25.000 Menschen müssen dem Sport weichen
In der Stadt am Zuckerhut tickt die Uhr. Weniger als 1000 Tage sind es noch bis zur
Fußball-WM 2014, und in Rio de Janeiro soll das Finale ausgetragen werden. Auch die
Olympischen Spiele 2016 rücken immer näher. Die Stadt muss sich sputen, will sie die ehrgeizigen Infrastrukturprojekte rechtzeitig umsetzen. Dabei ist die Stadtverwaltung nicht zimperlich mit der Wahl der Mittel - Menschenrechtler prangern die Zwangsumsiedlungen in den Favelas an. "Wir machen das Maracanã-Stadion wohl hässlich", sagt Francicleide da Souza, die nach einem Grund für die Umsiedlungen sucht und keinen findet. Sie musste in den vergangenen Monaten mitansehen, wie ein Nachbar nach dem anderen "Metrô Mangueira" verließ, das Armenviertel nahe dem legendären Stadion.
"Jeder Weggang schwächt unseren Kampf fürs Hierbleiben", räumt die Präsidentin des Anwohnervereins ein und richtet heftige Vorwürfe gegen die Stadtverwaltung. "Sie haben uns gesagt, wer nicht unterschreibt, hat nachher gar keine Rechte." Viele stimmten der Umsiedlung zu. Gut die Hälfte der 700 Familien zog weg - in die benachbarte Siedlung Mangueira I oder in das 45 Kilometer entfernte Cosmos.
Klagen
Die Klagen der Anwohner haben schon die Vereinten Nationen erreicht, das Internationale Olympische Komitee (IOC) informierte sich vor Ort. "Es ist viel Geld im Spiel, und das wirtschaftliche Interesse ist enorm", sagt der Direktor des Zentrums der Volksbewegungen (CMP), Marcelo Braga. Das Maracanã werde für fast eine Milliarde Reais (403 Mio. Euro) renoviert. "Fünf Prozent der Summe würden reichen, um die Lebensqualität der Menschen in der Nachbarschaft entscheidend zu verbessern", rechnet Braga vor.
Doch
Rios Stadtverwaltung bekräftigt die Rechtmäßigkeit des Vorgehens und argumentiert, dass Umsiedlungen für öffentliche Projekte notwendig seien. "Wir verbessern die Situation der Einwohner. Keiner wird auf die Straße gesetzt, keiner bleibt ohne Unterkunft, keiner bleibt ohne eine Option", versichert der Vize- Wohnungssekretär der Sechs-Millionen-Einwohner-Metropole, Pierre Batista, in einem Gespräch der Nachrichtenagentur dpa . "Das ist eine anständige Arbeit, über die wir mit Stolz und erhobenen Hauptes sprechen können."
Aufregung
Das sehen die Menschen in Metrô Mangueira anders. Sie leben derzeit inmitten von Trümmern, keine 1000 Meter vom Maracanã-Stadion entfernt. Viele Häuser sind ganz oder teilweise abgerissen. Zurück bleiben hässliche Baulücken und Ruinen, die den noch etwa 300 ausharrenden Familien das Bleiben immer schwerer machen. Ratten und Ungeziefer erobern das Revier. Über Schutt- und Müllbergen liegt beißender Gestank. Nachts kommen Drogenabhängige. Und: Einbrecher. Die Ärmsten bestehlen die Armen.
"Sechs Mal schon haben sie bei mir Möbel, Fenster und Stromkabel mitgehen lassen. Hier gibt es weder Sicherheit noch Zukunft", sagt der 36-jährige Eomar Freitas. Doch er und seine Familie wollen bleiben, solange es geht. Den Bewohnern ist nicht klar, was die Stadt mit dem Gelände vorhat. Geschäfte oder ein Freizeitpark? "Allein in Rio stehen 25.000 Familien vor einer Umsiedlung", schätzt Menschenrechtler
Braga.
Die Erfolgschancen von Rechtsverfahren hält er für gering. "Die Bagger schaffen einfach Fakten."
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