Im Fußball-Osten geht's wild zu und her

Eine Gruppe von Fußballfans zündet rote Bengalos und erzeugt dichten Rauch.
Ein Bericht über den Fußball in Osteuropa belegt die teilweise katastrophale Situation für die dort spielenden Profis.

Jiri Lenko ist Fußballer. Keiner, der ins reflexartig gezeichnete Bild des Millionen verdienenden Glücksritters, dem der Traumjob in den Schoß gefallen ist, passt. Lenko, 26, kickt in Grödig in Österreichs zweiter Liga und versucht seinen Lebensunterhalt auf eher irdische Weise zu verdienen. Der Mann aus Tschechien gehört zur Masse der "temporären Hackler", wie Rudolf Novotny, Geschäftsführer der österreichischen Spielergewerkschaft (VdF), die treffende Zuordnung findet.

Lenko hat es jetzt gut erwischt. Noch vor drei Jahren wurde er aus Pasching von irgendeinem Vermittler zum bulgarischen Klub Lokomotiv Mezdra ablösefrei gelockt, dort aber nicht gebraucht und darum als fußballerische Ausschussware zwischengelagert. Der Vermittler hat trotzdem kassiert, der Verein wollte dies auch, als Lenko wieder weitergereicht werden sollte.

Ausweglos schien die Situation des Spielers, weil der bulgarische Verein mittels gefälschter Paschinger Ablösebestätigung – sogar das Klubwappen war falsch – eine ungerechtfertigte Transfersumme einzustreifen gedachte. Ein Eigentor, die FIFA entschied für Lenko.

 

Kein Einzelfall

Ein Einzelfall? Keineswegs. Aber ein vergleichsweise harmloser Vorfall, blättert man im "Schwarzbuch des Fußballs in Osteuropa", das die Internationale Vertretung der Profifußballer (FIFPro), nun vorgelegt hat. Erschütternd das Ergebnis, das sich nach der Befragung von insgesamt 3357 Profis aus zwölf osteuropäischen Ländern ergab – darunter auch die beiden Veranstalter der EURO 2012, Ukraine und Polen, sowie Russland, das WM-Gastgeberland 2018.

Die Praktiken bei vielen kleineren und unbekannten Klubs gleichen einander. Auf ihre Gehälter wartende Spieler werden vertröstet – oder gar nicht bezahlt. Andere werden mit Einzeltraining oder sogar mit roher körperlicher Gewalt zur Vertragsauflösung bzw. Verlängerung unter veränderten Konditionen gezwungen. Eine Folgeerscheinung: Mittellose Spieler sind für Spielmanipulationen empfänglich.

Gewürgt

Die dunklen Seiten aus dem Schwarzbuch: 41,4 Prozent der befragten Fußballer gaben an, nie pünktlich ihr Geld zu bekommen; jeder sechste Spieler wurde gezwungen, alleine zu trainieren; jeder neunte war bereits Opfer eines Gewaltakts von Fans, des Klub-Managements oder des Trainers.

Aufsehenerregend war das Schicksal von Nikola Nikezic, der sich im Vorjahr weigerte, beim russischen Klub Kuban Krasnodar seinen Vertrag aufzulösen. Der Spieler wurde daraufhin von zwei Schlägern in die Mangel genommen. "Sie würgten mich, drohten mich zu entstellen. Nach zwanzig Minuten habe ich nachgegeben", erzählt der Mann aus Montenegro. Bei einem anderen russischen Klub musste Igor Strelkov tagelang bei minus 20 Grad einsame Runden um das Stadion drehen.

Beinahe 12 Prozent der Interviewten gaben an, sie seien zur Matchmanipulation "eingeladen" worden, jeder zweite dieser Gruppe weiß von Schiebungen in seiner Liga. Für Mario Cizmek existierte beim FC Croatia Sesvete das Gehalt nur auf dem Papier. Speziell psychologisch geschulte Leute hätten ihn zur Spielmanipulation überredet. "Die schlimmste Erfahrung meiner Karriere, aber wir konnten alle nicht mehr zurück. Ich habe alles verloren", berichtet Cizmek.

Gewarnt

Die FIFPro hofft, dass der Druck auf die Veranstalterländer der kommenden Großturniere steigt. Novotny fällt zur Verbesserung der Situation in Osteuropa eine drastische Maßnahme ein: "Sollte es so weitergehen, müssten die UEFA und die FIFA alle Vereine aus dem jeweiligen Land von den internationalen Klub-Bewerben ausschließen. Und wenn es auch die Großen treffen würde, wäre das vielleicht heilsam."

Ein Tipp für österreichische Fußballer, die es zu einem osteuropäischen Klub zieht? "Davon rate ich derzeit dringend ab."

Black Book: Zwölf Länder unter Beobachtung

Das „FIFPro Black Book Eastern Europe“ liegt auf einem Tisch.

Das Schwarzbuch der Internationalen Profifußballervertretung beruht auf Befragungen von Spielern aus zwölf östlichen Ländern. Die Situationen in Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Ungarn, Kasachstan, Montenegro, Polen, Serbien, Slowenien, Ukraine, Russland und Griechenland wurden damit beleuchtet.

Nicht die Großklubs, nicht die dort tätigen Stars sind von teils kriminellen Machenschaften betroffen. Es geht vor allem um die Mehrzahl jener Spieler bei Klubs, die sich nicht auf die Gunst der bekannten Oligarchen stützen. Finanzielle Unregelmäßigkeiten bringen viele Spieler ans Existenzminimum.

In Österreich hat sich die Situation um pünktliche Gehaltszahlungen in den letzten Jahren stark verbessert. "Nur bei drei von 20 Klubs sind die Spieler derzeit nicht ganz zufrieden", weiß Spieler-Gewerkschafter Novotny.

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