EM-Vergabe: "Nein zu Erdogan - Europa zu Gast bei Freunden"

Nach dem verpassten EM-Zuschlag ist die Enttäuschung in der Türkei groß. Nach drei erfolglosen Bewerbungen hatte man gehofft.

Der türkische Sportminister hat enttäuscht auf die EM-Vergabe an den Konkurrenten Deutschland reagiert. Das sei „traurig“ für die UEFA und die Europameisterschaft, sagte Mehmet Muharrem Kasapoglu nach der Entscheidung des UEFA-Komitees am Donnerstag vor türkischen Medien. Die Türkei habe eine starke Bewerbung vorgelegt und besitze neue Stadien. „Wir haben als Land nichts verloren.“

Das Exekutivkomitee der UEFA hatte zuvor in Nyon entschieden, dass die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland stattfindet. Der DFB galt bei der Abstimmung als Favorit. Der Türkei hatte vor allem für das fehlende Menschenrechtskonzept und aufgrund finanzieller Risiken schlechte Bewertungen durch die UEFA-Prüfer kassiert.

Der deutsch-türkische AKP-Abgeordnete und Erdogan-Vertraute Mustafa Yeneroglu hat auf die EM-Absage an die Türkei mit gemischten Gefühlen reagiert. „Schade, dass es diesmal für die Türkei nicht geklappt hat“, twitterte er am Donnerstagnachmittag. „Nach drei erfolglosen Bewerbungen wäre die Türkei diesmal ein schöner Ort für #EURO2024 gewesen. Aber ich freue mich auch für Deutschland.“

Deutschland erhält Zuschlag für EM 2024

"Ungerecht behandelt"

Sportkommentator Ridvan Dilmen sagte nach Angaben der Sportzeitung Fanatik, er denke, dass die Türkei ungerecht behandelt worden sei. Die Entscheidung sei keine große Überraschung. Der Bericht der UEFA im Vorfeld sei "ungerecht" gewesen. So sei die Affäre um Mesut Özil und Ilkay Gündogan gar nicht in der deutschen Bewertung aufgetaucht.

Der britische Journalist und Autor Patrick Keddie, der ein Buch über den türkischen Fußball geschrieben hat, schrieb auf Twitter, die Türkei hätte das Potenzial gehabt, ein "großartiges" Turnier zu veranstalten. Die politische und ökonomischen Faktoren in der Türkei seien der UEFA am Ende wohl zu risikoreich gewesen.

Der Chef der des türkischen Fußballverbands Tff, Yildirim Demirören, kommentierte die Niederlage seines Landes zunächst nicht. Ein Reporter des Senders CNN Türk sagte, Yildirim habe nach der Entscheidung für Deutschland sehr niedergeschlagen ausgesehen und einen Kommentar zunächst abgelehnt.

Reaktionen zur EM-Vergabe an Deutschland:

TÜRKEI
Hürriyet: „Mitternacht hat sich der UEFA-Chef Aleksander Ceferin eingeschaltet und sich zuerst mit den Deutschen getroffen, danach hat er gewährleistet, dass fünf Mitglieder ihre Stimmen ändern. Nach den Treffen Ceferins hat die Türkei 12:4 verloren.“

Fotomac: „Schmutziges Spiel“ (...) „Sie haben noch immer Angst vor uns.“

Sabah: „Ihr habt verloren“.

Fanatik: „Wir haben viel gearbeitet, es so sehr gewollt, aber wieder hat es nicht geklappt.“

FRANKREICH:
L'Alsace: „Uff! Die viel kritisierten und auch angreifbaren Verantwortlichen der UEFA, des europäischen Fußballverbands, haben gestern das Abseits vermieden, indem sie Deutschland als Ausrichter der Fußball-Europameisterschaft (EM) 2024 der Türkei vorgezogen haben. Vielleicht haben einfach sportliche Gründe bei der Entscheidung den Ausschlag gegeben: solide Bewerbungsunterlagen und die weitgehend vorhandene Infrastruktur in Deutschland. Diese sportliche Entscheidung kann jedoch nicht losgelöst von politischen Gründen betrachtet werden. Die Situation in der Türkei, wo Präsident Recep Tayyip Erdogan eine autoritäre Macht ausübt, die in die Menschenrechte eingreift, machte die Vergabe eines Wettbewerbs wie der Fußball-EM an dieses Land de facto unmöglich. Die Vernunft hat sich durchgesetzt.“

