"Viele Deutsche hätten sich gefreut, wenn wir ausgeschieden wären"

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Toni Kroos hielt Deutschland mit dem Siegestor gegen Schweden im Turnier und bügelte damit eigene Fehler aus.

Für Toni Kroos war das Fußball-WM-Spiel am Samstag in Sotschi gegen Schweden ein Wechselbad der Gefühle. Zunächst leitete der Real-Madrid-Profi das Tor der Skandinavier mit einem Fehlpass ein, in der 95. Minute aber versenkte er einen Freistoß zum 2:1-Sieg, womit Deutschland gute Chancen auf das Achtelfinale hat.

Die dadurch entstandene Euphorie soll den mit einer Niederlage gegen Mexiko gestarteten Titelverteidiger nun durch das Turnier tragen. "Es ist natürlich eine Vorlage, um gute Gefühle mitzunehmen. Ich hoffe, dass wir das in die nächsten Spiele transportieren können", sagte Kroos. "Natürlich geht das erste Tor auf meine Kappe. Aber man muss dann auch die Eier haben, die zweite Halbzeit so zu spielen."

Ausgebügelt

Der Mittelfeldspieler bewahrte die deutsche Mannschaft vor dem drohenden K.o. in der Gruppenphase. Kroos rettete aber auch die eigene Turnierbilanz. Denn nach seinem fatalen Fehlpass vor dem 0:1 und dem danach halbherzigen Verteidigen wäre der 28-Jährige ungleich schlechter weggekommen, wäre der Siegestreffer nicht mehr geglückt. Der vierfache Champions-League-Sieger wurde bereits nach seinem Auftritt beim Fehlstart gegen Mexiko sehr kritisch gesehen.

"Ich habe mich für ihn gefreut, weil er am ersten Gegentor mit beteiligt war. Was ihm normalerweise selten passiert", sagte Bundestrainer Joachim Löw, den der verwandelte Kroos-Freistoß in der Nachspielzeit zu einem riesigen Freudensprung trieb, der dem geschlagenen Gegner nicht ganz schmeckte.

Schwedischer Ärger

"Einige der Deutschen fingen an zu feiern, in dem sie in unsere Richtung liefen. Sie fingen an, Gesten zu machen, das hat mich sehr verärgert", sagte der schwedische Teamchef Janne Andersson anschließend. Nach dem Schlusspfiff standen sich einige Schweden und Deutsche auf dem Platz Gesicht an Gesicht gegenüber, es gab ein paar Schubsereien.

"Nach dem Schlusspfiff schüttelt man sich die Hände und benimmt sich nicht so", kritisierte Andersson. Einige auf der deutschen Bank hätten sich "in einer Art und Weise verhalten, die nicht korrekt war, man lässt den Gegner auch in Ruhe trauern", betonte der schwedische Trainer. 

Die deutsche Nationalmannschaft hat sich für einige Jubelgesten in Richtung des Kontrahenten entschuldigt. "Es war ein emotionales Spiel. Am Ende war die eine oder andere Reaktion oder Geste unseres Betreuerstabes in Richtung der schwedischen Bank zu emotional", übermittelte "die Mannschaft" über die sozialen Netzwerke. "Das entspricht nicht unserer Art. Dafür haben wir uns beim schwedischen Trainer und seinem Team entschuldigt." 

Rüge

Kroos selbst bilanzierte seinen wechselhaften Abend in der gewohnt unerschütterlichen Art. Im Gegensatz dazu waren einige Kollegen noch voller Adrenalin. "Mir sind auch auf dem Platz fast schon die Tränen gekommen beim 2:1, weil es einfach so geil war", sagte der starke Timo Werner, der vor dem Freistoß gefoult worden war. "In diesem Turnier gibt es keine normalen Tore. Entweder sind es Standardtore, Eigentore oder Traumtore. Und heute war es wieder ein Traumtor, das uns geholfen hat, noch hier im Turnier zu bleiben."

Kroos rügte danach einige Kommentare aus der Heimat. "Bei mir kommt da das Gefühl an, dass es viel mehr Spaß macht, schlecht über uns zu schreiben. Wir kriegen von all jenen, die schreiben, analysieren, uns schlechte Körpersprache vorwerfen, keine Hilfe", kritisierte der frühere Bayern-Profi. "Ich glaube, es wird uns keiner zum Titel schreiben, wir müssen das selbst machen, das muss von uns kommen."

Entscheidender Dialog

Tore wie das vom Samstag in helfen dabei. Gemeinsam mit dem Ausgleichstorschützen Marco Reus beratschlagte sich Kroos, wie denn dieser letzte deutsche Freistoß in der Nachspielzeit auszuführen sei. "Marco wollte erst direkt schießen, aber ich habe gesagt, davon bin ich nicht überzeugt", verriet Kroos den kurzen Nachspielzeitdialog. "Wir haben uns dann für den Weg entschieden, den Ball nochmal reinzuspielen, um einen bisschen besseren Winkel zu bekommen für den Schuss." Kroos spielt zu Reus, der stoppt - und dann traf Kroos zu seinem ersten DFB-Tor seit Oktober 2016.

