"Die Angst ist mein Begleiter"
45 Jahre und lange Haare. Kräftige Finger und Dreck unter den Nägeln. Im breiten Bayrisch antwortet Extrembergsteiger Alexander Huber auf die Fragen. Mehrmals kritzelt er mit dem Kugelschreiber auf einem Zettel herum, um seinen Antworten mit Zeichnungen Nachdruck zu verleihen. In seinem neuen Buch beschäftigt er sich mit dem Thema „Angst“.
KURIER: Herr Huber, wann haben Sie zuletzt Angst gehabt?
Alexander Huber: Ständig. Wenn ich als Bergsteiger unterwegs bin, ist die Angst mein Begleiter.
Ski-Profis sagen allerdings, sie hätten keine Angst, dafür Respekt.
Wie gehen Sie mit der Angst um?
Ich schaue mir am Berg ganz rational alle Faktoren an: Wie ist das Wetter? Lawinengefahr? Steinschlag? Welche Gefahren gibt es sonst? Danach muss ich analysieren: Wovor habe ich eigentlich Angst? Was bremst mich? Erst wenn ich überzeugt bin, dass alles passt, kann ich weitergehen. Wenn es für mich zu viele schwer zu kontrollierende Unwägbarkeiten gibt, muss ich umdrehen.
Ist es Ihnen schon passiert, die Angst nicht im Griff zu haben?
Es war am Latok II im Karakorum. Beim Abstieg vom Gipfel ist der Steinschlag nicht mehr zum Erliegen gekommen. Eine Situation, die ich nicht mehr unter Kontrolle gehabt habe. Wir haben nur mehr versucht, die Gefahr zu minimieren und sind so schnell wie möglich direkt abgestiegen. Zum Glück ist nichts passiert.
Ein Bergsteiger braucht demnach auch Glück.
Jeder ist im Leben auch auf Glück angewiesen. Wichtig ist aber, dass man aus Fehlern lernt. Dann brauche ich das nächste Mal kein Glück mehr. Die Besteigung des Latok II war ein ganz wichtiger Punkt in meiner Karriere als Bergsteiger. Aber ich würde es nicht wieder wagen. Dieser Abstieg ist mit einem Risiko verbunden, das für mich nicht mehr kontrollierbar ist.
Sie klettern auch Free Solo (ungesichert). Warum?
Wie sehen Ihre Eltern Ihr Spiel mit der Gefahr?
Meine Eltern sind beide Bergsteiger. Die haben meinen Bruder und mich erst zum Sport hingeführt. Und dabei haben sie uns mitgegeben, dass wir nur Sachen machen dürfen, für die wir auch die Fähigkeit haben. Auch heute noch warnen sie mich vor Wagnissen. Und diese Warnungen sind berechtigt. Mein Umfeld trägt dazu bei, im richtigen Moment aus Gefahrensituationen auszusteigen. Das muss man lernen.
Wo ist der Grat zum Leichtsinn?
Es geht um ein ständiges Finden des richtigen Weges. Ich darf niemals die Angst ignorieren. Ich muss mich der Problematik stellen, die die Angst auslöst. Sonst wird die Angst zum Feind.
Sie unterscheiden in Ihrem Buch zwischen lebensbedrohenden Ängsten und den modernen Ängsten des Alltags.
Wenn ich beim Klettern ein Blackout habe, bin ich tot. Wenn ich bei einem meiner Vorträge eines habe, dann stammle ich etwas daher. Das kostet zwar nicht das Leben, aber es prägt mich trotzdem. Außerdem ist eine gewisse Angst vor einem Auftritt vor Publikum wichtig, das hält lebendig und wachsam.
Sie schreiben von der „Angst als Freund“. Was meinen Sie?
Mir hilft die Angst, Probleme anzugehen. Auch im Alltag. Den Kopf in den Sand stecken funktioniert nicht, weil der Arsch schaut noch raus. Und dann bekommt man den Tritt in den Arsch.
Haben wir im Alltag zu viel Angst?
Wir versuchen überall, Gefahren zu minimieren. Helmpflicht überall, manche Kinder tragen am Spielplatz Helme. Doch man muss doch lernen, mit Risiken umzugehen. Eine Gesellschaft ist nicht gesünder, wenn sie möglichst viele Vorschriften hat.
Sondern?
Die Angst vor dem sozialen Abstieg kann man mit Vorschriften niemand nehmen. Die Menschen haben Angst, in unserer Gesellschaft zu versagen. Wer heutzutage arbeitslos ist, fühlt sich als Versager. Die Angst vor dem sozialen Abgrund war noch nie so groß wie heute. Und diese vielschichtige Angst ist viel schwieriger zu verdauen, als die existenzielle Angst, die ein Kletterer hat.
Sie sind mittlerweile 45 Jahre alt. Haben Sie Angst davor, dass Ihre Leistungsfähigkeit nachlässt?
Ich bin am Ende meiner Karriere, in der ich in der Weltspitze mitmachen kann. Aber wenn ich meinen Vater mit seinen 74 Jahren anschaue, was der für ein Leuchten in den Augen hat ... Der ist vor 30 Jahren besser gekraxelt, aber das ist ihm egal. Der ist in den Bergen, weil er glücklich ist. Mir geht es ähnlich. Es gibt so schöne Berge, die ich noch nicht bestiegen habe. Es müssen ja nicht immer die schwierigsten sein.
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