Mehr als neuen Stunden sind Gift
Die neunjährige Beatrix sitzt nach der Schule vor dem Tablet ihrer Mutter und spielt Facebook-Spiele. Der 13-jährige Felix hängt den ganzen Nachmittag vor seiner Spielekonsole ab. Und der 10-jährige Michi schickt vor dem Schlafengehen Nachrichten per Smartphone an seine WhatsApp-Gruppen. Kinder, die ihre Freizeit am liebsten mit ihren digitalen Geräten verbringen, gibt es laut Barbara Buchegger, Expertin bei Safer Internet, immer mehr. Das alleine sei allerdings noch nicht bedenklich, sind sich Forscher einig.
Bedenken
"Wenn ein Kind eine Stunde lang in einem Buch schmökert, freut man sich über seine Konzentrationsfähigkeit. Spielt es eine Stunde am Smartphone, befürchtet man Gesundheitsschäden, obwohl sich beide vermutlich gleich wenig bewegt haben", sagt dazu die Medienwissenschaftlerin Jana Herwig. Kinder werden durch digitale Medien keineswegs dumm, dick, aggressiv, einsam oder unglücklich, wie etwa der Forscher Manfred Spitzer in seinem populärwissenschaftlichen Buch "Digitale Demenz" behauptet.
Laut jüngsten Studien ist der durchschnittliche IQ der Menschen in den vergangenen 100 Jahren sogar um 30 Punkte gestiegen. "Das liegt unter anderem auch daran, dass immer mehr komplexe, abstrakte Dinge über Medien vermittelt werden", erklärt der deutsche Medienforscher Markus Appel.
"Ich verstehe die Sorgen von Eltern, dass ihre Kinder zu viel Zeit vor digitalen Geräten verbringen. Als Eltern ist es sicher zielführender, wenn man sich für die Dinge interessiert, die eigene Kinder im Internet tun, und gemeinsam mit ihnen Regeln aufstellt, als aus Unkenntnis alles zu verbieten", warnt Appel. Ähnliches empfiehlt Buchegger: "Wenn man Kinder aus der digitalen Welt ausschließt, werden sie leichter zu Mobbing-Opfern, weil sie die Angriffe gegen sie nicht sofort mitkriegen. Statt die Nutzung von Smartphones oder Spielekonsolen ganz zu verbieten, sollte man als Familie gemeinsam Vereinbarungen treffen", sagt die Expertin. Buchegger ist bei SafterInternet.at täglich mit den Problemen, die sich durch die Digitalisierung der Gesellschaft für Eltern und ihren Nachwuchs ergeben, konfrontiert.
Digitale Auszeiten
"Wenn sich Eltern bewusst werden, dass durch digitale Geräte einfach nur eine neue Herausforderung im Erziehungsprozess dazu kommt, werden sie meistens entspannter. Erziehen ist ein ständiger Aushandlungsprozess. Das ist auch in dem Bereich nicht anders", meint die Expertin, die auch digitale Auszeiten, die gemeinsam festgelegt werden, als sinnvoll erachtet. "Auf Elternabenden höre ich hundert Argumente, warum medienlose Mahlzeiten nicht gehen. Das löst einiges aus", meint Buchegger. Die aufgestellten Regeln, etwa dass während dem Abendessen keine Smartphones am Tisch liegen, sollten dann jedoch für alle Familienmitglieder gleichermaßen gelten. Eltern haben schließlich Vorbildwirkung für ihre Kinder. "Spätestens wenn meine Kinder selbst ein Smartphone haben, werden auch für mich neue Nutzungsregeln nötig sein. Denn wie viele Erwachsene nutze auch ich das Smartphone immer wieder so, wie ich es mir für meine Kinder nicht wünsche: etwa im Bett oder neben dem Esstisch", sagt Medienwissenschaftlerin Herwig, die selbst Mutter von zwei Kindern ist.
Vorteile
Am Computer spielen kann in Maßen auch förderlich für das Gedächtnis sein. Moderne, komplexe Spiele sollen laut Forschern die Problemlösungs- und Anpassungsfähigkeit des Gehirns trainieren. Auch die Nutzung des Internets sollte nicht verteufelt werden: "Wenn man Kindern sagt, das Internet ist per se schlecht, begeht man einen ähnlichen Fehler wie wenn man sagt, dass das Internet per se super ist. Es geht darum genau hinzuschauen", sagt Appel.
Dass gerade junge Kinder zwischen zehn und zwölf Jahren immer mehr Zeit vor ihren Geräten verbringen, liegt laut Buchegger unter anderem daran, dass digitale Geräte in der Schule praktisch kaum vorkommen und rein mit Freizeit verknüpft werden. Dies sei ein großes Problem, so die Expertin. "Digitale Medien können durchaus lernförderlich sein, wenn sie von der richtigen Lehrperson, die weiß, worauf es ankommt, am richtigen Ort eingesetzt werden", meint dazu der Schweizer Experte Beat Döbeli Honegger.
