So sieht die Polizei Verbrechen voraus

Ein Mann betrachtet einen Bildschirm mit Live-Aufnahmen von Überwachungskameras in Albany, New York.
Mit Überwachungssystemen und Analyseprogrammen sollen Verbrechen vereitelt werden, bevor sie passieren.

Autos, die automatisch mit Kameras durch die ganze Stadt verfolgt werden, Echtzeit-Anzeigen von Gefahren und Prognosen, wann und wo die nächsten Verbrechen passieren. Was wie eine Vision aus Science-Fiction-Filmen klingt, ist bereits in New York, London und Wien Realität.

Seit dieser Woche ist in New York das "Domain Awareness System" aktiv, das Microsoft entwickelt hat. Hinter den Bildschirmen, die Landkarten und Live-Videos zeigen, steckt ein Datensammler. Das System führt Videos der 3000 Überwachungskameras auf New Yorks Straßen mit Informationen von 600 Strahlungsmessstationen sowie über 100 Kennzeichen-Lesegeräten auf Polizeiwagen und Brücken zusammen. Bombenanschläge sollen verhindert werden, indem automatisch Alarm geschlagen wird, wenn ein verdächtiges Paket vor dem Eingang eines Gebäudes zurückgelassen wird.

Vorhersage

Eine Straßenkarte mit eingezeichneten Routen und grünen Markierungen.

Neben der totalen Überwachung setzen andere Städte auf "Predictive Policing", also die vorausschauende Polizeiarbeit. IBM ist einer der Anbieter solcher Systeme. Die Daten von begangenen Ver­brechen werden mit Faktoren kombiniert, wie etwa dem Wetterbericht und der Jahreszeit. Das Ergebnis ist eine Wahrscheinlichkeitsrechnung für zukünftige Verbrechen. Die Systeme von IBM sind in den USA, London und Polen im Einsatz. In der US-Stadt Memphis sind die Verbrechen um 30 Prozent zurückgegangen.

So gut das auch klingt, ein Orakel, das wie im Film "Minority Report" erkennt, wann und wo ein Mord stattfinden wird, ist es nicht. Das Programm wurde ent­wickelt, um Einsatzpläne zu optimieren. "Man schickt die Beamten in der Gegend auf Streife, in der die Wahrscheinlichkeit für Ver­brechen am höchsten ist", sagt Michael Schramm von IBM.

Auch kann nicht jede Art von Verbrechen prophezeit werden. Einbrüche und Diebstähle können gut vorhergesagt werden, bei Morden ist es kaum möglich. Außerdem funktionieren die Systeme in Städten gut, für ländliche Gebiete sind die Prognosen weniger genau.

Österreich

"Viele der Programme sind für den anglo­amerikanischen Raum ausgelegt und nicht für Europa", sagt Paul Marouschek, Abteilungsleiter der Kriminalanalyse im Bundeskriminalamt. Anstatt deshalb auf solche Systeme zu verzichten, wurden eigene entwickelt.

In Zusammenarbeit mit Joanneum Research Graz hat die heimische Polizei ein Programm entwickelt, das die Trends für die nächsten Monate berechnet. So ist es möglich, anzeigen zu lassen, in welchem Gebiet die Taschendiebstähle um eine bestimmte Zahl steigen werden. Die Daten dafür kommen vom Sicherheitsmonitor, dem zentralen Daten­analysesystem der Polizei, und sind dadurch immer aktuell. Ähnlich wie bei IBM fließen saisonale Faktoren mit ein – wie Feiertage oder Ferien.

In einem aktuellen Projekt wird das Modell um "Kriminogene Faktoren" erweitert. Wird etwa ein Einkaufs­zentrum errichtet, steigt die Chance auf Taschendiebstähle. Hat es eine Tief­garage, gibt es mehr Autoeinbrüche. Bekommt es eine Autobahnabfahrt, könnten in der Umgebung Haus­einbrüche zunehmen: "Die Einbrecher wollen ja nach der Tat möglichst schnell weg", sagt Marouschek.

Bereits in Verwendung ist das "Grazer Tatzeitmodell". Anhand von Daten vergangener Einbrüche wird berechnet, zu welcher Uhrzeit die Täter bevorzugt zuschlagen. Auf einer Karte können die beliebtesten Einbruchsgebiete dargestellt werden. So ist es möglich, Streifen gezielter einzusetzen.

Wie sich das Modell auswirkt, ist aber nicht bekannt: "Man kann nicht sagen, wie viele Verbrechen durch Polizeipräsenz verhindert wurden", sagt Marouschek. Denn ein Verbrechen, das nicht passiert ist, können die Systeme nicht erfassen.

Computerprogramm als Detektiv

Ein Serverraum mit blau beleuchteten Racks voller Computer.

Unvorstellbare 2,5 Milliarden Gigabyte an Daten fallen derzeit täglich in unserer von Computern und Handys beherrschten Welt an – Tendenz stark steigend. Jede Minute werden mehr als 200 Millionen eMails versendet, 48 Stunden an YouTube-Videos hochgeladen und auf Facebook knapp 700.000 Beiträge verfasst.

Wertvoller Fundus

Experten sind sich einig, dass diese Datenmengen – im Fachjargon "Big Data" genannt – eine wahre Fundgrube bedeuten. Während Unternehmen durch die computergestützte Analyse der Daten Rückschlüsse auf die Kaufgewohnheiten ihrer Kunden ziehen können, soll die Auswertung künftig auch von Behörden zur Kriminalitätsbekämpfung oder für die Stadtplanung eingesetzt werden.

Als größte Herausforderung neben der schieren Datenmenge gilt, dass die im Internet anfallenden Daten meist unsortiert und ohne Zusammenhang sind. Mächtige Computer-Programme und Rechenzentren müssen aus den Milliarden Facebook-Beiträgen und Kommentaren in Webforen die brauchbaren Informationen herausfiltern und in Datenbanken zusammenführen. Erst dann können sie sinnvoll ausgewertet werden.

US-Regierung

Wie wichtig die Analyse dieser riesigen Datenberge ist, hat zuletzt auch die Obama-Administration erkannt. Das Weiße Haus hat im Frühling ein 200 Millionen US-Dollar schweres Forschungs- und Entwicklungsprogramm zum Thema "Big Data" gestartet. Neben Fortschritten in der Biomedizin und im Bildungswesen sollen die Erkenntnisse vor allem die nationale Sicherheit stärken.

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