Propofol in Tiroler Kinderklinik verboten

Knalleffekt im Fall der kleinen Azra aus dem Tiroler Vomp, die am 27. Oktober in der Innsbrucker Kinderklinik nach einem Routineeingriff starb:
Noch am Montag hatte die ärztliche Direktorin Alexandra Kofler einen Narkosezwischenfall dementiert. Am Donnerstag kam aus der Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH (Tilak) dann aber eine überraschende Nachricht: "Die ärztliche Direktion hat die Verwendung von
Propofol zur Sedierung (Betäubung) auf der Kinder-Intensivstation gänzlich untersagt", heißt es in einer Aussendung. "Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Denn es hat sich der Verdacht erhärtet, dass eine sehr seltene Nebenwirkung des Narkotikums zum Tod der Dreijährigen geführt haben könnte", sagt ein Sprecher.
Propofol ist eines der gängigsten Narkosemittel weltweit und war auch bei Nadina im Spiel. Die Vierjährige ist seit einer Leisten-OP in Innsbruck schwer behindert. Dennoch warnen Experten vor Panik.
"Für mich klingt die Aussendung der Tilak fast wie ein Schuldeingeständnis", sagt Eltern-Sprecherin Gabriele Fischer. Es wurde viel zu lange zugewartet, betont sie und verweist auf das Gutachten des deutschen Experten Jochen M. Strauß zu Nadina vom September. "Er stellte fest, dass die Injektion von Propofol bei Nadina in bereits tiefer Narkose nicht indiziert und die Dosis zu hoch war. Außerdem kam er zum Schluss, dass die Standards für die Narkose an der Innsbrucker Kinderklinik nicht ausreichend sind."
Ab sofort wird Propofol zwar weiterhin bei Operationen an der Kinderklinik verwendet. Denn es ist eines der wenigen Mittel, die auch für Kinder zugelassen sind. "Nur für einen längeren künstlichen Tiefschlaf nach dem Eingriff darf es nicht mehr verabreicht werden", sagt der Tilak-Sprecher.
Superkleber

Die Nebenwirkung, die bei Azra zum Tod geführt haben könnte, trete in einem von 10.000 Fällen auf und wird Rhabdomyolyse genannt. Dabei lösen sich die quergestreiften Muskelfasern auf - wozu Skelett-, Herzmuskulatur und Zwerchfell gehören.
Die Dreijährige hatte am 15. Oktober in eine Superkleber-Tube gebissen. In
Innsbruck wurde sie narkotisiert, um die Atemwege zu untersuchen. Laut Kofler sei die Narkose problemlos verlaufen. Drei Tage später habe sich der Zustand verschlechtert, und die Kleine wachte aus dem künstlichen Tiefschlaf nicht mehr auf.
Anwalt Thomas Juen, der Nadina und Azras Familie vertritt, warnt davor, schon jetzt die Ursache allein im Propofol zu sehen. "Es ist eine Facette. Jetzt braucht es einen Sachverständigen, der den Fall überprüft - und den gesamten Behandlungszeitraum bis 27. Oktober aufrollt." Bereits bei Nadina seien so viele Fehler passiert, "dass die Ursache vielleicht nie mehr herauszufinden ist."
Propofol: Weltweit beliebtes
Narkotikum
Euphorisierend
Das ausschließlich intravenös verabreichte Medikament genießt bei Ärzten und Patienten einen ausgezeichneten Ruf. In manchen Fällen soll es sogar euphorisierend wirken.
Dosierung
Wie bei allen Medikamenten kommt es auf die Dosierung an. Die Übergänge sind fließend, die Bewusstlosigkeit tritt relativ rasch ein. Üblicherweise wird Propofol mit einem Schmerzmittel kombiniert.
Positiv
Seit fast drei Jahrzehnten machen die fast nur positiven Nebenwirkungen das Anästhetikum rund um den Globus so beliebt. Die Patienten schlafen schnell und gut ein und wachen auch schnell und gut wieder auf.
Ausnahmen
Prinzipiell kann Propofol jedem Menschen verabreicht werden, der nicht allergisch gegen Wirkstoff oder Trägersubstanz ist.
Schlagzeilen
Für Gesprächsstoff sorgt das Anästhetikum derzeit auch, weil der Leibarzt von
Michael Jackson unter Verdacht steht, dem King of Pop zu viel Propofol gespritzt zu haben.
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