Proteste könnten Putin entgleiten

Ein Mann wird von Polizisten abgeführt und scheint sich zu wehren.
Die Macht hat das Vertrauen der Bevölkerung verloren und läuft Gefahr, die Kontrolle über das Land zu verlieren, so eine Studie.

Am Wochenende hat "Einiges Russland" – die Hausmacht von Präsident Wladimir Putin – auf einem Sonderparteitag Regierungschef Dmitri Medwedew zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt. Er soll den ramponierten Ruf der Regierungspartei aufpolieren und dafür sorgen, dass die knappe Mehrheit, über die die "Einheitsrussen" seit den vergangenen Parlamentswahlen im Dezember in der Duma verfügen, nicht schrumpft.

Leicht dürfte das allerdings nicht werden. Unmittelbar vor dem Parteitag hatte das der russischen Regierung unterstehende Zentrum für Strategische Studien in einem Gutachten gewarnt, die politische Krise in Russland sei zu voller Größe aufgelaufen und unumkehrbar.

Die Regierung habe das Vertrauen der Massen verloren und laufe Gefahr, die Kontrolle über das Land zu verlieren. Zwar hätten sich die Zustimmungsraten für Putin und sein "Einiges Russland" im Wahlkampf verbessert, doch das läge vor allem daran, dass die Masse bisher keine glaubwürdige Alternative zu Putin sehen würde.

Misstrauen in der Protestbewegung

Proteste könnten Putin entgleiten

Dem Gutachten liegen zwei repräsentative Umfragen von Ende April und Anfang Mai zugrunde. In Auftrag gegeben hatte sie Ex-Finanzminister Alexei Kudrin. Dieser ist als persönlicher Freund Putins auch ohne öffentliches Amt nach wie vor sehr einflussreich. Auf dem Höhepunkt der Proteste im Winter gründete er das "Komitee zur Unterstützung von Initiativen der Zivilgesellschaft", um den Dialog zwischen Macht und dem pragmatischen Flügel der Protestbewegung anzuschieben. Dazu gehören vor allem ehemalige Spitzenbeamte wie Kudrin selbst. Zumindest die Basis der Protestbewegung misstraut ihnen.

Sehr kritisch, so die Autoren der Studie, würden die Regierungskritiker inzwischen aber auch die – spontan zu Oppositionsführern aufgestiegenen – Ikonen virtueller Netzwerke sehen, etwa der Blogger Nawalny. Sie hätten aus Sicht der Basis durch taktische Fehler die historische Chance auf eine samtene Revolution vergeigt.

Verlagerung in die Provinz

Die Proteste würden laut der Studie im Sommer zwar abflauen, allerdings sollen sie laut Prognosen im Herbst erneut anschwellen. Dann nämlich sollen die Tarife für Strom und andere Wohnnebenkosten steigen und weitere Leistungen in Bildungs- und Gesundheitswesen kostenpflichtig werden. Das Zentrum der Protestbewegung, glauben die Forscher, werde sich dann jedoch von Moskau in die Regionen verschieben. Aus der Provinz würden auch die neuen Anführer kommen, mit denen die Proteste den Quantensprung von einer Minderheit zur Mehrheit schaffen könnten. Dabei dürfe jedoch nicht unterschätzt werden, dass die Masse der Bevölkerung in Russland traditionell die Konfrontation mit der Macht scheut.

Gay-Parade von Verhaftungen überschattet

Neue Proteste, neue Verhaftungen. Am Sonntag hatte die Polizei in Moskau wieder alle Hände voll zu tun. Vor dem Rathaus hatten sich Lesben und Schwule zu einer Kundgebung versammelt – ebenso wie Rechtsradikale und Ultraorthodoxe, die alles versuchten, um Teilnehmer an der Kundgebung tätlich anzugreifen. Nahe des Roten Platzes versammelten sich zur selben Zeit Oppositionelle, um gegen Staatschef Wladimir Putin zu demonstrieren. 35 Personen wurden bei dieser Demo festgenommen.

Proteste homosexueller Gruppen in Russland sind regelmäßig Gegenstand tätlicher Auseinandersetzungen. Vor allem Rechtsradikale machen sich einen Sport daraus, sie anzugreifen. Und so kam es auch am Sonntag zu Verhaftungen. 40 Personen wurden festgenommen. Unter ihnen auch einige Angreifer. Aber auch Menschen wie Nikolai Alexejew, der Chef des russischen Homosexuellen-Verbandes, der wegen Organisation einer illegalen Versammlung angeklagt wurde.

Homosexualität ist in Russland nicht strafbar. Die Behörden untersagen aber regelmäßig Gay-Paraden. In St. Petersburg gilt ein Gesetz, das "homosexuelle Propaganda" unter Strafe stellt. Auch in Moskau und in der Staatsduma werden derartige Gesetze diskutiert. Argumentiert wird mit "Kinderschutz".

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