Die Geister, die Lance Armstrong rief
Lance Armstrong war besessen. Vom Erfolg. Und von der Kontrolle über seinen Erfolg. Er war der Chef in seinen Teams, er durfte sie selbst zusammenstellen. Und er war auch der Chef im Peloton. Wer sich kritisch über Armstrong geäußert hat, wurde vom Boss persönlich in aller Öffentlichkeit zusammengeputzt.
Für Erfolg und Ego hat Lance Armstrong alles getan, was erlaubt war. Und auch alles, was verboten war, so viel steht fest, nachdem die amerikanische Anti-Doping-Behörde USADA jene mehr als 1000 Seiten Akten veröffentlicht hat, die zur Urteilsfindung gedient haben. Die Geister, die er rief, suchen Armstrong seither heim. Und seit die Geheimnisse seiner Erfolge bekannt sind, ist aus dem größten Radfahrer der Geschichte einer der größten Betrüger derselben geworden.
Märchenhaft
Es ist eine jener Geschichten, wie sie die Menschen lieben: Der dem Tod geweihte Krebspatient (Überlebenschance 20 Prozent) wird gesund und gewinnt sieben Mal die Tour de France. Manchen kam Lance Armstrong freilich ein bisserl gar übermenschlich vor. Nun weiß man, warum.
Armstrong stellte sich sein Team nach Doping-Kriterien zusammen und förderte es nicht nur, sondern forderte es auch. Die Fäden im System US Postal zogen Teamchef Johan Bruyneel und der Italienische Arzt Michele Ferrari ("Dottore EPO").
Auf dem Trainingsplan: Testosteron, Wachstumshormon, Cortison, EPO. "Jeden dritten oder vierten Tag nahmen sie EPO", gab etwa der Italiener Filippo Simeoni an. Auch einige Frauen und Freundinnen der Fahrer waren involviert. Bei der Tour 1999 hatte Armstrong eigens einen "Motoman" organisiert – einen getarnten EPO-Boten. Armstrong wurde erwischt, lieferte einen positiven Cortison-Befund ab. Die Lösung: ein gefälschtes Attest vom Teamarzt.
Bedrohlich
Nachdem Armstrong seine Konkurrenz auf einer Etappe mit Bergankunft in Sestriere zertrümmert hatte, schrieb der französische Fahrer Christophe Bassons von La Française des Jeux in seiner Kolumne im Parisien: "Das Peloton war von Armstrongs Dominanz geschockt" und spielte damit auf Doping an. Tag darauf nahm sich Armstrong den Franzosen vor: "Du bist ein Verräter! Du solltest den Radsport verlassen."
Als Anfang des neuen Jahrtausends neue Nachweismethoden entwickelt wurden, wurde EPO nur noch vorsichtig eingesetzt, das Team stieg auf Blutdoping um. Seine Blutbeutel (und auch jene einiger Kollegen) lagerte Armstrong in einem versteckten Eiskasten in seiner Villa im spanischen Girona. Vor wichtigen Etappen bei der Tour de France wurde es refundiert. Grantig war Armstrong, als er bei einem Zeitfahren 2004 "nur" Zweiter wurde. "Das Blut muss schlecht gelagert gewesen sein."
Armstrongs Geschichte wurde vom Märchen zur Katastrophe für den Radsport. Aber es ist nicht die erste: Schon rund um die Operacion Puerto, als 58 Sportler vor der Tour de France 2006 als mutmaßliche Kunden eines spanischen Dopingrings von der Frankreich-Rundfahrt ausgeschlossen wurden, hatten Teams und Fahrer eine neue, saubere Ära gelobt. Die gipfelte im letzten Herbst in der Verurteilung eines gewissen Alberto Contador. Doch Doktor Fuentes, der Herr des Rings, hatte weit mehr Kunden – mehr als 200.
Viele von ihnen sporteln immer noch. Nur rund ein Viertel waren Radsportler.
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