Richter: Fall Kercher bleibt ungelöst

Nach dem Prozess gegen Knox und Sollecito spricht ein zuständiger Richter von zwei Wahrheiten und bedauert das Fehlen von Beweisen.

Freudentränen bei den Freigesprochenen, Entsetzen bei den Angehörigen des Opfers und Buh-Rufe vor dem Gerichtsgebäude - So hatte der Mordprozess gegen die US-Studentin Amanda Knox und ihren Ex-Freund Raffaele Sollecito in Perugia geendet. Der Präsident des Schwurgerichts von Perugia, Claudio Pratillo Hellmann, glaubt nicht, dass jemals Klarheit um die Todesumstände der britischen Austauschstudentin Meredith Kercher herrschen wird. "Wir können nicht ohne Beweise verurteilen", sagte Pratillo Hellmann im Interview mit der Turiner Tageszeitung La Stampa.

"Amanda und Raffaele könnten auch für Merediths Tod verantwortlich sein, aber es gibt keine Beweise. Jene, die beim Prozess überprüft worden sind, wurden als unzulänglich bewertet, um die beiden Angeklagten zu verurteilen", meinte der Präsident des Schwurgerichts, das Knox am Montagabend freigesprochen hat.

"Nicht die reale Wahrheit"

" Amanda und Raffaele sind freigesprochen worden, doch das ist die Wahrheit, die aus dem Prozess hervorgegangen ist, nicht die reale Wahrheit, die auch anders sein könnte", sagte der Richter. Er wies aber den Verdacht zurück, dass das Schwurgericht vom riesigen medialen Interesse um den Prozess beeinflusst worden sei.

Der Vater von Amanda Knox, Kurt Knox, erhob schwere Vorwürfe gegen die Justiz in Italien. Seine Tochter sei von der Polizei misshandelt worden. "Amanda ist noch nie so verängstigt gewesen wie während des Verhörs durch die italienische Polizei. Sie ist geschlagen worden. Die Polizei wollte sie terrorisieren. Die Polizei hatte einen enormen Druck auf sich lasten, man wollte um jeden Preis einen Schuldigen finden. Und Amanda war die richtige Person für ihre Theorie", so Kurt Knox laut italienischen Medien. Der Prozess habe die Familie Millionen von Dollar gekostet. "Uns droht der Verlust unseres Hauses", berichtete Knox. Doch wichtig sei jetzt der Freispruch seiner Tochter, die sich nun nach vierjähriger Gefangenschaft erholen müsse. Amanda soll demnächst von einem Psychologen betreut werden.

Guede will nicht "als einziger für diesen Fall zahlen"

Nach dem Freispruch von Knox und Sollecito will der einzige Verurteilte im Mordfall der Austauschstudentin Meredith Kercher, der gebürtige Ivorer Rudy Guede, einen Antrag auf Wiederaufnahme des Prozesses stellen. "Wenn die beiden unschuldig sind, bin ich es auch. Ich möchte wissen, warum ich als einziger für diesen Fall zahlen muss", sagte Guede laut italienischen Medien. Der Freispruch von Knox und Sollecito habe ihn zutiefst erschüttert. "Nicht einmal, als ich selber verurteilt worden bin, habe ich mich so schlecht gefühlt", so Guede.

Der 25-jährige Guede, der als Adoptivsohn eines italienischen Paares seit seinem sechsten Lebensjahr in der mittelitalienischen Stadt Perugia gelebt hatte, war am 28. Oktober 2008 nach einem Schnellverfahren zu 30 Jahren Haft wegen Mordes an Meredith Kercher verurteilt worden. Nach der Berufung wurde das Strafmaß auf 16 Jahre reduziert. Die Richter urteilten, dass er mit Komplizen die junge Britin bei einem entarteten Sexspiel mit Dutzenden Messerstichen ermordet habe. Nach dem Freispruch von Knox und Sollecito müsse der Fall wieder aufgerollt werden, verlangen jetzt Guedes Verteidiger.

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

  • Hintergrund

Kommentare