Der vereinnahmte Protest: Wenn Sportler Gesellschaftskritik üben

Der vereinnahmte Protest: Wenn Sportler Gesellschaftskritik üben
Immer mehr Verbände institutionalisieren die Gesellschaftskritik von Sportlerinnen und Sportlern. Aus dem Protest wurde ein Ritual.

Der Profisport ist in den letzten Jahren zur Bühne für Gesellschaftskritik geworden. Als am 14. August 2016 vor einem Trainingsspiel der San Francisco 49ers Quarterback Colin Kaepernick bei der amerikanischen Hymne niederkniete, statt sich zu erheben, war das aufsehenerregend. Der heute 33-Jährige tat dies aus Protest gegen Polizeigewalt gegen Schwarze.

Kaepernick ist seither arbeitslos, der politische Nachhall solcher Protestaktionen wird immer leiser. Auch weil immer mehr Verbände die politische Agitation für sich entdeckt haben. Unter ihrer Führung wurde aus dem wütenden Protest einzelner Sportler und Sportlerinnen eine Art Ritual.

Die nordamerikanische Basketballliga NBA hat sich zu einer wahren „Black Lives Matter“-Show entwickelt. Die Anliegen sind ernst und werden von den Spielern ernst genommen. Orchestriert aber wird der Protest von der Liga, die die Auswahl der Botschaften bestimmt. „Black Lives Matter“; „I can’t breathe“; „Justice“; „Peace“ oder „Equality“ lauten Aufschriften, mit denen die Parolen der Protestbewegung gegen Rassismus und rassistische Polizeigewalt in die Arenen getragen werden.

Der vereinnahmte Protest: Wenn Sportler Gesellschaftskritik üben

Frauen knien nicht

Die Frauen der US-Fußballnationalmannschaft, einst Vorreiterinnen des politischen Protests, haben sich entschieden, bei der Hymne künftig wieder zu stehen. Crystal Dunn stellte die Frage: „Soll ich noch 30 Jahre niederknien?“ Die Schwarze Spielerin sagte in einem Interview mit der BBC: „Wir sind über den Punkt hinaus, wo wir Aufmerksamkeit schaffen. Ich denke, jetzt müssen die Leute etwas tun und nicht nur mitmachen, weil sie denken ‚Oh, wir sind jetzt Teil des Trends‘.“

Auch andere Mannschaften und Fußballstars haben mittlerweile aufgehört, vor dem Anpfiff auf die Knie zu gehen. „Warum muss ich für dich niederknien, um zu zeigen, dass wir etwas wert sind?“, fragte der Schwarze Fußballprofi Wilfried Zaha im Podcast „On The Judy“.

Zehn Jahre nach der Vergabe der Fußball-WM 2022 sind nun auch Fußballverbände draufgekommen, dass es in Katar mit den Menschenrechten nicht zum Besten steht. Die Teamspieler aus Norwegen, Deutschland, Dänemark und Belgien wurden mit Appellen für Menschenrechte auf Transparenten oder Aufwärm-T-Shirts ins Stadion geschickt. Es ist doch etwas eigenartig, dass der organisierte Profifußball zu den Guten gehören will, aber sehr wohl versucht, sich für eine WM in dem gerade davor kritisierten Katar zu qualifizieren.

Keine Kritik an China

Peking hat 2015, sieben Jahre nach der Austragung der Olympischen Sommerspiele, den Zuschlag für die Winterspiele 2022 erhalten. Ein Gruppe von sechs republikanischen US-Senatoren will eine Neuvergabe der Spiele erreichen. 2015 war das Jahr, in dem in der Provinz Xinjiang die ersten Uiguren in Umerziehungslager geschickt wurden. China ist politisch und wirtschaftlich mächtiger geworden. Aber es sind Menschenrechtsverletzungen in Hongkong dazugekommen, auch zunehmender Druck auf Taiwan. Und das Coronavirus.

Beijing 2022 Winter Olympics - Test Events

Hu Xijin, Chef der staatlich kontrollierten Global Times, schrieb auf Twitter (in China übrigens verboten): Der Boykott sei eine unpopuläre Idee, die keine große Unterstützung bekommen werde. „China wird jedes Land, das sich dieser Forderung anschließt, mit ernsthaften Sanktionen belegen.“ Eine Drohung, die Chinas neue Selbstsicherheit unterstreicht.

Im Gegensatz zu Katar ist der Protest gegen Peking bei den Sportverbänden noch nicht angekommen. Das Olympische Komitee der USA hat politischen Protest reguliert und einen Leitfaden herausgegeben. Gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit darf man auf der Kappe protestieren. Erlaubt sind auch knien und das Zeigen einer geballten Faust.

Manche Akteure wären aber froh, wenn Protest, wenn auch reguliert, akzeptiert wäre. So erntete der russische Schiedsrichter Kirill Lewnikow in seiner Heimat einen Shitstorm, weil er zusammen mit den Spielern vor der Partie England gegen San Marino in die Knie gegangen war. Sein Kollege Sergei Karassjow hingegen wurde gefeiert, weil er beim Champions-League-Spiel von Manchester City gegen Mönchengladbach den Kniefall verweigert hat.

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