Glücklich konnte Kroos sein, dass der Wunsch vom verletzt zuschauenden Mats Hummels nicht in Erfüllung gegangen war. "Ich habe laut geschrien, er soll flanken", sagte der Innenverteidiger, und räumte lächelnd ein: "Dafür durfte ich mir gerade einiges anhören in der Kabine."

Pressestimmen zum Spiel:

DEUTSCHLAND:

"Welt am Sonntag": Kroos rettet Deutschland. Mittelfeldstar von Real Madrid schießt das Siegtor zum 2:1 gegen Schweden in der fünften Minute der Nachspielzeit. Erinnern Sie sich noch an den 21. Juni 1978? Die WM in Argentinien, Deutschland gegen Österreich, ein Eigentor von Hans-Hubert Vogts und zwei Treffer von Hans Krankl. Die Älteren verdrehen jetzt die Augen: Ach ja, oje, die "Schmach von Cordoba". Der Weltmeister blamierte sich bis auf die Knochen und schied in der Zwischenrunde sensationell gegen den kleinen Nachbarn aus. Und Toni Kroos ist es zu verdanken, dass sich in Sotschi nicht noch etwas Schlimmeres als vor vier Jahrzehnten ereignet hat."

"B.Z.": Deutschland noch nicht in WM-Form. Durchatmen, Deutschland. Tief durchatmen. Der Weltmeister ist noch im Turnier. Knapper als beim 2:1 gegen Schweden hätte es nicht laufen können. Das Kroos-Tor ist ein Geschenk für alle Fußball-Fans. Aber: Auch gegen Schweden spielte Deutschland nicht im WM-Form. Zum Glück hat Deutschland es jetzt gegen Südkorea wieder in eigener Hand, ins Achtelfinale zu kommen. Aber in dieser Form kann der Titel nicht verteidigt werden. Leider."

"Bild am Sonntag": DER SCHUSS INS GLÜCK. TONI, DU BIST EIN FUSSBALLGOTT! Was für ein Spiel! Was für ein Zittern! Was für ein Drama! Was für ein Ende! Dank Toni Kroos!!! Deutschland gewinnt in letzter Sekunde 2:1 gegen Schweden. Und hat das Weiterkommen ins Achtelfinale wieder in eigener Hand."

"Morgenpost Dreden/Chemnitz": Kroos hält den Weltmeister am Leben! Treffer in der Nachspielzeit verhindert historische Schmach. Der angeschlagene Titelverteidiger Deutschland hat bei der WM in Russland den vorzeitigen Totalschaden dank Toni Kroos verhindert."

"Tagesspiegel": Die Erlösung. Der deutschen Nationalmannschaft gelingt zu zehnt in der Nachspielzeit ein 2:1-Sieg gegen Schweden - damit kann der Titelverteidiger weiter auf den Achtelfinaleinzug hoffen. ... Toni Kroos zirkelt den Ball in den Winkel des langen Ecks. Ein Traum von einem Tor."

RUSSLAND:

"Sport-Express": "Danke Deutschland, dass du noch lebst! Die deutsche Auswahl hat sich am eigenen Schopf aus einer hoffnungslosen Lage im Turnier und einer hoffnungslosen Lage im Spiel herausgezogen. Danke dafür, Weltmeister!"

"Kommersant": "Der Weltmeister vermeidet das Ausscheiden. Die deutsche Mannschaft ringt Schweden in letzter Sekunde den Sieg ab."

"Moskowski Komsomolez": "So, Deutschland hat es geschafft! Das Bundesteam gewinnt 2:1 in einem dramatischen Spiel! Schweden ging dank eines Treffers von Toivonen in Führung, aber die Deutschen drehten das Spiel in der zweiten Halbzeit."

"Komsomolskaja Prawda": "Die Schweden konnten das verdiente Unentschieden nicht halten. In der letzten Minute bekam die deutsche Mannschaft einen Freistoß. Nach Zuspiel von Reus traf Kroos genau ins lange Eck, machte seinen Fehler aus der ersten Halbzeit wieder gut und brachte seiner Mannschaft einen unglaublich schweren Sieg praktisch mit dem Schlusspfiff."

"newsru.com": "Deutschland in Unterzahl entreißt Schweden den Sieg dank eines Wundertors von Kroos."

FRANKREICH:

"L'Equipe": "Der Meisterschuss". "La Kroos Frayeur (Wortspiel mit "la grosse frayeur", der große Schrecken). Das war kein Freistoß, das war ein Messerstich. Ins Herz der Schweden und in die Seele der Deutschen. (...) Deutschland hatte sein Wunder von Bern, es hat nunmehr sein Wunder von Sotschi."

