Türken schreiben EU-Beitritt ab

Die türkische Flagge und die Flagge der Europäischen Union wehen nebeneinander.
Nur noch 17 Prozent glauben laut einer Umfrage, dass das Land eines Tages in die EU aufgenommen wird. Das nationale Selbstbewusstsein nimmt zu.

Nur noch 17 Prozent der türkischen Wähler glauben nach einer neuen Umfrage daran, dass ihr Land eines Tages in die EU aufgenommen wird. Damit hat der Rückhalt für das Ziel eines Beitritts dort ein Rekord-Tief erreicht, wie Türkei-Forscher Faruk Sen der Nachrichtenagentur AFP in Istanbul sagte. Bevölkerung und Politik in der Türkei hätten die EU "abgeschrieben", betonte der ehemalige Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien.

Sens Türkisch-Deutsche Stiftung für Bildung und wissenschaftliche Forschung (Tavak) befragte für die Studie insgesamt 1.110 türkische Wähler in mehreren Landesteilen. Nur noch 15 Prozent der Türken erwarten demnach, dass ihr Land innerhalb der nächsten zehn Jahre in die EU aufgenommen wird; im vergangenen Jahr hatten noch 27,5 Prozent diese Hoffnung. Jeder dritte Befragte äußerte die Ansicht, dass eine EU-Mitgliedschaft der Türkei nichts Positives bringen werde.

Ohnehin habe sich in der Befragung gezeigt, dass viele Türken der EU sehr distanziert gegenüber stünden, sagte Sen. Fast vier von fünf Wählern sind angesichts der Finanzkrise in Europa und starker Wachstumsraten in der Türkei der Ansicht, dass ihr Land die EU wirtschaftlich nicht mehr braucht.

Begeisterung abgekühlt

Diese EU-Skepsis beruhe zum einen auf einem neuen Selbstbewusstsein der Türken, sagte Sen: "Die Türkei hat in den vergangenen zehn Jahren ein kumulatives Wirtschaftswachstum von 59 Prozent erzielt." Die ablehnende Haltung von EU-Staaten wie Frankreich und Deutschland gegenüber der türkischen Bewerbung habe ebenfalls zur Abkühlung der EU-Begeisterung im Land geführt. Zudem hätten die Krisen in EU-Ländern wie Griechenland, Spanien, Irland und Italien den Blick der Türken auf die EU verändert. Angesichts dieser Lage orientiere sich die Türkei auch in der Außenwirtschaft neu. So seien die türkischen Exporte nach Afrika stark gestiegen.

Die EU und die Türkei verhandeln seit 2005 über einen Beitritt, doch sind die Gespräche bisher nur sehr langsam vorangekommen. Die Türkei-Skepsis in einigen EU-Ländern sowie der ungelöste Zypern-Konflikt haben größere Fortschritte verhindert. Nach Ansicht der EU ist zudem die Reformbereitschaft der Türkei stark zurückgegangen.

Türkischer Schuldenwahn

Wie die deutsche Tageszeitung Welt berichtet, könnte der türkische Wirtschaftsboom in den nächsten Jahren allerdings einen Dämpfer erleiden. Verantwortlich dafür sind laut dem Bericht die Schulden der türkischen Haushalte, die seit 2002 um das 18-fache gestiegen sind. Dies sei auf die "aggressive Kreditvermarktung" der Banken zurückzuführen. Sollte die Türkei nicht auf die Schuldenbremse drücken, könnten auch am  Bosporus bald westliche Budget-Verhältnisse drohen, mutmaßt das Blatt.

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