National-Thiem: Die Profiteure des Tennis-Booms

TENNIS-FRA-OPEN-MEN-FINAL
Thiem hat nicht erst seit seinem Krimi gegen Nadal das Interesse an seinem Sport erweckt. Er sorgt für einen Aufschwung.

„Haben Sie Thiem gesehen?“. „Unfassbar, wie Dominic in New York gespielt hat.“ Das „epische“ Match von Österreichs Bestem gegen Rafael Nadal im Viertelfinale der US Open in den frühen Mittwoch-Morgenstunden sorgte für viel Gesprächsstoff. Obwohl das Schauspiel vor 23.000 begeisterten Fans im Arthur Ashe Stadion mit einer Niederlage geendet hatte, war der Krimi auf kurier.at die Topstory des Tages.

Der Niederösterreicher hat längst österreichische Sportgeschichte geschrieben, die rot-weiß-roten Sportlerseelen erfasst.

Weil er etwas kann, was durchaus Begeisterung findet. Einerseits ist er der anständige, wohlerzogene, nahbare Typ von Nebenan (Trainer Günter Bresnik: „Manchmal ist er zu brav, will es allen recht machen.“), andererseits lässt sein Spielstil Spielraum zu Lobeshymnen. Etwas außergewöhnlich für ihn war die Schläger-Demolierung in New York gegen US-Mann Fritz. „Es ist besser, er lässt einmal seinen Frust raus, als er schleicht zwei Stunden mit hängendem Kopf über den Platz“, sagt Ex-Profi Stefan Koubek.

Thiem ist freilich nicht erst seit den US Open in aller Munde. Wie einst Thomas Muster wird ihm gehuldigt, aber er wird auch zerrissen, wenn es (wie nach den French Open) nicht so reibungslos funktioniert. Er begeistert, er polarisiert.

Wer profitiert davon?

- Der Breitensport
Obwohl es keine genauen Zahlen an Hobbyspielern (und vor allem keine Vergleichszahlen) gibt, darf man davon ausgehen, dass es etwas mehr als 400.000 Österreicher gibt, die Tennis spielen. ÖTV-Geschäftsführer Thomas Schweda bestätigt: „In den vergangenen Jahren kamen wieder mehr Leute zum Tennis, das merkt man auch in den Vereinen. Vor allem die Jugendlichen finden vor allem dank Thiem immer mehr den Weg zum Tennis.“ Alexander Antonitsch weiß zwar als Ex-Profi: „Zu Musters Zeiten waren es mehr, auch weil es weniger Konkurrenz-Sportarten gab“, als Herausgeber der Internetplattform tennisnet.com, bestätigt er aber Schwedas Meinung: „Wir merken an den Platzbuchungen und am Equipment-Verkauf, wie bei den Bällen, dass die Zahl der Tennisspieler wieder steigt.“

- TV-Präsenz
Antonitsch war auch dabei, als die drei Musketiere im Daviscup neben den Einzelerfolgen von Thomas Muster und Horst Skoff für einen Boom sorgten. „Die Einschaltziffern Anfang der 1990er Jahre waren höher als jetzt. Nach Muster waren die Einschaltziffern aber jahrelang im Keller, auch weil die Erwartungshaltung zu groß war.“ Erst durch Jürgen Melzer (Semifinale in Paris 2010, Siege in der Stadthalle 2009 und 2010) erscheint Tennis wieder attraktiver auf der Bildfläche. Melzer hatte bei den French Open bei seinem Sieg über Djokovic rund 700.000 TV-Bewunderer, eine Marke, die auch Thiem bei seinem Lieblings-Major schon erreichte.

Gegen König Fußball ist selbst Tennis noch machtlos. 638.000 schauten am 10. Juni beim Länderspiel gegen den Rekordweltmeister Brasilien zu, zeitgleich kämpfte Thiem auf ORF2 in Roland Garros vor 395.000 TV-Zuschauern um den Titel des Sandplatz-Königs. Den Beginn des 4:49-Stunden-Thrillers gegen Nadal sahen auf ORFeins um 3 Uhr rund 71.000, Höchstwert waren kurz vor 8 Uhr 180.000. Im Schnitt gab dies einen Marktanteil von rund 25 Prozent. „Guten Morgen Österreich“ auf ORF 2 sahen zu Thiems "Spitzenzeit" rund 80.000 weniger.

- Turnierpräsenz
Antonitsch spürte den Thiem-Effekt auch auf anderer Ebene. Erstmals in seiner Ära als Turnierdirektor des Generali Open in Kitzbühel wurde die 50.000-Zuschauer-Marke erreicht. „Natürlich kommen viele wegen Thiem, aber das Interesse ist allgemein gestiegen“, sagt der 52-Jährige. Auch im Vorjahr, als Thiem nicht dabei war, kamen 47.000. Aber freilich, bringt vor allem Österreichs Nummer eins Fans. „Vor allem unmittelbar nach seinem Finaleinzügen in Madrid und Paris kamen viele Anfragen. Immer mehr Kinder und Jugendliche wollten Thiem heuer sehen.“

Auch Herwig Straka, Turnierboss beim Erste Bank Open, ist froh, dass er den Lichtenwörther hat. „Wir versuchen immer einen Mix aus internationalen Topstars und einem starken Lokalmatador zu präsentieren. Da ist Thiem ideal“, sagt der Steirer. Auch Jürgen Melzer habe zu Zeiten seiner großen Siege Fans in die Stadthalle gebracht. „Thiem hat aber den Vorteil, dass er jünger ist, Jürgen war damals schon Ende 20.“ Dennoch war just der Thiems-Tag zuletzt als einer der ganz wenigen Tage nie ausverkauft.

- Daviscup
Straka ist auch Organisator des Daviscups in Graz am nächsten Wochenende gegen Australien. „Mit Thiem wird es ein richtiges Tennisfest. Der Freitag ist mit 6000 Fans so gut wie ausverkauft.“ Daviscup-Kapitän Koubek rechnet vor: „Bis zu 2000 Fans mehr kommen wegen Thiem.“

- Teamabenteuer
Genau die großen Daviscup-Abenteuer sind etwas, die im Thiem’schen Lebenslauf fehlen. „Um einen richtigen Tennis-Boom zu erzielen, muss es zumindest einen Topspieler geben, aber auch große Daviscup-Erfolge“, sagt Thomas Muster. Da wird Thiem zumindest in den nächsten Jahren eine Chance genommen. Gewinnt Österreich gegen Australien, kann es zwar im Februar in der Vorrunde noch ein Heimspiel geben, aber nur an zwei Tagen und auf zwei Gewinnsätze. Im November gibt es dann an einem neutralen Ort ein „Final-Turnier“, dem das echte Daviscup-Feeling fehlt.

- Folgen
Thiem ist ein Türöffner für einen Boom, den es vor 25 Jahren schon gab. Aber dank Thiem drängen Jugendliche wieder mehr zum Tennis, ein Trainermangel ist nun die Folge. Der ÖTV arbeitet an der Problembehebung, zudem soll es „ein einheitliches Ausbildungssystem geben“, wie ÖTV-Präsident Werner Klausner sagt. Die Kooperation mit der Bresnik-Akademie war schon ein großer Schritt. Und Thiem? Der will nur eines nicht – Vergleiche mit Muster. „Ich bin ein anderer Spieler, das war eine andere Zeit.“

Kommentare