoch, 18.50 Uhr)

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