Wie im Rausch in eine neue Liga

Zuerst hatte Stan Wawrinka bei den Pariser French Open mehr durch seine rot-weiß karierte Short für Gesprächsstoff gesorgt. Vom Februar bis Mitte Mai hatte er auf der Tennis-Tour keine zwei Matches in Folge gewonnen. Doch spätestens in Roland Garros steigerte er sich in einen Spielrausch und setzte im Finale mit dem Triumph über dem bisherigen Saison-Dominator Novak Djokovic den Glanzpunkt.
Das Endspiel war für ihn der perfekte und schlüssige Abschluss zweier Turnierwochen, nach denen Wawrinka endgültig im Tennis-Olymp angekommen ist. Jahrelang wurde von dem bis zum Finale in 28 Matches ungeschlagenen Djokovic, seinem Landsmann Roger Federer, dem Spanier Rafael Nadal und dem Briten Andy Murray als die Big Four, die Großen Vier, gesprochen, an die keiner heranreicht.
Big Four
Doch nun gehört Wawrinka dazu, ob er nun will oder nicht. "Die Big Four werden immer die Big Four sein. Ich versuche nicht, mich mit ihnen zu vergleichen. Aber ich versuche, sie zu schlagen", sagte der 30-jährige Australian-Open-Sieger des Vorjahres. Im Viertelfinale gewann er das Prestigeduell mit Federer, im Endspiel verwehrte er Djokovic den letzten noch fehlenden Triumph bei einem der vier Major-Events.

Wawrinka hat dies nun geschafft, und damit ist er definitiv kein Zufallschampion mehr. Bis Sonntag hatten Wawrinka viele immer noch nicht auf der Rechnung, taten seinen Sieg in Melbourne 2014 damit ab, dass sein Finalgegner Rafael Nadal verletzt gewesen sei. Doch nun ist "Stan the Man" auch in den Köpfen der letzten Zweifler angekommen, was auch ein Verdienst seines Trainers Magnus Norman ist.
"Ever tried, ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better"

Nun hat Wawrinka es als Erster geschafft, mit einem zweiten Grand-Slam-Titel die seit 2005 andauernde Dominanz von Federer, Nadal, Murray und Djokovic zu durchbrechen. Der Argentinier Juan Martin del Potro und der Kroate Marin Cilic hatten einmal zugeschlagen - jeweils bei den US Open.
Musketier
Die Leistung des Triumphators fand auch in den Schweizer Gazetten ihren Widerhall. "Diesen Pokal zu erringen, so sagt man, brauche so viel Mut, Tapferkeit und Kampfeswillen, wie er Musketieren zugesprochen wird. Stan Wawrinka darf sich nun zu den Musketieren zählen,", stand im Tages-Anzeiger. Die "Neue Zürcher Zeitung" betonte einen weiteren Aspekt: "Bemerkenswert ist die neue mentale Stärke Wawrinkas."
Angesichts des Spiels von Wawrinka und seiner einhändigen Rückhand war nicht zuletzt Damen-Triumphatorin Serena Williams begeistert: "Wow! Nur wow! Ich will auch so spielen." Die US-Amerikanerin ist nun die Einzige mit der weiter intakten Chance auf den echten Grand Slam. Djokovic muss für den Gewinn aller vier Major-Turniere in einem Jahr zumindest auf das nächste Jahr hoffen.
Knapp zwei Stunden nach seinem Finalsieg hat Wawrinka über seinen French-Open-Erfolg gesprochen. "Ich verspüre viel Stolz", erklärte er. An seiner Seite stand die eben erhaltene "Coupe des Mousquetaires" und vor ihm hing seine modisch umstrittene, karierte Hose, die er den Journalisten nochmals mit einem strahlenden Lachen präsentiert hatte: "Es ist lustig, dass sie die French Open gewonnen hat."
Wie fühlt sich dieser Grand-Slam-Sieg im Vergleich zum ersten in Melbourne 2014 an?
"Ich versuche nicht, sie zu vergleichen. Dieser Titel ist natürlich sehr speziell, im Finale gegen Novak Djokovic, die Nummer 1 der Welt. Er hat in diesem Jahr fast alles gewonnen. Ich verspüre momentan viele Emotionen, aber insgesamt bin ich entspannt. Es wird aber etwas Zeit verstreichen, bis ich wirklich realisiere, was ich erreicht habe. Nach großen Titeln ist man immer etwas weggetreten."
War das heute die beste Leistung ihrer Karriere?
"Es ist sicher einer der besten Matches meiner Karriere, wenn nicht das beste. Gegen Ende des zweiten Satzes fühlte ich mich müde und zweifelte daran, dass ich das Niveau würde halten können. Aber es erging Novak nicht besser. Wir haben beide gekämpft. Und zum Ende des vierten Satzes war ich losgelöst, mir gelangen einige herrliche Rückhand-Schläge. Es ist selten, dass die Schläge so gelingen und dann noch im Finale. Es ist ein großartiges Gefühl."
Was hat Ihnen Ihr Coach Magnus Norman vor der Partie gesagt?
"Wir hatten eine gute Unterhaltung. Ich war sehr entspannt am Samstag und auch heute Morgen (Sonntagmorgen -Red.) - bis etwas 15 Minuten vor dem Match. Dann wurde ich sehr nervös. Ich habe zu mir selber gesagt: 'Was geht hier ab?' Er hat mir gut zugesprochen. Er glaubt immer an mich. Immer findet er die richtigen Worte, um mein Selbstvertrauen zu stärken und mir den Gauben zu vermitteln, dass ich die Nummer 1 der Welt in einem Grand-Slam-Finale schlagen kann."
Sie hatten Ihre Nerven während dem Finale gut im Griff.
"Ich war überrascht, wie ich gespielt habe. Eben weil ich sehr nervös war. Aber ich fühlte mich nie gehemmt. Ich habe die richtigen Entscheidungen getroffen. Ich bin meiner Linie immer treu geblieben. Das ist der einzige Weg für mich, um die Besten zu schlagen. "
Nach dem Matchball haben Sie sich lange mit Djokovic unterhalten. Haben Sie sich fast entschuldigt, dass Sie ihm den Titel weggeschnappt haben, den er so sehr wollte?
"Wir sind sehr gute Freunde. Wir trainieren fast jede Woche, fast bei jedem Turnier miteinander. Ich verstehe mich sehr gut mit seinem ganzen Team. Natürlich bin ich sehr glücklich, dass ich den Titel geholt habe. Aber ich weiß auch, dass er sich nach diesem Titel sehnt. Ich bin sicher, dass er ihn eines Tages gewinnen wird."
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