SPANIEN
El País: „Es war keine Überraschung, als UEFA-Präsident Alexander Ceferin den Umschlag mit dem Gewinner öffnete. Die Türkei, der andere Kandidat, hat sich sehr bemüht, mit dem Riesen zu konkurrieren, aber letztendlich wird der Fußball in der Mitte des Kontinents gespielt.“

GROSSBRITANNIEN
Independent: „Der Wettbewerb zwischen Deutschland und der Türkei um die Austragung der EM 2024 hat sich zugespitzt wegen der erhöhten politischen Spannungen zwischen den Ländern, die diesen Sommer in den Fußball überschwappten mit der wütenden Reaktion auf die Entscheidung von Mesut Özil und Ilkay Gündogan, sich mit dem umstrittenen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor der Weltmeisterschaft fotografieren zu lassen.“

The Sun: „WUNDERBAR Euro 2024: Deutschland wird Gastgeber des Turniers, nachdem es sich gegen die Türkei durchsetzt hat und stärkt die Hoffnungen Englands auf die Weltmeisterschaft 2030.“

The Times: Deutschland gewann in dem Votum unter den UEFA-Vorstandsmitgliedern mit zwölf zu vier Stimmen bei einer Enthaltung. Die beiden englischen Vertreter, David Gill und Ivan Gazidis, sind dem Vernehmen nach dem Wunsch von UEFA-Präsident Aleksander Ceferin gefolgt und haben die Deutschen unterstützt.

Das sollte eine starke Basis für europäische Unterstützung sein, wenn die Bewerbung für 2030 Bestand haben sollte. England, Schottland, Wales, Nordirland und die Republik Irland führen gerade eine Machbarkeitsstudie durch, ob sie eine gemeinsame Bewerbung für das Turnier einreichen und Ceferin hat bereits angedeutet, dass er gerne nur einen einzige europäische Bewerbung hätte.“

SCHWEIZ
Blick: „Nein zu Erdogan - Europa zu Gast bei Freunden.“

RUSSLAND
Kommersant: „Die Europameisterschaft ist für die UEFA längst zu einem lukrativen Geschäft geworden. Selbst wenn man plötzlich bereit wäre, riskante Experimente zu wagen, so hat es sich angesichts der Einnahmen doch gelohnt, diesem Wunsch nicht nachzugehen. Die UEFA bevorzugt Zuverlässigkeit und nicht das Neue.“

Sport-Express: „Tradition gewonnen - die Wahl fiel auf Deutschland. Es hat tolle Erfahrungen mit solchen Turnieren. Weltmeisterschaften 1974 und 2006, Europameisterschaft 1988 - alle fanden auf deutschem Boden statt und wurden von den Teilnehmern und Zuschauern sehr geschätzt.“

NIEDERLANDE
De Telegraaf: „Zuschlag an Deutschland ist eine gute Nachricht für niederländische Fußballfans. (...) Philipp Lahm, der als Spieler so ungefähr alles gewann, was man gewinnen konnte, bleibt auch mit einem Schlips um den Hals erfolgreich. Mit drei klugen Entscheidungen scheint der gesunde Verstand bei der UEFA gerade noch rechtzeitig zurückgekommen zu sein. (...) Abgesehen vom intensiven Fanerlebnis übertroff die Kandidatur der Deutschen die der Türken auf allen Fronten. Am wichtigsten ist, dass die Menschenrechte bei unseren östlichen Nachbarn gewährleistet sind.“

BELGIEN
Sportmagazin Knack: „Zum vierten Mal nimmt die Türkei die Organisation der Europameisterschaft in Angriff. Die Tatsache, dass Deutschland, wo der Fall Özil den gesamten Sommer über diskutiert wurde, den Zuschlag für die Organisation der EM 2024 bekommen hat, ist keine Überraschung, wird die Türkei aber hart treffen.“

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