Erbe, Bildung & Monopoly

Ein Mann mit Brille steht vor einer Tafel, auf der Wörter wie „nette Lehrer“ und „Filme schauen“ stehen.
Warum Bildung noch immer vererbt wird. Lehrer und Autor Niki Glattauer über einen gesellschaftspolitischen Skandal.

Wie eh bekannt, verfügen in Österreich die reichsten 10 Prozent inzwischen über 60 Prozent aller Vermögen des Landes. Als ich geboren wurde, waren es nur 40 Prozent.

Kratzt uns das? Ich hoffe, das tut es. Denn wie jeder geübte Monopoly-Spieler weiß, ist die exponentiell wachsende Ungleichheit der Vermögen der Mitspieler der Anfang vom Ende des Spiels. Wer alle Straßen, Häuser und Hotels hat, hat bald niemanden mehr, der dort Miete zahlen kann …

Die Hauptgründe für das stete und konsequente Aufgehen der Schere zwischen Arm und Reich: a) Reichtum gedeiht dort am besten, wo er schon ist, b) wird er vererbt.

Bankrotterklärung

Leider ist es mit dem Bildungsreichtum genauso. Nur sechs Prozent der Kinder, deren Eltern nur Pflichtschulabschlüsse haben, besuchen eine Universität und schließen sie ab. Demgegenüber gehen 54 Prozent aller Kinder von Eltern mit einem Hochschulabschluss später selber an eine Uni oder FH. Das ist die Bankrotterklärung einer Politik, die seit Jahrzehnten Schlagworte wie Chancengerechtigkeit oder Durchlässigkeit des Systems im Mund führt.

Immer noch gibt es Leute (z. B. der Marke Sarrazin), die behaupten, die Schieflage sei dem Umstand geschuldet, dass die einen Kinder "weniger Grips" hätten als die anderen. Aber jetzt pass auf: Als Vater einer Tochter, die ins Gymnasium geht (4. Klasse), und Klassenvorstand diverser Söhne und Töchter einer aktuellen 4A in einer Neuen Mittelschule (vulgo Haupt-) mit einem "Andere-Muttersprache"-Anteil von gefühlten 100 Prozent kann ich mit gutem Gewissen sagen: Meine 13-jährige Tochter ist um nichts intelligenter als die meisten meiner Schülerinnen, um nichts begabter, um nichts fleißiger – und trotzdem wird sie am Ende des Tages eine höhere Schule abgeschlossen haben; wie es sich anlässt, mit ziemlich vielen Einsern und einer ziemlich konkreten Vorstellung von einem Beruf, für dessen Ergreifung sie bis dahin die entscheidenden Weichen gestellt haben wird.

Sie oder wir.

Meine Tochter hat nämlich das Glück, ins "richtige" Milieu geboren worden zu sein: Sie hat überdurchschnittlich gut verdienende Eltern, die zudem imstande sind, Deutsch mit ihr zu reden (in jeder Hinsicht); sie hat eine formidabel vernetzte Verwandtschaft; sie hat Freundinnen mit Bibliotheken statt Mitgliedskarten für Videotheken; und sie hat Lehrerinnen, die ihre Zeit an der Schule nicht zu 75 Prozent damit verbringen müssen, soziale Probleme zu behandeln (von lösen eh keine Rede), bzw. mit Eltern, dem Jugendamt oder der Polizei zu korrespondieren.

Der Vater in mir findet das beruhigend. Der Lehrer in mir findet das zum Heulen.

Einen Punkt freilich gibt es, der in den meisten Diskursen zum Thema außer Acht gelassen wird – und die Mär vom Glück der vererbten Bildung für uns Bildungsbürger relativiert. Die bestehende ungleiche Verteilung der materiellen und geistigen Ressourcen in unserer Gesellschaft bedeutet, dass einer immer größeren Zahl von Menschen die Chancen genommen werden, ihren bestmöglichen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Ergo dessen muss diese mit den Beiträgen der Minderheit auskommen. Das ist eine Lose-lose-Situation. Zum einen überfordert es jene, die es an die Futtertröge geschafft haben, denn die müssen mit ihrer Arbeitskraft steigende Arbeitslosigkeit, Armutskriminalität und diverse Maßnahmen zum sozialen Ausgleich finanzieren. Vor allem aber führt es zu einer Ausdünnung der Potenziale.

Blutauffrischung

Jahr für Jahr gehen uns Zigtausende hervorragende Handwerker verloren, weil alle glauben, ihre Kinder um jeden Preis durch Gymnasien und Unis schleusen zu müssen. Umgekehrt unterbleibt dort die so dringend benötigte geistige und mentale Blutauffrischung, weil sich deren Klientel auf Zöglinge aus den immer gleichen Schichten beschränkt, nämlich auf jene, siehe oben, mit dem gewissen Immatrikulationshintergrund.

Ich nenne das den drohenden Inzest der Bildung. Und wir wissen, wohin Inzest führt. Monopoly nichts dagegen, wie Wolf Haas sagen würde.

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