50 Jahre später: "Die Vorläuferin" startet wieder

Kathrine Switzer
1967 lief Kathrine Switzer in Boston als erste Frau einen Marathon. Am Montag nimmt sie abermals die 42,195 Kilometer in Angriff – mit 70 Jahren, wieder in Boston.

Das Jahr 1967: Die Lage ist klar. Marathon ist Männersache. Frauen sind physisch nicht in der Lage, die enorme Dauerbelastung durchzuhalten. Doch plötzlich taucht beim Boston-Marathon eine 20-jährige Studentin mit einer offiziellen Startnummer auf. Der verzweifelte Versuch des wutentbrannten Rennleiters, den unwillkommenen Gast aus dem Rennen zu zerren, scheitert. Die Bilder der Attacke gehen um die Welt. Die Dame läuft weiter und beendet als erste Frau offiziell einen Marathon. Ihr Name: Kathrine Switzer.

Die Pionierin verschreibt danach ihr Leben dem Frauenlaufsport, sie durchbricht Tabus und gläserne Decken. 50 Jahre nach dem historischen Vorfall steht sie am Montag erneut am Start des ältesten Marathons der Welt.

KURIER: Wie haben Sie den 19. April 1967 in Erinnerung?

Kathrine Switzer: Es war kalt und regnerisch. Ich war unglaublich aufgeregt und glücklich, dass es nach dieser langen Vorbereitung endlich losgeht. Nach rund zwei Meilen hat das Presseauto die Ruhe durchbrochen, und einer der Journalisten hat gerufen: "Schaut, da ist eine Frau im Rennen!" Dann ist alles sehr schnell gegangen, jemand hat an meinem Sweater gerissen und geschrien: "Verschwinde aus meinem Rennen und gib mir die Startnummer!" Erst dann war mir klar, dass es der Rennleiter war. Im nächsten Moment war er weg. Mein damaliger Freund hatte ihm einen kräftigen Seitenhieb verpasst.

Haben Sie im ersten Moment ans Aufgeben gedacht?

Es sind Angst und Zweifel aufgekommen. Tue ich hier das Richtige? Doch dann ist mir klar geworden: Ich muss weiterlaufen. Wenn ich aufgebe, wäre das der klare Beweis für alle Kritiker, dass Frauen physisch und mental nicht im Stande sind, Marathon zu laufen.

Wie sind Sie zu einer offiziellen Startnummer gekommen?

Mein Coach Arnie hat darauf bestanden, dass ich mich offiziell anmelde. Im Reglement war kein expliziter Hinweis auf einen Ausschluss von Frauen zu finden. Ich habe mich mit meinen Initialen K.V. angemeldet. Nicht, um den Veranstalter zu täuschen, sondern weil mein Vorname ständig falsch geschrieben wurde. So merkte niemand, dass sich hinter diesem Namen eine Frau verbarg.

Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass dieser Vorfall weitreichende Folgen hat?

Auf dem Heimweg habe ich noch an einen ärgerlichen Zwischenfall geglaubt. Aber schon am Abend des selben Tages ist mir klar geworden, dass ich einen großen Stein ins Rollen gebracht habe. Meine Geschichte war in den Zeitungen, Fernsehstationen haben angerufen und ich bin beschimpft worden – von Männern und von Frauen. Aber die ganze Dimension habe ich damals noch nicht abschätzen können.

Wie hat der Boston-Marathon 1967 Ihr Leben geprägt?

Laufen hat mich zu einer mutigen Frau gemacht, der Frauenlaufsport ist meine Mission geworden. Anfangs habe ich meine eigene aktive Karriere verfolgt. Ich habe unter anderem den New York City Marathon gewonnen und war eine der schnellsten Marathonläuferinnen der Welt. Ab Mitte der Siebzigerjahre habe ich die erste globale Frauenlaufserie initiiert. Denn Frauenmarathons auf zumindest drei Kontinenten war die Vorgabe des IOC, um diesen Bewerb ins olympische Programm aufzunehmen. Das ist mir binnen sieben Jahren gelungen. 1984 ist dann die erste Marathon-Olympiasiegerin gekürt worden.

Wo steht der Frauenlaufsport im Jahr 2017?

Das Niveau im Spitzensport ist sehr hoch. Viele Athletinnen leben von gut dotierten Sponsorverträgen und Prämien. Auch der Breitensport wird international gesehen immer weiblicher. Bei amerikanischen Marathonrennen liegt die Frauenquote bei 50 Prozent. Trotzdem gibt es noch immer Länder, in denen Frauen das Laufen untersagt ist. Es gibt somit noch viel zu tun.

Was hat es mit dem Frauenlaufnetzwerk 261 Fearless auf sich?

261 war 1967 meine Startnummer in Boston. Diese Zahl ist zu einem Zeichen für weiblichen Mut geworden und zum Symbol für diese globale Laufplattform, die unter anderem mit österreichischer Unterstützung 2015 entstanden ist. Wir vernetzen durch das Laufen Frauen real und virtuell – egal, wie alt oder wie fit sie sind. Der soziale Faktor steht dabei im Vordergrund, nicht die Leistung.

Was bedeutet Laufen für Sie?

Ich liebe es, und ich brauche es. Wenn ich müde bin, überarbeitet oder schlecht gelaunt, renne ich los, und mit jedem Schritt fühle ich mich besser, und die Welt wird wieder rosiger. Dann fallen mir neue Ideen ein, ich fühle mich frei, meine Batterien laden sich wieder auf. Nach einem Marathon hatte ich immer das Gefühl, Bäume ausreißen zu können.

Zum 50. Jubiläum des Vorfalls stehen Sie am Ostermontag wieder am Start des Boston-Marathons. Wie lange haben Sie sich darauf vorbereitet?

Eigentlich ein Leben lang, ich laufe seit meinem zwölften Lebensjahr. Heute, mit 70, laufe ich jeden zweiten Tag und alle acht bis zehn Tage folgt eine längere Strecke bis maximal 30 Kilometer. An den lauffreien Tagen mache ich Krafttraining. Speziell auf dieses Rennen habe ich gut zwei Jahre hintrainiert.

Welches Ziel haben Sie sich gesetzt?

Ich möchte fit an den Start gehen und das Rennen beenden. Die Zeit ist mir gleichgültig.

Info: Die Autorin Edith Zuschmann ist freie Laufsportjournalistin und betreibt den Blog runningzuschi.com

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