Als ein Grund wird das breitere Becken von Frauen und die damit verbundene häufigere X-Bein-Stellung angenommen. "Das Knie wird dadurch anders belastet und läuft eher Gefahr, nach innen einzuknicken", sagt Markus Winnisch. Der Teamarzt des österreichischen Frauennationalteams ist Orthopäde und Unfallchirurg und arbeitet im Herz-Jesu-Spital in Wien. Winnisch sieht auch die Neigung des Schienbeinknochens als möglichen Grund, da die größer ist als bei Männern und der Oberschenkel leichter abrutscht.
Dazu kommt noch, dass das Frauen-Knie meist kleiner ist. So ist die Notch, also der Tunnel, in dem das vordere und hintere Kreuzband verlaufen, anatomisch enger. Dadurch ist weniger Platz für die ohnehin dünneren Kreuzbänder. Zudem ist das Weichteilgewebe bei Frauen auch anders, "durch hormonelle Einflüsse sind die Fasern nicht wie bei Männern."
Fußballerinnen sind drei- bis viermal anfälliger für Kreuzbandrisse als ihre männlichen Kollegen, sagt ein deutscher Orthopäde. Winnisch betont aber, dass es sich um Vergleich bei Leistungssportlern handelt. "Eine toptrainierte Frau hat ein geringeres Risiko als ein Mann, der schlecht trainiert ist." Aber ihm als Sportarzt geht es eben auch um die Gesundheit der Leistungssportlerinnen. "Und da haben wir im Rahmen eines FIFA-Programms gesehen, dass das durch ein strukturiertes Aufwärmprogramm das Risiko deutlich geringer ist." Auch im Bereich der Trainings- und Belastungssteuerung müsse man hier aufpassen.
Aber wollen auch die Fußballverbände aufpassen? Der Frauen-Kalender ist extrem dicht geworden. Klub-WM und Nations League sind neu. Bis 2025 stehen jedes Jahr WM, EM oder Olympische Spiele auf dem Programm. Der volle Spielplan und die dadurch verkürzten Regenerationszeiten begünstigen schwere Verletzungen.
Die Probleme reichen jedoch tiefer als die gestiegene Belastung. Noch immer befasst sich die Mehrheit der sport- und bewegungswissenschaftlichen Forschung mit männlichen Körpern. Dabei gibt es verschiedene Faktoren, in denen sich Frauen von Männern unterscheiden – und dadurch auch ein anderes Verletzungsrisiko haben. Am häufigsten betroffen sind im Fußball die Oberschenkelmuskulatur, die Knie und die Sprunggelenke.
Neben der Summe aller anatomischen und biologischen Faktoren gibt es noch einen weiteren Grund für das erhöhte Verletzungsrisiko: Noch immer sind viele Strukturen im Frauenfußball unterfinanziert, und nicht jede Spielerin genießt professionelle Trainingsbedingungen. So hat eine 2022 erschienene Studie gezeigt, dass es zwischen Männer- und Frauenfußballteams wesentliche Unterschiede im Kraft- und Konditionstraining gibt.
Außerdem wird ein propriozeptives Training, also das Training auf instabilen Untergründen, sowie Koordinations- und Sprungtraining empfohlen. Und: Eine zu frühe Rückkehr sollten Spielerinnen unbedingt vermeiden. Bei Profis brauchen die Kreuzbänder neun bis zwölf Monate.
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