Unwetter: Zehntausende leben in Gefahrenzonen

Sehr vielen Österreichern droht ein ähnliches Schicksal wie den Menschen in St. Lorenzen. Dort kann jetzt nur noch das Bundesheer helfen. Zehntausende Steirer leben in ähnlichen Gefährdungsgebieten wie die Menschen in Sankt Lorenzen, denen eine Mure das Dorf zerstört hat. Alleine in der Steiermark befinden sich 55.000 Häuser und sonstige Objekte in "roten" und "gelben" Zonen (zum Interview mit dem zuständigen Landesrat). Das sind jene Flächen, die als besonders hochwasser- oder lawinengefährdet ausgewiesen sind.
Wie viele Österreicher insgesamt in Gefahr sind, weiß nicht einmal Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich – wie er jüngst in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung eingestehen musste. Diese Daten verbergen sich in den Archiven der Landesregierung.
Wenn es dann kracht, hilft letztendlich nur noch das Bundesheer. Das ist in Sankt Lorenzen genauso wie bei früheren Katastrophen: In sehr kurzer Zeit stehen die Freiwilligen Feuerwehren in großer Personalstärke für lebensrettende Sofortmaßnahmen zur Verfügung. Doch wochenlange Instandsetzungsarbeiten können sie nicht leisten. Die Freiwilligen müssen zurück an ihre Arbeitsplätze. Dann kommt das Bundesheer mit seinem (noch) großen Personalpool.
Nach ersten Anfragen des Krisenstabes setzte das Militärkommando Steiermark noch am Samstag 180 Soldaten für erste Aufräumarbeiten in Marsch. Sonntag wurde schließlich eine Kompanie des Pionierbataillons 3 in Melk alarmiert.
Rekruten
Mit 40 Schwerfahrzeugen rückten die 140 Pionier-Soldaten in den Einsatzraum ab. Unter ihnen befinden sich 105 Rekruten, was in Zeiten der Wehrpflichtdebatte fast unweigerlich für politische Diskussionen sorgte.
Insgesamt befinden sich nun im Raum Sankt Lorenzen etwa 500 Soldaten. Sie sind für einen Einsatzbereich in der Größe von zehn mal zwei Kilometer mit 13 Einsatzorten zuständig.
Sie machen die schweren Arbeiten. Zuerst gilt es, weitere Verklausungen im Bachbett oberhalb des Ortes zu beseitigen. Hier muss auch ein rutschender Hang gesichert werden. Erst dann ist es möglich, auch ins Sperrgebiet vorzudringen. Die Soldaten müssen nicht nur Wege, sondern auch Brücken neu errichten. Alle wurden von der Mure hinweggerissen. Außerdem gilt es, noch Straßen freizulegen, um zu zerstörten Gebäuden vorzudringen.
Motiviert
Die großteils sehr jungen Soldaten zeigen sich höchst motiviert. Bei der Hälfte von ihnen handelt es sich um Grundwehrdiener, die aus ihrer Ausbildung herausgerissen wurden.
Hier im Einsatz in St. Lorenzen fragt nun niemand nach der Sinnhaftigkeit des Tuns. Jeder bringt die volle Leistung, da ist auch kein besonderer Druck von den Vorgesetzten nötig.
Der 19-jährige Rekrut Stefan Trabi aus Strass erzählt dem KURIER: "Wir sind seit Samstag im Einsatz und es ist körperlich das härteste der gesamten Bundesheerzeit. Wir arbeiten von 8 Uhr Früh bis am Abend. Aber an Müdigkeit denkt man nicht, wenn man sieht, wie katastrophal es hier aussieht. Es ist unglaublich, wie freundlich die Menschen hier sind, obwohl sie alles verloren haben. Wir müssen helfen, so gut es geht."
Es gibt auch bereits sichtbare Erfolge. Einsatzleiter Oberst Rudolf Wabnegg: "Bis Dienstagmittag haben wir 9000 Kubikmeter Schutt aus dem Tal gebracht. Es ist beispielhaft, wie Bundesheer, Zivilbevölkerung, private Firmen und die Behörde an einem Strang ziehen und völlig unbürokratisch den Hilfseinsatz abwickeln. Wenn unsere Bagger gerade irgendwo vergeben sind, dann helfen die privaten Firmen mit schwerem Gerät aus."
Resignation
Bei der schwer geprüften Bevölkerung macht sich aber zunehmend Resignation breit. Johanna Stoiber: "Am Sonntag hatten wir noch Hoffnung, dass es vielleicht bald vorbei sein könnte. Aber von Tag zu Tag wird das Ausmaß extremer".
Die Erkenntnis, dass die Aufräumarbeiten noch Monate dauern könnten, trifft die Menschen, die bei Nachbarn und in Notunterkünften leben, ziemlich hart. Ihr einziger Trost: Das Bundesheer sei personell in der Lage, den Einsatz auch tatsächlich über Monate zu leisten, wie Oberst Gerhard Schweiger versichert.
Angst vor weiteren Muren
Die Lage in den obersteirischen Unwetter-Gebieten bleibt jedenfalls weiterhin angespannt. Vor allem in der Region um St. Lorenzen im Paltental können die für Dienstagnacht und Mittwoch prognostizierten, massiven Regenfälle weitere Muren auslösen. Der ausgerufene Katastrophen-Zustand bleibt deshalb aufrecht.
Am Mittwoch kommt es in der gesamten Steiermark wiederholt zu gewittrigen Regenschauern, die lokal große Regenmengen bringen werden. Die Höchstwerte pendeln sich zwischen 23 und 26 Grad ein. Auch der Donnerstag verläuft wechselhaft. In den Bergen muss mit Gewittern und Starkregen gerechnet werden.
Versicherung: Nicht alles ist gedeckt
Wer nur eine Haushaltsversicherung besitzt, bekommt bei Naturkatastrophen Probleme: Sie greift nur bei Schäden, die durch Sturm, Schneedruck oder Hagel entstehen, aber nicht bei Muren oder Hochwasser. "In diesen Fällen bleibt nur die öffentliche Hand", bedauert Wolfgang Reisinger, Leiter der Schadensabteilung der Wiener Städtischen.
Allerdings seien auch Folgen von Katastrophen extra versicherbar. "Aber bei vielen Kunden ist das Bewusstsein nicht dafür da." Generell seien die Schadensfälle gestiegen: "Heuer haben wir im ersten Halbjahr bereits so viel ausgegeben wie im gesamten Vorjahr", betont Reisinger.
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Hintergrund
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