Glockner-König Hermans: "Ich habe die Beine nicht mehr gespürt"

Ben Hermans schlüpfte am Mittwoch ins Rote Trikot.
Ben Hermans fügt dem Mythos Hochalpenstraße ein weiteres Kapitel hinzu. Riccardo Zoidl wird als bester Österreicher Sechster.

"Zapfig", sagt der Herr in zünftiger Lederhose und Trachtenhemd. "Zapfig is'." Der Wind treibt Wolkenfetzen vorbei an diesem Mittwochvormittag, der Herr hat genug gesehen und geht wieder hinein ins Restaurant Fuscher Törl, wo er arbeitet. Recht hat er: Sieben Grad, immerhin sieben Grad plus, sind bei diesem böigen Wind ziemlich zapfig, auch für skiweltcuperprobte Journalisten. Die heißen letzten Wochen in Wien haben den Körper vergessen lassen, wie es in den ersten Tagen der Ski-WM in Åre war - nämlich noch einmal um bis zu 30 Grad kälter.

2428 Meter hoch liegt das Ziel der vierten Etappe der 71. Österreich-Rundfahrt, damit zählt es zu den höchsten Punkten, die sich hierzulande mit dem Rad erreichen lassen, der Anstieg zählt auch im internationalen Vergleich zu den schwierigsten. Am 30. August 1930 wurde der erste Fels gesprengt,  der Bau der Hochalpenstraße zwischen Salzburg und Kärnten begann. Fünf Jahre dauerte es bis zur Eröffnung, 4000 Menschen schwitzten für die 48 Kilometer Straße.

Vom Menschen genutzt wird das Areal freilich schon viel länger: Archäologen haben römische und keltische Silbermünzen gefunden, manch andere Gegenstände dazu, die auf das zweite bis erste Jahrhundert vor Christi Geburt datiert worden sind.

Glockner-König Hermans: "Ich habe die Beine nicht mehr gespürt"

Nur die Ruhe

Am Mittwochmorgen liegt die Verkehrssituation zwischen Chaos und Schneckentempo, die Kombination aus Bussen, Familienautos, Sportwagen, Motorrädern und Radlern birgt viel Potenzial für üble Folgen. Doch die Leute haben sich erstaunlich gut im Griff. Für manche Hobbyradler ist freilich schon kurz nach der Mautstelle Ferleiten das Ende abzusehen: Eine Frau fährt Schlangenlinien, ein Mann schiebt das Mountainbike, andere ruhen sich aus.

Ab 12.30 Uhr ist die seit 2015 unter Denkmalschutz stehende Straße gesperrt: Die Ö-Tour braucht freie Fahrt, um den 65. Glocknerkönig zu ermitteln. Vier Mal hat Rudolf Mitteregger den Titel geholt, seit 2012 ist eine Prämie für den Schnellsten ausgelobt, heuer immerhin 1.000 Euro, das ist nicht wenig Geld im Radsport.

Glockner-König Hermans: "Ich habe die Beine nicht mehr gespürt"

45:52 Minuten war im vergangenen Jahr der Russe Alexander Foliforow zwischen Mautstelle und Fuscher Törl unterwegs, das ist Rekord für die 13,2 Kilometer lange Auffahrt von Salzburger Seite. Von Heiligenblut aus liegt die Bestmarke seit 1960 und Felix Damm bei 1:10:30 Stunden - wenn von Kärnten aus gefahren wird, ist seit Langem das Hochtor entscheidend.

13 Uhr, das Restaurant ist voll, einige Kälteresistente haben es sich auf der Terrasse "gemütlich" gemacht. Auch im Pressezentrum ist es deutlich voller als an den ersten Tagen, an die 50 Plätze sind belegt, die verbliebenen 113 von einst 120 Radprofis rasen derweil durch Bruck an der Glocknerstraße. 

14 Uhr, die Entscheidung naht. Der belgische Ö-Tour-Titelverteidiger Ben Hermans fährt am Hinterrad des führenden Australiers Ben O’Connor (Dimension Data) - und übersprintet ihn unter dem Jubel der von vielen hundert Zuschauern auf den letzten 150 Metern. "Ich habe die Beine nicht mehr gespürt, es war eine Schande", sagt Hermans und lächelt.

Glockner-König Hermans: "Ich habe die Beine nicht mehr gespürt"

Ben Hermans trägt schon wieder Rot. 

Höhenflug

"Es ist eine der höchsten Straßen Europas", betont der 33-Jährige aus der Israel Cycling Academy. Nun  liegt er acht Sekunden vor O’Connor an der Spitze des Klassementsund 13 vor Movistars Kolumbianer Winner Anacona. Zum Streckenrekord fehlten ihm neun Sekunden.

"Es ist die Länge des Anstiegs, die diesen Berg so besonders macht", sagt Riccardo Zoidl vom polnischen Team CCC, "und man spürt die Höhe auf den letzten fünf Kilometern sehr stark. Der Glockner ist nun einmal der höchste Berg Österreichs", sagt der mit seinem sechsten Gesamtrang durchaus zufriedene 31-Jährige, der das Podium noch nicht abgehakt hat. "Hier zu fahren, ist für einen Österreicher sehr speziell, das taugt mir wirklich."

Glockner-König Hermans: "Ich habe die Beine nicht mehr gespürt"

Riccardo Zoidl 

4. Etappe (Radstadt - Fuscher Törl/103,5 km):

1. Ben Hermans (BEL) Israel Cycling Academy 3:01:32 Std.
2. Ben O'Connor (AUS) Dimension Data +0:05 Min.
3. Winner Anacona (COL) Movistar 0:08
4. Eduardo Sepulveda (ARG) Movistar 0:23
5. Stefan de Bod (RSA) Dimension Data 0:38
6. Riccardo Zoidl (AUT) CCC 1:01
7. Victor de la Parte (ESP) CCC 1:18
8. Amanuel Gebreigzabhier (ERI) Dimension Data 1:24
9. Alexander Wlasow (RUS) Gazprom, gleiche Zeit
10. Jose Manuel Diaz (ESP) Vorarlberg Santic 1:38
Weiter:
24. Daniel Geismayr (AUT) Vorarlberg Santic 4:47
29. Sebastian Schönberger (AUT) Neri Sottoli 6:35
32. Stephan Rabitsch (AUT) Felbermayr Wels 7:50
37. Hansjörg Leopold (AUT) Maloja Pushbikers 9:32

Gesamtwertung:

1. Hermans 15:32:23 Std.
2. O'Connor +0:08 Min.
3. Anacona 0:13
4. Sepulveda 0:34
5. De Bod 0:47
6. Zoidl 1:10
7. De la Parte 1:33
8. Gebreigzabhier 1:35
9. Wlasow 1:40
10. Diaz 1:56
Weiter:
24. Geismayr 5:06
28. Schönberger 6:41
30. Rabitsch 8:04
35. Leopold 9:45

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