Tabuthema Kindesmissbrauch

Tabuthema Kindesmissbrauch
Ulla Konrad plädiert für eine bundesweite Missbrauchskommission und erklärt, wie man mit Betroffenen umgehen soll.

Die Präsidentin des Berufsverbandes österreichischer PsychologInnen, Ulla Konrad, fordert eine bundesweit eingerichtete Kommission, die sich unter einem gemeinsamen Dach sowohl mit den Vorwürfen gegen die Kirche als auch gegen Kinderheime auseinandersetzt. "Missbrauch ist gesamtgesellschaftlich zu sehen. Das ist ein Tabuthema, es ist wichtig, darüber zu sprechen", sagt Konrad, die auch in der Heimkommission der Stadt Wien und in der Klasnic-Kommission tätig ist.

Re-Traumatisierung

Tabuthema Kindesmissbrauch

Die Vorwürfe rund um das Kinderheim im Schloss Wilhelminenberg haben eine breite Berichterstattung in den Medien nach sich gezogen. Die Thematisierung sei wichtig gewesen, sagt Konrad, "weil die Medien den Opfern eine Stimme gegeben haben". Durch die Berichte könnte es aber bei einigen Opfern auch zu einer Sekundär-Traumatisierung gekommen sein. Eine solche erneute Traumatisierung kann auch durch Erinnerungen an Gerüche, Ähnlichkeiten im Aussehen bestimmter Personen oder haptische Wahrnehmungen ausgelöst werden. Angstgefühle, Schlafstörungen - im schlimmsten Fall auch psychische Erkrankungen - können die Folge solcher Re-Traumatisierungen sein.

Beweise

Nach den von den Betroffenen erhobenen Vorwürfen wurde oft auch die Frage nach Beweisen für die Vergewaltigungen laut. Eine Beweisführung, wenn man so will, gibt es laut Ulla Konrad nicht; die Aussagen der Betroffenen würden einer "groben Überprüfung" unterzogen. Kontrolliert wird unter anderem, wann, wie lange und in welchen Heimen die Betroffenen untergebracht waren. Darauf folgen fachpsychologische Gespräche und Befragungen zum Erlebten. "Das, was passiert ist, muss möglichst präzise aufgenommen werden", erklärt Konrad. Das sollte unbedingt in die Hände von Experten gelegt werden: "Wenn Flashbacks auftreten, Dinge also wieder erinnert werden, müssen die Menschen auch wieder stabilisiert werden können", mahnt Konrad.

Die Erinnerungen eines Erwachsenen müssen auch nicht detailgetreu mit den Begebenheiten in der Kindheit übereinstimmen. Konrad: "Als Kind hat man eine andere Wahrnehmung, ein kindliches, magisches Denken." Im Alter von sechs Jahren könne ein Kind nicht einschätzen, was etwa bei einer Vergewaltigung vor sich geht. "Kinder haben dafür keine Worte." Die fehlen dann oft auch im Erwachsenenalter, Erinnerungen der Kindheit werden unbeabsichtigt vermischt.

Kritik an Opfer-Hotline der Wiener FPÖ

Der Klub der Wiener Freiheitlichen hat vor zwei Wochen eine eigene Hotline für ehemalige Heimkinder eingerichtet. "Opfer und Zeugen" werden gesucht.
"Das ist Geschäftemacherei mit den Betroffenen. Die gehören in Fachhände", sagt die Psychologin Ulla Konrad im Gespräch mit dem KURIER. Man dürfe aus dem Leid von Betroffenen kein politisches Kleingeld schlagen, kritisiert sie die FP-Initiative.

Ein Mitarbeiter des Wiener FP-Chefs Johann Gudenus nimmt die Anrufe bei der FP-Hotline entgegen. Es werden Informationen eingeholt. Man könne, wenn der Bedarf besteht, auch eine Psychologen einbinden, sagt der Klub-Mitarbeiter.
Gudenus verteidigt die Einrichtung der Hotline. "Es wurde und wird viel vertuscht, teilweise ist auch heute noch Missbrauch vorhanden." Das wolle die FP aufdecken. Ihm gehe es nicht um parteipolitisches Interesse, sagt Gudenus, sondern darum, "dass auch die Täter gefasst werden". Im Mittelpunkt stünde aber das "Wohl der Opfer".

Ulla Konrad rät Betroffenen dennoch, die seit langem bestehende Opfer-Hotline des Weissen Rings (01/4000-85918) zu kontaktieren. Dort sei professionelle Hilfe für ehemalige Heimkinder gewährleistet.

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