Streitgespräch: Leistungsmythos & Sündenböcke

Streitgespräch: Leistungsmythos & Sündenböcke
Ein Jahr Integrations-Staatssekretariat: Sebastian Kurz debattiert mit Polit-Gegnern über Hol- und Bringschuld sowie "böse Kinder".

Vor einem Jahr wurde das Staatssekretariat für Integration geschaffen. Sebastian Kurz wurde mit 24 Jahren Regierungsmitglied. Für den KURIER diskutiert er mit der Grünen Abgeordneten Alev Korun (sie ist gebürtige Türkin) und mit FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky.

KURIER: Hat Sebastian Kurz als Integrations-Staatssekretär Fehler gemacht?

Alev Korun: Es ist gut, dass es das Staatssekretariat gibt. Der große Fehler ist aber, einem falschen Leistungsmythos anzuhängen.

Sebastian Kurz: Was ist ein Leistungsmythos?

Korun: Wenn man so tut, als wäre Leistung gleich Leistung. Ich bekomme viele Mails von jungen Leuten, die eine gute Ausbildung haben und 300 Bewerbungen abschicken, aber zu keinem Vorstellungsgespräch eingeladen werden – weil sie Aysche oder Dragan heißen.

Kurz: Wieso soll das ein Leistungsmythos sein, wenn man das Ziel hat, dass jeder Leistung erbringen kann in Österreich?

Korun: Warum thematisieren Sie das einseitig und nur bei eingewanderten Menschen?

Kurz: Entschuldigung, dass ich Integrations-Staatssekretär bin.

Harald Vilimsky: Der Staatssekretär ist in sehr jungen Jahren in diese Funktion hineingeschlittert. Ich hätte ihm nicht zugetraut, dass er das bis heute übersteht.

Kurz: Das klingt so, als würden Sie sagen: Für eine Frau eh ganz gut. Ich habe ja ein Glück, dass ich nur jung bin und nicht eine Frau. Sonst wär’s doppelt schwer.

Vilimsky: Seien Sie nicht so sensibel. Sie haben viele PR-Botschaften eingebracht, aber wenig bis keine Inhalte. Außerdem bin ich überzeugt, dass ein Integrations-Staatssekretariat nicht notwendig wäre. Wenn man bei der Regierung einsparen möchte, dann bitte hier.

Herr Staatssekretär, auch an Sie die Frage: Haben Sie Fehler gemacht?

Kurz: Jeder Mensch macht täglich Dinge richtig und täglich Dinge falsch. Was gut gelungen ist, ist, die Diskussion zu versachlichen.

Anders gefragt: Würden Sie etwas anders machen?

Kurz: Man kann bei dem Thema gar nicht energisch genug sein. Am Anfang war ich noch nicht so energisch wie jetzt.

Streitgespräch: Leistungsmythos & Sündenböcke

Was bringt das Staatssekretariat?

Kurz: Wir haben einen völlig neuen politischen Zugang entwickelt – abseits von dem, was wir in Österreich seit Jahrzehnten gehabt haben: nämlich Hetze auf der einen Seite und eine gewisse Laissez-faire-Politik auf der anderen Seite, wonach Integration ganz von allein funktionieren soll, wenn wir nur alle miteinander ein bisschen toleranter sind. Unser Zugang ist: Integration durch Leistung.

Korun: Mit dem Leistungsmythos tun Sie so, als hätten wir Chancengleichheit. Wenn das so wäre, hätten wir nicht überproportional viele Migrantenkinder in Sonderschulen. Der Ansatz muss sein: Integration durch Chancengleichheit und gegenseitigen Respekt.

Vilimsky: Für uns ist Integration die Bringschuld von Zuwanderern. Wer zu uns kommt und hier leben will, muss Interesse haben, selbstständig Deutsch zu lernen. Da braucht man nicht mit Millionen hinterherrennen und sagen: Bitte, bitte integriert euch doch.

Kurz: Bringschuld, Holschuld – das ist eine alte Debatte. Bei unserem Motto "Integration durch Leistung" geht es um drei Bereiche: Leistung einzufordern, Leistung anzuerkennen, Leistung zu ermöglichen. Das schafft man durch fordern und fördern.

Korun: Es wird so getan, als wären nur unqualifizierte Zuwanderer gekommen. Es sind viele Qualifizierte dabei, nur dass es sehr schwierig ist, dass ihre Diplome anerkannt werden.

Kurz: Da haben wir etwas getan.

Korun: Das ist positiv. Damit setzen Sie übrigens eine Forderung der Grünen um. Offensichtlich ist es doch nicht naive Träumerei.

Vilimsky: Ich finde dieses grün-schwarze Techtelmechtel recht interessant, wenn sich der ÖVP-Staatssekretär lobt, dass er die grünen Forderungen umsetzt. Frau Korun, Sie dürfen bei all ihrem Faible für Zuwanderung eines nicht vergessen: Es gibt eine Verzweiflung in vielen Bereichen der österreichischen Gesellschaft. Sie haben in vielen Schulen 80, 90 Prozent Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache sitzen. Und dazu noch das Thema Asyl. Sie sehen das auch als Zuwanderungsinstrument.

Korun: Sie hauen von Schule bis Asyl alles zusammen. Wir müssen von einer Sündenbockpolitik wegkommen. Ich bin Mutter eines solchen bösen Kindes mit nicht-deutscher Muttersprache. Meine Tochter spricht zwei Sprachen, in ihrem Kindergarten sind die meisten Kinder mehrsprachig. Eigentlich ist das ein Reichtum, den wir nützen sollten.

Glauben Sie auch, dass die Österreicher verzweifelt sind, Herr Staatssekretär?

Kurz: Natürlich gibt es Probleme. Nicht jeder, der solche Probleme anspricht, ist ein Ausländerfeind. Im Schulbereich gibt es große Herausforderungen, auch am Arbeitsmarkt.Wir haben in den letzten Jahrzehnten auch viele Staatsbürgerschaften leichtfertig vergeben und haben daher viele Menschen, die zwar auf dem Papier Staatsbürger sind, sich aber im Herzen nicht als Österreicher fühlen. Da gibt es sehr viel an Aufholbedarf. Darum gibt es auch das Staatssekretariat.

Korun: 40 Jahre wurde so getan, als würden, die ehemaligen Gastarbeiter zurückgehen. Herr Kurz behauptet, die Linken hätten so getan, als würde Integration automatisch funktionieren. Eigentlich waren es SPÖ und ÖVP, die lange so getan haben, als müsste man überhaupt nichts tun – und die Leute würden sich irgendwann in Luft auflösen.

Vilimsky: Ich war vor ein paar Monaten mit dem Herrn Staatssekretär am Yppenplatz. Da hat er gesagt: Er schätzt diese Umgebung, das sei ein multikultureller Platz geworden. Das sehe ich nicht so. Der ursprüngliche Charakter dieses Platzes, dieses Bezirkes, wurde ausradiert. Da gibt es nur mehr arabische und türkische Lokale und Geschäfte, aber keinen Wiener Wirt. Integrieren kann sich nur eine Minderheit in eine Mehrheit. Leider ist es da und dort schon umgekehrt.

Korun: Um die Jahrhundertwende war in Wien mehr als die Hälfte der Bevölkerung zugewandert. Sie heißen selber Vilimsky, ich heiße Korun. Wir haben Caps und Buseks und Vranitzkys und Klestils. Das ist Österreich.

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

  • Hintergrund

Kommentare