Torhüter im Fokus: Der Einzelkämpfer hat ausgedient

Torhüter im Fokus: Der Einzelkämpfer hat ausgedient
Elf DFB-Analysten haben bei der WM das Spiel der Goalies analysiert. Marc Ziegler präsentierte Erkenntnisse.

Sind Sie Fan von Manuel Neuer oder sagt Ihnen Marc Andre ter Stegen mehr zu? Hat es Ihnen Bernd Leno angetan, oder ist es Kevin Trapp oder Ralf Fährmann, der Sie überzeugt? Oder können Sie sich nicht entscheiden? In der Tat fällt es schwer, den Überblick zu bewahren. Deutsche Torhüter mit Klasse gibt es wie etwa erstklassige Greenkeeper in England oder Schafe auf den Färöern.

Zufall? Eher nicht. Davon durfte sich der KURIER im November überzeugen, als der ÖFB unter der Leitung von Roland Goriupp die Tormann-Trainer des Landes zur Fortbildung nach Lindabrunn lud und dabei Marc Ziegler als Vortragenden präsentierte. Ziegler, in den 2000er-Jahren beim FC Tirol und der Austria im Tor, ist seit 2013 beim Deutschen Fußball-Bund als Torwartkoordinator tätig. „Wir haben das Torwart-Spiel nicht erfunden. Es gibt viele Wege, die nach Rom führen“, sagte Ziegler diplomatisch. Aber, und das klingt doch nach Überzeugung: „Wir haben einen davon.“

Analyse-Team

Der 42-Jährige hat einiges zu erzählen. Etwa, dass der DFB ein elfköpfiges Team an Analysten zur WM nach Russland entsandte, nur um das Spiel der Torhüter zu analysieren. Eine Dame und zehn Herren haben jeweils zumindest vier Spiele live gesehen.

Nach Studium der 64 Partien wurden Daten ausgewertet und Erkenntnisse gewonnen. Mehr als die 169 Tore, die in Russland gefallen sind, gab es bisher nur 2014 in Brasilien. „Russland war die WM mit den bisher meisten Torchancen, aber auch jene, mit den am wenigsten herausgespielten“, betonte Ziegler angesichts der vielen Treffer aus Standardsituationen (45 Prozent).

Generell sei es für die Torhüter eine schwierige WM gewesen, weil durch viele tief verteidigende Mannschaften die Zahl der Weitschüsse und Flanken enorm gestiegen sei. Erschwerend dazu kam ein neuer WM-Ball nach der Vorrunde, der plötzlich ein anderes Flugverhalten an den Tag legte. Ein Marketing-Gag des Ausrüsters auf Kosten der Keeper.

Die 169 Tore, die in Russland gefallen sind, hat man schließlich in drei Kategorien eingeteilt. 53 Prozent seien unhaltbar gewesen. 14 Prozent gingen allein auf die Kappe der Torhüter, bei den restlichen 33 Prozent hätten die Goalies durch anderes Verhalten zumindest besser eingreifen können.

Große Trends seien in Russland ausgeblieben. Ziegler: „Es war nicht so, dass ein Torhüter komplett anders agiert hätte, als die anderen.“ Bei der WM 2014 war das noch anders, als Manuel Neuer als Schlussmann einer dominanten und hoch stehenden Mannschaft mit seiner aggressiven und offensiven Spielweise neue Maßstäbe gesetzt hatte. 2018 stand das Zusammenspiel zwischen Torhüter und Mannschaft im Fokus. Ziegler: „In diesem Bereich sind unheimliche Ressourcen offen.“

Roland Goriupp: "Es geht um kognitive Fähigkeiten"

Nach knapp einem Jahr im Amt beim ÖFB hat Sportdirektor Peter Schöttel im August die Ausbildung der Torhüter und deren Trainer in die Hände von  Roland Goriupp gelegt. Der 47-Jährige spielte einst für den GAK, Sturm und den FC Kärnten in der Bundesliga.

