Ältester Olympionike reist nach London
"Das Olympische Dorf war wie eine Militäranlage, überall Hakenkreuze und Uniformierte", erzählt der ehemalige Wasserballspieler. "Aber im Umkleideraum unter den Sportlern hatte Politik absolut nichts zu suchen. Politik und Sport sind wie Wasser und Öl, es mischt sich nicht."
Mit 98 Jahren ist Tarics der älteste lebende Goldmedaillen-Gewinner. Er war 22 Jahre, hatte damals noch den Vornamen Sandor, und war einer der Jüngsten im ungarischen Wasserball-Team, das Deutschland 1936 auf den zweiten Platz verdrängte.
Im vorigen August, nach dem Tod des italienischen Radrennfahrers Attilio Pavesi - der 1932 in Los Angeles Gold holte und 100 Jahre alt wurde - erfuhr Tarics von seinem neuen Ehrenstatus. Die erste Reaktion: "Wie gut, dass ich noch am Leben bin", sagte der rüstige Wahl-Kalifornier. Seit 1952 hat er die US-Staatsbürgerschaft, ein starker ungarischer Akzent ist geblieben.
Vor seinem Haus in dem Nobelort Belvedere, nahe San Francisco, parkt ein goldener Mercedes mit dem Nummernschild "GOLD 36". Das Tennisspielen habe er vor ein paar Jahren aufgegeben, erzählt Tarics. Aber er geht regelmäßig schwimmen und spazieren. Nur für die Balance brauche er ab und zu einen Gehstock, räumt er ein. Dabei schwingt er sich ohne Hilfe aus dem Sessel und nimmt die auf roten Samt gerahmte Goldmedaille von der Wand.
Bei den Olympischen Spielen in London sei er selbstverständlich wieder dabei, sagt Tarics. Auf Einladung des Ungarischen Olympischen Komitees reist er im August mit Ehefrau Elisabeth (80) als Ehrengast an. 2008 feuerte er die ungarischen Wasserballspieler in Peking an, die in der Endrunde die USA besiegten. "Als Amerikaner kann ich das, es ist doch ein Spiel und kein Krieg. Natürlich halte ich zu Ungarn!".
1948 hatte der Bauingenieur dank seines Doktortitels einen Posten an einer Universität im US-Staat Indiana erhalten. Zwei Jahre später zog er nach San Francisco, wo er sich als Experte für erdbebensichere Bauweisen einen Namen machte. Noch heute liebt er komplizierte Rechenaufgaben. Das Tüfteln halte sein Gehirn fit, versichert Tarics, der im September seinen 99. Geburtstag feiert.
An Berlin erinnere er sich, als sei es gestern gewesen. Etwa an die Begegnung mit dem afroamerikanischen US-Sprinter und Weitspringer Jesse Owens, der vier Goldmedaillen holte. Aber auch dies: Zum ersten Mal in seinem Leben habe er damals Fernsehen geschaut. "Auf dem kleinen Apparat sah ich Bilder von den japanischen Schwimmern, das werde ich nie vergessen."
Das Wichtigste sei aber der "olympische Sportgeist" gewesen, erzählt Tarics. Beim Wasserball-Spiel Ungarn gegen Malta sei ein maltesischer Spieler ohnmächtig geworden, dem gegnerischen Team blieben damit nur noch sechs Spieler. Aus Fairness zog Ungarn freiwillig einen eigenen Mann aus dem Spiel. "Die deutschen Zuschauer waren von dieser Geste total begeistert", erinnert sich der Sportler. "Wir ernteten dafür viel größeren Applaus als mit dem Spiel, das uns Gold einbrachte."
Seine kleine Statur machte der 1,70 Meter große Athlet damit wett, dass er beidhändig werfen konnte. "Es ist ein rauer Sport, und das Wasser war von den Verletzungen oft ein wenig rosa", erzählt Tarics. Im Winter sei es in Budapest zum Schwimmen zu kalt gewesen, da hätten sie im Boxring trainiert.
"Ich bin kerngesund", trumpft Tarics acht Jahrzehnte später auf. "Zwei meiner Ärzte habe ich schon überlebt." Sein Rezept für Langlebigkeit? "Das hängt sehr davon ab, was du von deinen Eltern geerbt hast und wie man damit umgeht. Mit Drogen, Rauchen und zu viel Alkohol kann man die besten Gene ruinieren."
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