Überlebenskampf in Moldawien

Ion ist ein vielseitiger Mann. Er kann Häuser bauen, Autos reparieren, Schweine schlachten, Getreide anbauen, Schnaps brennen. Vielseitig muss er auch sein, damit seine Familie nicht hungern muss.
Im kleinen Dorf im Süden Moldawiens, in dem Ion mit seiner Frau und den beiden Söhnen lebt, sind Arbeitsplätze und Geld Mangelware. Das Fischereikombinat am nahen See, das in der Sowjet-Zeit den Lebensunterhalt für den Großteil der Bevölkerung der Dörfer in der Umgebung sicherte, ist aufgelöst. Fisch- und Konservenfabrik sind nur noch Industrieruinen. Die Fahrwege sind von tiefen Löchern übersät. Pferdefuhrwerke mühen sich auf den kaputten Straßen dahin. Manchmal braust aber auch ein schicker BMW durch das Dorf und schreckt die Enten und Gänse am Straßenrand auf. "Solche Autos können sich nur jene leisten, die im Ausland waren", sagt Ion, "oder Schmuggler und Korrupte", fügt er dann noch hinzu. Denn durch Arbeit in Moldawien komme man nicht zu Geld, weiß er aus eigener Erfahrung.
50 Euro Monatslohn
Moldawien gilt als das ärmste Land Europas. "Wir haben offiziell zwar nur eine Arbeitslosenrate von sechs Prozent", sagt der moldawische Gewerkschafter Ion Cucu "aber die Mindestlöhne sind extrem niedrig – für Lehrer 50 Euro im Monat, für Ärzte 65 Euro. Besser verdienen Arbeiter in der Industrie mit 100 Euro."
Moldawien befinde sich immer noch in einer Umbruchphase von der Sowjetzeit in eine Marktwirtschaft, meint Cucu. "Die alten kommunistischen Industrien wurden aufgelöst, die Maschinen gingen zurück nach Russland. Die Wirtschaft wurde in viele kleine Teile zerrissen, Privatunternehmen gibt es kaum."
Ion indessen arbeitet genug – nicht nur auf seinem Feld, auch in der Fabrik. Doch die hat ihm seit November keinen Lohn mehr bezahlt. Aufhören will er dort trotzdem nicht. "Solange ich arbeite, habe ich eine Chance, doch noch Geld zu bekommen", hofft er.
Kein Wunder, dass viele Jugendliche dem Land den Rücken kehren und ihr Glück im Ausland suchen. Auch Ion hat Verwandte, die in die EU gegangen sind. Wenn sie Geld schicken, kann er sich ein bisschen Luxus leisten: neue Kochtöpfe.
Trotz der tristen Situation in seiner Heimatgemeinde wälzt Ion Pläne: Weizen oder Mais in größerem Stil anbauen, ist eine Idee. Dazu müsste er sich mit anderen kleinen Landwirten zusammentun und sie müssten gemeinsam eine Erntemaschine kaufen. Ob das realistisch ist? "Ich weiß es nicht. Das Geld für die Maschine haben wir jedenfalls nicht", sagt er traurig.
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