KURIER: Sie haben ein Konzept zur Torhüter-Ausbildung in Österreich erstellt. Welche Inhalte können Sie daraus verraten?
Roland Goriupp:
Ein wichtiger Punkt für mich war zunächst die Verteilung der Kompetenzen und die Trennung zwischen dem Tormann-Trainer des A-Nationalteams, der bis zur U17 auch die Sichtung und Karriereplanung der Talente übernimmt und mir als Ausbildungsleiter für die Tormanntrainer in Österreich.

Wie viele Tormann-Trainer gibt es denn in Österreich?
Aktuell sind es 62 mit der höchsten Ausbildung, dem UEFA-A-Diplom.

Sie selbst waren in den 1990er-Jahren aktiv, als Österreich mit Konsel, Wohlfahrt, Konrad und Knaller gleich vier sehr gute Torhüter hatte. Warum gibt es die in dieser Form heute nicht?
Damals hatte jeder Klub hinter seinem Einser-Tormann zwei, drei Junge, die irgendwann ihre Chance erhalten haben. So war es auch bei mir, als ich mit 17 Jahren beim GAK debütiert habe, weil die Nummer eins verletzt war. Nach Fall des Bosman-Urteils haben sich aber die meisten Klubs noch mit einer starken Nummer zwei abgesichert.

Torhüter im Fokus: Der Einzelkämpfer hat ausgedient

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Torhüter im Fokus: Der Einzelkämpfer hat ausgedient

Wie hat sich das Torwart-Training über die Jahre verändert?
Zu meiner Zeit galt ein Training  dann als gut, wenn sich die Goalies danach übergeben haben. Im modernen Fußball geht es um kognitive Fähigkeiten, um Handlungsschnelligkeit und die interaktive Fähigkeit, gemeinsam mit den Vorderleuten die richtigen Entscheidungen zu treffen. Deshalb braucht ein Torhüter heute viel mehr Spielverständnis als früher. Die technischen Fertigkeiten sind Voraussetzung.

Haben Sie ein aktuelles Beispiel parat für die falsche Entscheidung, die ein Tormann getroffen hat?
Sie erinnern sich bestimmt an den Fehler von Sven Ulreich im Spiel der Bayern gegen Real.

Sie meinen den Rückpass, den er durchgelassen hat?
Genau.  Das hat für viele wie ein technischer Fehler ausgesehen, es war aber ein kognitiver. Ulreich hat  zu spät erkannt, dass er den Ball nicht mit den Händen attackieren darf, weil Benzema doch nicht vor ihm an den Rückpass gekommen ist. Dann hat er ihn ganz durchlassen, wobei er mit einem unerlaubten Handspiel und einem indirekten Freistoß  noch das Schlimmste hätte verhindern können. Er hatte also  in kürzester Zeit drei, vier Entscheidungen zu treffen. Das ist kognitive Handlungsschnelligkeit.

Wie trainiert man das?
In komplexen Trainingsformen mit der Mannschaft. Es geht nicht nur darum, am Platz zu stehen und Technik zu trainieren. Oft war es so, dass der Tormanntrainer einfach auf einem Nebenplatz den dritten Tormanntrainer eingeschossen hat, während die ersten beiden Goalies eine Spielform mit der Mannschaft trainiert haben. In meinem Idealbild ist der Torwarttrainer aber bei diesem Spiel dabei, coacht und erarbeitet gewisse Dinge. Das versuche ich jetzt auch zu vermitteln.

Was haben Sie sich noch vorgenommen für die nächsten Jahre?
Dass wir in Österreich auch die Stärken von total unterschiedlichen Torhütern unterstützen. Ein Strebinger hat in meinen Augen ebenso das Potenzial, die Nummer eins im Team zu werden, wie Patrick Penz.

So gesehen spielt auch die Größe nicht die alles entscheidende Rolle?
Nein. Ich würde in der Jugend keinen Tormann wegen fehlender Größe ausschließen. Dass der internationale Marktwert mit der Größe eihergeht und wir größere Tormänner leichter verkaufen, mag so sein. Aber wenn es darum geht, am Tag X mental bereit zu sein und die erwartbare Performance abzurufen, dann hat das nichts mit Körpergröße zu tun.

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