Oft sind es nicht die Eltern, die bemerken, dass ihre Kinder zu viel Zeit vor digitalen Geräten verbringen, sondern die Kinder selbst. Viele haben sogar Angst, süchtig zu sein und machen sich über ihr eigenes Verhalten Sorgen. Fast alle Kinder können Symptome benennen, an denen sie erkennen, wann das Limit erreicht ist – doch nur wenige ziehen daraus Konsequenzen. Der KURIER sprach mit Barbara Buchegger von SaferInternet.at über das Problem und fehlende Alternativen.
KURIER: Wie erkennen Kinder, wann sie genug von ihren Konsolen oder Smartphones haben?
Barbara Buchegger: Sie werden wütend, aggressiv, die Augen tun weh oder sie verspüren einen Bewegungsdrang. Jedes Kind hat andere Symptome, aber nur wenige haben Alternativen. Oft schauen diese dann so aus, dass sie von Bildschirm A auf Bildschirm B wechseln, statt mit dem Rad eine Runde zu drehen.
Woran liegt das?
Viele Kinder dürfen nur in den Park, wenn große Geschwister mitgehen, oder sie dürfen gar nicht alleine hinausgehen. Hier muss man seine Kinder gut unterstützen und man muss vor allem als Elternteil zulassen, dass sich Kinder auch mal wieder fadisieren dürfen. Das ist für Erwachsene anstrengend, aber „ruhigstellen“ mit digitalen Geräten ist auf Dauer keine Lösung.
Kinder haben tatsächlich große Angst davor, süchtig zu sein, wissen aber meist genau, wann der Zeitpunkt erreicht wäre, mit dem Spielen oder Chatten aufzuhören. Weil sie, zumindest in der Pubertät, in ihrer Haltung gegen die Eltern sein müssen, machen sie aber weiter, anstatt aufzuhören.
Was können Eltern in so einem Fall tun?
Gemeinsam festgelegte Familienregeln helfen hier. Eltern müssen bereits vor der Pubertät beginnen, mit ihren Kindern über die Nutzung zu sprechen und gemeinsam mögliche Alternativen zu Computerspielen und Chats überlegen.
Wie sehen geeignete Alternativen aus?
Man muss mit Kindern auch öfters Fußball spielen gehen, einen Ausflug machen oder schwimmen gehen, ohne dass man digitale Geräte mitnimmt. Das ist oft mühsam für Eltern, aber ohne dem geht es nicht.
Kinder und Jugendliche wachsen heute ganz selbstverständlich mit digitalen Medien auf. Für Eltern ist es nicht immer leicht, mit ihren Kindern Schritt zu halten. Der KURIER hat ein paar Ratschläge für Eltern, um die erzieherischen Herausforderungen, die durch die Digitalisierung dazu gekommen sind, gemeinsam mit ihrem Nachwuchs zu bewältigen:
Regeln vereinbaren Zur Konfliktvermeidung sind klare Regeln, die von allen Familienmitgliedern gemeinsam festgelegt werden, hilfreich. Besprechen Sie mit Ihrem Kind, was es im Internet veröffentlichen, ob es Apps selbstständig runterladen, oder aber, wie viel Zeit es vor Spielekonsolen verbringen darf.
Familienzeiten Jede Familie sollte Zeiten definieren, die sie miteinander ohne Unterbrechung verbringen, etwa kein Fernsehen und kein Handy während dem Essen. Daran sollten sich dann aber auch die Eltern selbst halten, denn sie haben Vorbildfunktion.
Vorbildfunktion Eltern sollten immer das vorleben, was sie ihren Kindern vermitteln möchten. Ergo: Auch für Eltern sollte das Abrufen von Kurznachrichten am Smartphone während einem Gespräch mit dem Kind tabu sein, wenn man sich dasselbe von seinem Kind wünscht.
Von Kindern lernen Wenn Sie sich bei digitalen Geräten weniger gut auskennen, als Ihr Kind, begreifen Sie dies als Chance, von ihrem Nachwuchs zu lernen und sich selbst etwas zeigen zu lassen. Hat man mit seinem Kind eine gute Gesprächsebene und begegnet seinem Nachwuchs auf Augenhöhe, ist es nicht so wichtig, dass man selbst weniger gut auskennt mit den digitalen Geräten.
Alternativen Damit Kinder nicht nur vor dem TV-Gerät oder der Spielekonsolen Zeit verbringen, sollten genügend Alternativen geboten werden. Spannende Ausflüge in die Natur oder Mal- oder Kreativ-Kurse als Beschäftigung könnten als Abwechslung dienen.
In-App-Käufe Da Kinder immer früher Handys bekommen, sollten Eltern gerade am Anfang die Möglichkeit, Einkäufe während der Nutzung einer App zu ermöglichen, unterbinden. Oft tätigen Kinder unabsichtlich Bestellungen während eines Spiels, weil sie diese noch nicht von Werbebannern unterscheiden können. Hier ist Vorsicht geboten.
Privatsphäre Besprechen Sie mit Ihrem Kind, was für Konsequenzen es haben kann, wenn es selbst Inhalte wie urheberrechtlich geschützte Bilder im Internet postet oder mit Freunden per Kurznachrichtendienst teilt. Akzeptieren Sie auch, wenn es ihr eigenes Kind nicht möchte, dass Sie es ständig fotografieren.
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