Danke, es reicht

Eine Frau mit Brille sitzt lächelnd vor einem Stapel Bücher.
Von Über-Eltern, die den Nachwuchs von Leistung zu Leistung hetzen und die Einser-Zeugnisse ihrer Kids auf Facebook posten, hat Gabriele Kuhn die Nase voll.

Eine Erinnerung. Dieser Nachmittag im Park, diese Mutter mit ihrem kleinen Prinzen. So viele Zähne hat er schon! Damit lispelte der Bub dann seine ersten Fremdsprachenkenntnisse. Na, sag schön danke zur Tante, Max. "Stänk ju." Suuuuper, Max! Aber gell, das heißt: Thänk ju. Dann waren die beiden dahin – husch husch zum nächsten Kurs. Und ich saß mit schlechtem Gewissen da und sah zu, wie mein Kind verträumt mit dem Finger im Sand bohrte.

Statussymbol Kind

Taktung. Konkurrenzmanie. Wettbewerb. Die Premium-Kids haben früher die ersten Zähne und können den Tick eher gehen. Sie dienen damit als Projektionsfläche für Eltern, die sich vorgenommen haben, den Turbo zu zünden – um "ganz oben" mitzuschwimmen. Daher werden die neuen Statussymbole idealerweise schon in Strampelhosen in Leistungssysteme gepresst. Kinder (und Eltern) müssen mit den anderen Tom Turbos mithalten. Sie pendeln mit vier vom Spanisch- zum Kletterkurs, ihre Tage sind getaktet wie die der Erwachsenen.

Die Zeit, die tagträumerisch und spielend verbracht werden konnte, schrumpft auf ein Minimum. Die Ökonomie des Lebens durchdringt die Spielecken. So schade. Dass dieses freie Spiel immer weniger Platz hat, ist eine Tragödie – weil das natürliche Lernen verloren geht. Peter Gray, Professor am Boston College, schreibt in seinem Buch "Free to Learn", dass Kinder immer jünger werden, wenn sie in die "Schule" kommen. Schon Kindergärten sind wie Schulen strukturiert – und Aufgaben, die von Erwachsenen gestellt werden, ersetzen das Spiel. Die Bildungspanik geht um – weil es um das Überleben in der Leistungsgesellschaft geht. Und die Angst, der Nachwuchs könnte eines Tages am Rande der Gesellschaft versandeln, den Eltern Schweißperlen auf die Stirn treibt. Also werden die Kids gepusht und kontrolliert – vom Kindergarten bis zur Oberstufe.

Der Nachwuchs als Leistungsschau: "Was, dein Kleines lernt noch kein Instrument? Wuh, deine Tochter geht nicht ins Ballett?" Der böse Blick der anderen: "Mach was! Nütze die Zeit. Morgen kann’s für Russisch zu spät sein." Wer kleinlaut zugibt, dass sein Kind nicht am Tropf irgendeiner Frühförderung hängt, wird kritisch beäugt. Wie nachlässig! Wo doch wichtige "Zeitfenster" versäumt würden.

Und was, wenn die Kleinen einfach nur Kind sein wollen? Und was, wenn der eigene Spross zwei Linke beim Origami für Vorschulkinder hat?

Nur kein Fehler!

Aber nein. Zack. Zack. Schon die Jüngsten werden gecheckt, getestet, beäugt, in Förmchen gepresst. Auch später: Ist der Notendurchschnitt schlecht, kommt die beste Nachhilfe zum Zug. Weint die Pubertierende den Tick zu viel, braucht’s eine familiensystemische Intervention. Sprießen die Pickel, muss der Bub auf Nahrungsmittelunverträglichkeit getestet werden. Der Kontroll- und Förderwahn greift um sich, weil der Nachwuchs alles sein muss, um sich alle Möglichkeiten offen zu halten: Top-Performer, kreativ, witzig, schön, sportlich, aufgeschlossen, fit – rundum perfekt.

Doch mitunter brauchen die Kids einfach nur ein wenig Freiheit – und keine hypernervösen Helikoptereltern, die alles managen, damit "ja kein Fehler passiert". Und sie Kinder und Jugendliche damit nicht nur entmündigen, sondern in ein Korsett schnüren, das keine Luft zum Atmen lässt. Nicht nur: Der phobische Tanz um die "Next Generation" raubt dieser die Chance, sich aus sich selbst heraus zu entwickeln – nach dem Prinzip des Probierens & Irrens. Aber: Big Parents are watching you. Das Blöde daran: Wer den jungen Menschen alles abnimmt, braucht sich nicht zu wundern, dass sie niemals alleine "gehen" .

Bin ich gut genug?

Doch in einem Erziehungs- und Bildungsklima, das sich zunehmend dem Optimierungsirrsinn unterwirft, wird es für die Eltern immer schwieriger, entspannt zu bleiben. Man hyperventiliert, wenn die Mama von XY anruft, um vorzuschlagen, dass "man die Kinder dringend in einen Meditationskurs schicken müsse, damit sie lernen, in ihrer Mitte anzukommen". Man zuckt aus, wenn Eltern die Vorzugs-Zeugnisse mit Hashtag "stolzbin" auf ihren Facebook-Seiten posten. Man wird irre, wenn beim Elternabend stundenlang über die Frage "Sojamilch oder Kuhmilch" diskutiert wird und ein weiterer Elternteil dann auch noch das Thema "Warum gibt es eigentlich kein Leistungsturnen mehr in dieser Schule?" in die verspannte Runde wirft.

Was bleibt, sind Einschlafstörungen rund um den Gedanken: Bin ich als Mutter oder Vater gut genug? Mache ich wirklich alles richtig? Man schielt von da nach dort und wird zunehmend unsicher. Was tun? Oft hilft nur mehr eine Tasse Bleib-locker-Tee – und eine XXL-Portion Gelassenheit, die man sich mantraartig vorbetet. Und vielleicht helfen ein paar kluge Gedanken – wie jener von Ken Robinson. Der anerkannte Bildungsexperte sagt nämlich Folgendes: "… schätzen wir alle Lernenden für das, was sie sind, und zwar aufrichtig. Dann entsteht Wachstum."

Heißt für mich: Weniger am Menschen-Kind schrauben, ein bisschen mehr loslassen und Druck rausnehmen. Sich an all dem Positiven, das von Natur aus da ist, erfreuen. Und vertrauen, dass alles gut wird.

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