"Le Monde". "Deutschland hat noch viele Probleme zu lösen, falls es seinen bei der WM 2014 errungenen Titel gelassen verteidigen will. Vier Jahre später macht es (Deutschland) einen anderen Eindruck - mit einer Verteidigung, die verletzbarer und Kontern ausgesetzt ist."

"Le Figaro": "Toni Kroos rettet Deutschland gegen Schweden am Ende der Nachspielzeit. Deutschland ist bei der WM immer noch lebendig. (...) Ein wichtiger und wunderbarer Sieg(...)."

SPANIEN:

"Marca": "Kroos rettet den Weltmeister. (...) Toni Kroos führt bei Real Madrid keine Freistöße aus, weil diese Cristiano Ronaldo vorbehalten sind. Aber es stellt sich heraus, dass er darin ein außergewöhnlicher Spezialist ist. Der deutsche Fußballspieler (...) rettet den Weltmeister, der schon fast mit Bordkarten für den Rückflug nach Berlin dastand, mit einem Wunder in letzter Minute."

"Mundo Deportivo": "Toni Kroos schießt in der Nachspielzeit das Tor seines Lebens, und jetzt hängt alles von Deutschland selbst ab. Die Mannschaft hat sehr gelitten, ist aber dem Fluch des Weltmeisters in allerletzter Minute entronnen."

"El Pais": "Deutschland, das alte Deutschland, das Team, das die meisten Triumphe einfährt, wenn es so aussieht, als liege es im Sterben, ist wieder auferstanden. In der letzten Sekunde der Nachspielzeit ist ihm dies gelungen, als das Herz bis zum Hals schlug (...). Ja, Deutschland kommt immer wieder zurück, egal ob es gut spielt oder schlecht spielt, es geht nie wirklich weg."

"El Mundo": "Deutschland ist nicht wie die anderen. (...) Nein. Deutschland ist mental anders. Sotschi geht als einer der Orte in die Geschichte ein, an denen das Land (...) gezeigt hat, wie ein Champion lebt, stirbt und wiederaufersteht, fähig, über sich selbst hinauszuwachsen (...)."

GROSSBRITANNIEN:

"Mirror": "Die Deutschen haben großen Geist gezeigt, sich in ein Spiel zurückzukämpfen, das ihnen ... wegzurutschen drohte."

BBC: "Deutschland ist lautstark zurückgekehrt in Russland."

"The Sun": "Kroos' brillanter Freistoß in der 95. Minute brach die schwedischen Herzen und jeder war völlig perplex."

"The Times": "Toni Kroos hat nach dem Rettungsanker gegriffen."

SCHWEIZ:

"Sonntagsblick": "Was für ein Spiel! Deutschland kommt wie die Feuerwehr, lässt aber in den ersten Minuten mehrere Hochkaräter liegen. .... Die zweite Hälfte ist dann aber gerade mal zwei Minuten alt, als Reus zum Ausgleich trifft. Und jetzt rollt der DFB-Express. Immer wieder kommen die Deutschen zu Chancen. Bis erst in der allerletzten Minute Toni Kroos unsere nördlichen Nachbarn erlöst."

Rundfunk SRF: "Deutschland konnte den Kopf aber nochmals aus der Schlinge ziehen. In extremis und gleichermaßen mustergültig verwandelte in der 95. Minute Toni Kroos einen Freistoß sehenswert zum 2:1-Endstand."

"NZZ": "Der Titelverteidiger Deutschland lebt noch. Kann das, was im Fußball für gewöhnlich Befreiungsschlag genannt wird, auf schönere Weise gelingen als durch ein solches Tor? Als durch einen Freistoß wie diesen in der Nachspielzeit?"

ITALIEN:

"La Repubblica": "Deutsche Fußball-Götterdämmerung"

"Es war ein Epilog, der trauriger war als eine Sirene im Nebel des Hamburger Hafens. Das große Deutschland, Titelverteidiger, muss nach Hause. Aber die Deutschen, das weiß man, geben nie auf. Auch nicht mit einem Tor Rückstand. Auch nicht nur mit zehn Mann. Es gab alle Zutaten für eine fußballerische Götterdämmerung. Aber dann kam Kroos. (...) Das wahre Deutschland haben wir immer noch nicht gesehen, aber das Team hat jetzt wieder Rückenwind."

NIEDERLANDE:

"de Volkskrant": "Kroos rettet Deutschland in der Schlusssekunde. Euphorisch war die deutsche Freude nach diesem - übrigens hochverdienten - Sieg, groß das Leid der Schweden."

"De Telegraaf": "Deutschland ist außer sich"

POLEN:

Sportportal "Przeglad Sportowy": "Das wird eines der unvergesslichsten Spiele dieser Weltmeisterschaft bleiben. Die Deutschen spielen gegen Schweden ums Sein oder Nichtsein und starten mit einem Rückstand. Doch eine alte Fußballerwahrheit bewahrheitet sich: Sie spielen das Spiel zu Ende."

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