Das Geheimnis des Bullen-Spielstils

Ein russischer TV-Kommentator brachte nur noch zwei Worte heraus: "Mamma mia!" Und selbst Stefan Ilsanker schüttelte mit dem Kopf. Auch er konnte nicht glauben, was seinem Kollegen Jonatan Soriano gelungen war: Mit einem Schuss aus 52 Metern bezwang der Spanier Keeper Jasper Cillissen. Sorianos Supertor war Höhepunkt eines spektakulären 3:0-Sieges von Salzburg im Hinspiel des Sechzehntelfinales der Europa League bei Ajax Amsterdam.
Aber das Tor, das ganz sicher in keinem Sport-Jahresrückblick fehlen wird, war nicht typisch für jene Spielweise, mit der Salzburg die Gegner derzeit reihenweise demoliert – egal, ob diese nun Wiener Neustadt, Grödig, Bayern München oder eben Ajax Amsterdam heißen.
Das Systemtor
Typisch war da schon viel mehr der zweite Treffer: Verteidiger Martin Hinteregger stoppte 20 Meter in der eigenen Hälfte einen Ajax-Angriff, bei dem der ballführende Spieler der Niederländer auf der Mittellinie von mehreren Salzburger Spielern attackiert worden war und deshalb zu einem ungenauen Zuspiel gezwungen wurde.
Nach der Balleroberung ging es blitzschnell: Hintereggers Abschlag landete bei Soriano, der legte mit der ersten Ballberührung auf Kevin Kampl ab, der wiederum passte direkt in die Tiefe auf Sadio Mane, der nur mehr Torhüter Cillessen umkurven musste und den Ball ins leere Tor schießen konnte – ein Treffer nach dem Geschmack von Salzburg-Sportchef Ralf Rangnick, der ein Verfechter des Umschaltspieles ist.
Dessen Basis ist eine wissenschaftliche Untersuchung mit folgendem Ergebnis: Ein Großteil der Tore fällt in den ersten acht Sekunden nach der Balleroberung. Danach nimmt die Wahrscheinlichkeit ab, dass ein Tor gelingt. Bei Manes Treffer ging es sogar noch schneller.
Acht Sekunden sind auch im Fußball extrem wenig. Um diese optimal ausnützen zu können, braucht man bestimmte Spielertypen. Diese müssen extrem flink sein, im Kopf und in den Beinen. Nach einer Balleroberung quer zu spielen, bedeutet, entscheidende Zeit zu verplempern. In die Tiefe spielen ist das Credo – und das bei jeder Chance.
Die Balleroberung kann immer nur im Kollektiv erfolgen, einzeln zu attackieren bringt nichts. Deshalb müssen die nicht involvierten Mitspieler immer räumlich mitdenken, also nicht stehen und zuschauen, sondern ohne Ball agieren.
"Wir schaffen es, als Mannschaft geschlossen zu agieren, in Ballnähe Überzahl zu schaffen und uns gnadenlos zu unterstützen. Kein Spieler ist alleine im Zweikampf, es gibt einen zweiten, dritten, vierten, fünften Spieler, der dazukommt. Das ist sehr schwierig zu beantworten. Man hat sehr wenig Raum, sehr wenig Zeit, wenn man gegen uns spielt", erklärt Salzburg-Trainer Roger Schmidt die Erfolge.
Die Systemgrundlage
Das alles haben seine Spieler in den letzten 20 Monaten verinnerlicht und beherrschen dies mittlerweile so perfekt, dass sogar Gegner von der Qualität des niederländischen Meisters und Tabellenführers richtiggehend hilflos wirken.
Salzburgs Spielweise ist kräfteraubend, weil diese mit extremer Laufarbeit verbunden ist. Dafür ist eine perfekte Fitness die Grundlage. "Die haben wir uns erarbeitet. Bei uns sieht jedes Training so aus wie in Amsterdam das Spiel ausgesehen hat", sagt Schmidt und erzählt: "Wir spielen auch im Training mit extrem hoher Intensität, aber mit sehr kurzen Intervallen. Wir übertreiben es teilweise, aber das bringt den Spielern viel Substanz. Deshalb sind wir in der Lage, das 90 Minuten zu spielen. Wenn wir das physisch nicht könnten, dann könnten wir das taktisch nicht so spielen. Das eine bedingt das andere."
Ballbesitz spielt im Salzburger System – ganz im Gegenteil zu jenem von Ajax – eine untergeordnete Rolle. Und dass dieser oft nicht entscheidend ist, bewies auch die Salzburger Gala. Ajax hatte einen Ballbesitz von 62:38-Prozent und trotzdem keine Chance – zumindest im Hinspiel.
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