Reportage aus den Redaktionen Weißrusslands

Das Porträt des Präsidenten hängt über seinem Schreibtisch. Die Auszeichnungen auf der Theke neben dem Besprechungstisch tragen die Insignien der Staatsmacht. Anatolij Lemeshenok ist Chefredakteur, stolzer Herr über die Zeitung Respublika. Leiter des Sprachrohrs des Ministerrates. Gäste empfängt er offen herzlich. Als Kollegen.
Nur wenn er meint, dass
Wien eine sehr schöne Stadt ist, klingt Wehmut durch. "Ist es fair?", fragt er. Denn zumindest derzeit darf er dort nicht hinreisen. Sein Name steht auf der Liste jener Personen, die die EU mit einem Einreiseverbot belegt hat. Der Grund: Anatolij Lemeshenok, der vor der Pensionierung stehende Herr, der sich als "liberaler Demokrat" bezeichnet, leitet ein Staatsmedium in einem Polizeistaat.
Seinen Arbeitsauftrag versteht er so : "Die Tätigkeit der Regierung soll gezeigt werden - so, wie sie ist." Um gleich darauf zu sagen, dass er sich mehr Konkurrenz vonseiten nicht staatlicher Medien wünsche. Und nicht, wie er es nennt, dauernd "agitative Fehlinformation" oder "grobe Beleidigungen", wie sie üblich seien bei oppositionellen Blättern.
"Basis der demokratischen Reformen"
Lemeshenok ist überzeugt davon, das Richtige zu tun. Er spricht mit Nachdruck, klopft mit der flachen Hand auf den polierten Tisch, wenn er einen Punkt setzt. Er ist stolz darauf, Journalist zu sein. Stolz darauf, mit seiner 60.000 Stück starken Auflage seinen Beitrag zu leisten.
In einem Zimmerchen in einem Büroturm nicht weit vom Haus der Presse entfernt, in dem die Respublika ihre Redaktion hat, stehen drei Computer. Auch hier leistet man nach den Worten von Chefredakteur
Alexei Korol einen Beitrag. Auch hier ist man stolz darauf. Es ist die Redaktion von Novi Chas , Neue Zeit. Eine Zeitung mit einer Auflage von 7000 Stück, die es an keinem Kiosk in Weißrussland zu kaufen gibt.
"Wir sind die Basis der demokratischen Reformen", sagt Korol, ein älterer Herr. Novi Chas ist die international ausgezeichnete Speerspitze unabhängiger Medien in Weißrussland. Auch wenn man sich manchmal gerne in Beschimpfungen ergehen würde, sagt ein Redakteur, verzichte man darauf. Andere Zeitungen sind schärfer und härter in ihrem Ton, plakativer in ihrer Kritik - und bekommen das auch entsprechend härter zu spüren. Offene Drohungen gab es dennoch zur Genüge auch gegen Novi Chas . Und mit der Finanzierung eines solchen Blattes ist es so eine Sache. Letztlich lebt die Zeitung von der Hand im Mund - vom Geld irgendwelcher Förderer. Ein täglicher Überlebenskampf im Wissen, von den Obrigkeiten bestenfalls geduldet zu sein. "Agitation", so Alexei Korol, die würden staatliche Medien betreiben, nicht die unabhängigen.
Ein Jahr danach
Im Haus der Presse, in seinem Büro mit dem Präsidenten über dem Schreibtisch, holt Anatolij Lemeshenok weiter aus. Es sei schon okay, dass die nicht staatlichen Zeitungen Kritik übten. "Aber unsere Opposition und unsere Zeitungen tun das zu grob." Auch er persönlich wurde wegen der Berichterstattung seiner Zeitung zum Ziel von Kritikern. Einen Kampf zwischen Zeitungen oder Journalisten, den gebe es aber nicht, so sagt er: "Wir sind zu unterschiedlich, um irgendwelche Konflikte zu haben."
Das ist heute so. Ein Jahr nach den Präsidentschaftswahlen, den Protesten und der Niederschlagung derselben. Ein Jahr mit Razzien bei Menschenrechtsgruppen und Medien, mit vielen Verhaftungen. Seither ist alles anders. Es hänge eben davon ab, wie lange man sich kenne, ob jemand über Politik schreibe oder nicht. "Mit solchen, die Propagandafilme drehen, will niemand etwas zu tun haben", sagt Alexei Korol. Und jene Journalisten bei staatlichen Medien, die noch etwas Gewissen hätten, würden nicht über Politik schreiben.
Mächtiges Internet
Internet-affine Weißrussen sagen: "Jene Leute, die im Internet unterwegs sind, die hat die Staatsmacht ohnehin schon verloren." Schauplatzwechsel. Auf mehreren Hundert Quadratmetern in einem Büroturm in Minsk hat sich das Internetportal tut.by einquartiert. Es ist ein Büro, das man genau so auch in London, Los Angeles, Wien oder Singapur finden könnte. Die Internetplattform, die auch einen Nachrichtenteil unterhält, sieht sich als weißrussisches
yahoo und erreicht rund ein Drittel der Bevölkerung. Das sind so gut wie alle Internetnutzer des Landes. Mit dem Nachrichtenteil und selbst produzierten Beiträgen für das eigene Internet-Fernsehen ist die Plattform das einzig unabhängige Massenmedium des Landes.
Auch hier ist es eine Gratwanderung zwischen Kritik und Zugeständnissen. "Wir versuchen, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen", sagt eine Sprecherin. Der alltägliche Spagat zwischen Unabhängigkeit und Zugeständnissen an einen paranoiden Staatsapparat. Vor den
Präsidentenwahlen vor einem Jahr etwa war die Plattform das einzige Massenmedium, das Debatten zwischen den Kandidaten sendete. Und auch nach der Niederschlagung der Proteste nach der Wahl und bis heute gibt es dort Interviews mit kritischen Politologen oder Oppositionellen. "Wir sind wohl einfach zu groß, um uns abzudrehen", meint die Sprecherin.
Anatolij Lemeshenok steht derweil nach anderem der Sinn. Er bereitet sich auf die Pension vor. Plan A waren Reisen in den Westen. Wien vielleicht. Plan B kommt jetzt zum Tragen: Er will sich auf seine Datscha zurückziehen. Ein Buch schreiben. Einen Roman. Fiction - nicht Fakten.
Medien: Information in Staatshand
Staatsmedien Alle klassischen Massenmedien sind in der Hand des Staates. Dazu zählen die vier staatlichen TV-Kanäle, zahlreiche Zeitungen und Radiostationen. In den vergangenen Jahren weitete der Staat seine Kontrolle auch zunehmend auf das Internet aus. "Reporter ohne Grenzen" stuft
Weißrussland in Sachen Medienfreiheit auf den weltweit 151. von 175 Plätzen ein.
Andere Nachrichtenquellen Russisches TV ist im gesamten Staatsgebiet empfangbar. Ebenso der Satellitensender Belsat, der wie einige freie Radiostationen von Polen aus sendet, aber geringe Reichweite hat. Unabhängige Printmedien stehen unter scharfer Kontrolle und sind an Kiosks kaum erhältlich. Das Internet ist die wichtigste alternative Nachrichtenquelle.
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