Putins Gegner trotzten dem Frost

Es ist ein Tag, an dem man eigentlich besser in geheizten Räumen bleibt – mit minus 20 Grad. Dennoch steht über der Poljanka-Straße in Moskau der Dampf Tausender atmender Menschen. Sie steigen von einem Bein aufs andere, wärmen sich an heißen Plastikbechern, verbergen ihre Gesichter hinter dicken Schals. Nationalisten, Liberale, Linke, Gay-Aktivisten und sogar eine Gruppe Buddhisten, Alte und Junge, mit weißen Protestbändern, gelb-schwarzen und roten Fahnen: Russlands Opposition hat genau einen Monat vor der Präsidentenwahl zum Protest „Für saubere Wahlen“ aufgerufen.
Und die Polizei hat vorgesorgt. Die Straße ist abgesperrt. Wer protestieren will, muss durch eine Schleuse mit Metalldetektoren. Betont freundliche Polizisten durchsuchen dort jede Tasche. Das gehört zum Spiel. „Wegen der Sicherheit“, sagt ein junger Mann in einer dicken Jacke: „Sie wollen halt zeigen, dass noch immer sie das Sagen haben.“ Er verschwindet in einer abgegrenzt dastehenden Gruppe von rund dreißig Ultranationalisten. Mehrere Hundert werden es an diesem Tag.
Zehn Jahre Kälte
Bei denen mit den roten Fahnen, gleich daneben steht ein Bursche, der sich Sasha nennt. Seine Stimme ist kaum zu verstehen unter dem Schal, sein Gesicht unter der Kapuze kaum zu erkennen: „Kalt ist es seit zehn Jahren“, sagt er in Anspielung auf die Ära Putin. Da mache es wenig aus, „dass wir uns auch heute den Arsch abfrieren“.
Ein Raunen geht durch die Menge, wenn sich bekannte Größen der Anti-Putin-Bewegung durch die Massen drängen: Das liberale Urgestein Grigorij Jawlinski, der immer wieder als Rechtsextremist bezeichnete Blogger und Anti-Korruptions-Aktivist Alexei Nawalny. Michail Prochorow, der einzige zur Präsidentenwahl am 4. März zugelassene Oppositionspolitiker, den manche als Kandidat des Kreml bezeichnen.
Es ist ein schweigender Marsch Zehntausender in Richtung Kreml, vorbei an bereitstehenden Gruppen unbewaffneter Polizisten. Ein frostiger Spaziergang, der schon an Routine gewonnen hat. Es ist der dritte dieser Art seit Dezember. Die Route ist vorbestimmt und führt erstmals durch das Zentrum. Bis zum roten Palast der Macht kommt der Zug aber auch diesmal nicht. Am Ufer der Moskwa in einem Park gegenüber dem Kreml ist Schluss. Die Brücke auf die andere Seite blockieren breitbeinig dastehende Polizisten.
Dicht gedrängt warten die Gegner der Regierung auf die angekündigten Redner. Ein Mann mit frostgeröteter Nase meint: „Die prügeln sich hinter der Bühne wahrscheinlich gerade darum, wer als Erster reden darf.“
Am Nachmittag beginnt der Streit, welche Demonstration größer war – die der Putin-Anhänger, zu der laut Polizei fast 140.000 Menschen kamen. Viele meinen, nicht alle freiwillig. Oder die der Opposition, die 120.000 Teilnehmer reklamierte.
Nachgefragt: „Es gibt keine Führungsfigur“

Mit Gerhard Mangott , dem Russland-Experten von der Universität Innsbruck, sprach der KURIER über ...
... den Einfluss der Protestbewegung Bisher hat sie es nur geschafft, sich darauf zu einigen, wogegen sie auftritt; ein Konsens, wofür sie eintritt, ist nur rudimentär vorhanden. Was sie eint, ist, dem aus gefälschten Wahlen hervorgegangenen Parlament die Legitimität zu verweigern – und die Position, dass Putin bei den Präsidentschaftswahlen nicht mehr antreten soll. Sie hat aber kein Programm, keine gemeinsame Position und ist innerlich zerstritten. Letztlich herrscht auch Uneinigkeit darüber, wie man mit den stark vertretenen Nationalisten umgehen soll. Das Problem ist: Die Nationalisten haben charismatische Führer – etwa Alexei Nawalny, der ihnen durchaus nahesteht. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich Intellektuelle und Künstler in separaten Verbänden organisiert haben.
... zu viel Pluralismus In der ersten Phase ist es sicher ausreichend, sich auf ein negatives Ziel zu einigen. Die Leute, die in Moskau auf die Straße gehen, also die gebildete Mittelschicht, verlangen aber Positionen. Die wollen wissen: Wofür stehen wir? Die Opposition ist aber vor allem bemüht, ihre inneren Risse zu verbergen – während die Regierung darauf abzielt, genau diese Risse sichtbar zu machen. Für einen „Moskauer Frühling“ braucht es eine Führungsfigur. Die gibt es aber nicht.
... Risse im Regime Die sind zweifellos vorhanden. Es gibt Dissonanzen zwischen Noch-Präsident Medwedew und seinem vermutlichen Nachfolger Putin. Und selbst innerhalb Putins Lager: Ob man auf die Opposition zugehen oder hart gegen sie vorgehen soll. Das schadet Putins Autorität. Es gibt auch Debatten über die Frage einer Stichwahl. Da gibt es Rufe, das müsse unbedingt verhindert werden. Aber auch die, die meinen, sie würde Putin stärken, weil die Wahlen dann glaubwürdiger sind. Ich glaube, es ist für Putin nicht nur wichtig zu gewinnen. Wichtig ist für ihn, eine Wahl zu gewinnen, die auch Anerkennung findet.
... das Risiko einer Eskalation Das halte ich vor den Wahlen für unwahrscheinlich. Ich schließe aus, dass die Sicherheitskräfte jetzt gegen genehmigte Proteste vorgehen werden. Das wäre eine suizidale Strategie und würde nur noch mehr Menschen auf die Straße bringen. Es deutet auch nichts darauf hin. Putin hat sich zu Gesprächen mit Oppositionellen bereit erklärt und aufgehört, sie durch Beleidigungen zu brüskieren. Was nach den Wahlen passieren wird, ist aber schwer zu sagen. Da ist das Risiko sicher größer.
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